Irrlichter und Spöckenkieker. Helga Licher

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Irrlichter und Spöckenkieker - Helga Licher

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      Nur allmählich beruhigte die Bäuerin sich, die Sorgen um ihre Enkeltochter raubten ihr allmählich den Verstand. Seit Wochen plagte sie das Rheuma, und nachts konnte sie vor Schmerzen kaum schlafen. Die tägliche Arbeit auf dem Hof wurde immer beschwerlicher. Der Bauer dachte bereits darüber nach, eine zusätzliche Magd einzustellen. Meta und Ole hatten das Rentenalter längst erreicht, aber noch war nicht daran zu denken, sich auf das Altenteil zurückzuziehen. Stine war mit ihren siebzehn Jahren noch viel zu jung, um sich um den Knudtsenhof zu kümmern.

      Und ein gestandener Bauernsohn, der ihrer Enkelin dabei zur Seite stehen würde, war auch nicht in Sicht.

      »Stine steckt ihre Nase immer nur in Bücher«, sagte Ole oft verbittert, wenn er sich mal wieder mit einigen Bauern am Stammtisch im Wirtshaus traf.

      »So wird sie nie einen Mann kriegen, jedenfalls keinen, der mal euren Hof bewirtschaften kann.«

      Der alte Hinrichsen sprach das aus, was dem Bauern schon seit Wochen durch den Kopf ging.

      Meta drehte sich noch einmal nach Trientje um, doch die war längst hinter den Holunderbüschen verschwunden. Seufzend nahm sie den Eierkorb und ging durch die Scheune ins Haus.

      Stine stand in der Küche am Tisch und füllte heiße Erdbeerkonfitüre in Gläser, die sie anschließend sorgfältig mit einem Deckel verschloss. Sie trug eine grün karierte Kittelschürze auf der bereits unzählige rote Marmeladenspritzer zu sehen waren.

      »Was war das für ein Geschrei im Garten?«, fragte sie, indem sie sich zu ihrer Großmutter umwandte. Meta schüttelte den Kopf und legte die Eier in eine Schale.

      »Ach, das war Trientje«, murmelte die Bäuerin und ließ sich stöhnend auf die Ofenbank sinken.

      »Was wollte die Hebamme denn von dir? Habt ihr euch gestritten? Ich sah sie mit fliegenden Röcken davon laufen. Was war los?«

      »Du kennst Trientje doch. Sie ist und bleibt ein Tratschweib, und ich kann dieses Geschwätz nun mal nicht ab. Das habe ich ihr ganz deutlich gesagt. Daraufhin ist sie wütend geworden und hat das Weite gesucht.«

      Meta erhob sich schwerfällig und ging zum Spülstein hinüber.

      »Trientje sollte gut auf sich aufpassen, ich habe von ihr geträumt. In meinem Traum trug sie ein schwarzes Gewand und hatte ein Kreuz in der Hand.«

      Die letzten Worte hatte das Mädchen sehr leise gesprochen, doch Meta hatte sehr wohl verstanden, was Stine gerade sagte. Erschrocken sah die Bäuerin ihre Enkelin an. Es war das erste Mal, dass Stine von einem solchen Traum erzählte. Noch schien das Mädchen nicht zu ahnen, was dieses Erlebnis bedeuten konnte. Tief in ihrem Inneren spürte Meta, dass die Zeit gekommen war.

      Sie musste auf der Hut sein, Stine durfte nicht das gleiche Schicksal erleiden wie Rieke, ihre einzige Tochter.

      Meta dachte daran als sie sich vor vielen Jahren verzweifelt ihrer Mutter anvertraute. Die alte Beeke Ahrends hatte sehr abweisend reagiert.

      »Ich will davon nichts hören«, hatte sie barsch gesagt.

      »Das ist Spökenkiekerei, reiß dich zusammen und denk an deine Familie. Diese Träume werden dich dein Leben lang begleiten. Sei klug und behalte diese Erscheinungen für dich. Wenn du stark genug bist, wirst du damit zurechtkommen. Befolge die Gebote des Herrn und sei deinem Mann eine gute Ehefrau, dann wird alles gut.«

      Meta hatte sich stets daran gehalten. Sie tat ihre Pflicht, fragte nicht und sorgte für ihre Familie. Tapfer, wie es sich für eine Knudtsen-Bäuerin gehörte versuchte sie mit diesen seltsamen Träumen und Erscheinungen umzugehen. Nie wieder kam ein Wort der Klage über ihre Lippen.

      Stine füllte die restlichen Gläser mit der dampfenden Konfitüre und wandte sich an Meta.

      »Pfarrer Harms hat mich gebeten, frische Blumen auf den Altar zu stellen, darf ich einige von den weißen Margeriten pflücken?«

      Meta nickte beiläufig, sie war mit ihren Gedanken ganz woanders.

      Der Tag der Konfirmation hatte alles verändert, nichts war mehr so, wie es einmal war.

      Gnadenlos hatte das Schicksal zugeschlagen und die Ordnung einer angesehenen Familie zerstört. Die Leute im Dorf tuschelten und zeigten mit dem Finger auf Stine.

      Sie habe den Satan im Leib, wurde gesagt, und hinter geschlossenen Türen war von Teufelsaustreibung die Rede. Meta versuchte verzweifelt, das Mädchen zu schützen, aber es gelang ihr kaum. Hilflos musste sie mit ansehen wie ihre Familie langsam am Hass der Dorfbewohner zerbrach.

      »Was ist mit Stine los? Warum rennt sie schon wieder in die Kirche? Ich sah sie gerade auf dem Weg nach Süderende.«

      Der Bauer kam in die Küche, schlüpfte in seine Pantoffeln und sah seine Frau fragend an. Sein Blick verriet Unbehagen, und Meta ahnte, dass er die Antwort eigentlich gar nicht hören wollte.

      »Stine bringt Blumen in die Kirche. Pfarrer Harms hat sie darum gebeten. Das Mädchen wird langsam erwachsen, das ist für so eine junge Deern nicht einfach. Aber davon verstehen Mannsleute nichts.«

      Meta richtete das Abendbrot und ging nicht näher auf Oles Fragen ein. Wieder einmal blieb der Bauer mit seinen Ängsten und Sorgen allein. Er spürte deutlich, dass sich seine Frau immer weiter von ihm entfernte, doch was sollte er tun? Er hatte nie gelernt sich seinen Problemen zu stellen. Manchmal, wenn die Erinnerungen an jenen grauen Novembertag übermächtig wurden, dachte er daran sein Gewissen zu erleichtern. Aber dann fand er nicht die richtigen Worte und schwieg. Noch ließen sich die Erinnerungen, wenigstens für eine Weile mit Köm verdrängen.

      Doch wer weiß wie lange noch …

       9

      Als an einem Sonntag im August, der Schuster Nansen zum Bürgermeister von Oldsum gewählt wurde, brach für Ole Knudtsen eine Welt zusammen. Seit Jahren hatte er dafür gekämpft, einmal dieses Amt bekleiden zu können. Und die Aussichten waren sehr gut gewesen, jeder im Ort hätte ihm seine Stimme gegeben, wenn …

      »Du weißt, wem ich das zu verdanken habe«, sagte er zu Meta und sah sie unglücklich an.

      »Bürgermeister von Oldsum zu werden, das war mein Lebenstraum.«

      Der Bauer sackte förmlich in sich zusammen. Mit hängenden Schultern hockte er auf der Ofenbank und starrte in die knisternde Glut des Feuers.

      »Du kannst doch Stine nicht für deine Niederlage verantwortlich machen. Sicher gibt es auch noch andere Gründe. Du hast dich auch sehr verändert. «

      Meta war verzweifelt über den Zustand ihres Mannes. Noch nie hatte sie den Bauern so niedergeschlagen gesehen. Gerade seine Willensstärke und die unendliche Lebenskraft, die er ausstrahlte, hatte sie stets so geliebt. Doch er war in den letzten Jahren ein anderer geworden. Unhöflich und taktlos ging er mit seinen Mitmenschen um. Viele seiner früheren Freunde gingen ihm mittlerweile aus dem Weg.

      »Stine bringt nur Unglück über unsere Familie, denkst du, ich weiß nicht, was die Leute über uns reden. Es ist allein ihre Schuld.«

      Oles Stimme überschlug sich, er stieß seine Frau zur Seite und stürmte aus dem Haus.

      »Sie

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