Natürlich heilen mit Bakterien - eBook. Anne Katharina Zschocke

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probiotischer Medikamente und der Lebensmittelprobiotika, obwohl die Bakterien dabei an sich natürlich die gleichen sind.

      Der Begriff »Probiotikum« wurde anscheinend erstmals im Jahr 1953 verwendet, und zwar von Werner Kollath (1892–1970), der etwas gänzlich anderes damit meinte. Er bezeichnete damit nämlich Nahrungsbestandteile, die dem Leben förderlich seien, im Gegensatz zu schädlichen »Antibiotika«. Damit begann geradezu eine Laufbahn des Begriffs: 1965 verstand man unter Probiotika Substanzen, die von Bakterien abgegeben wurden, um das Wachstum anderer Mikroben zu fördern, als Gegensatz zu den sie hemmenden »Antibiotika«.92 Später waren es Organismen oder Stoffe, die das Bakteriengleichgewicht im Darm förderten,93 dann meinte man damit lebende Mikroorganismen, die als Zusätze zur Gesundheitsförderung der Nahrung oder dem Tierfutter zugegeben wurden,94 noch später lebende Mikroben, die zu Gesundheitszwecken verzehrt wurden. Diese vergeblichen Versuche, »Probiotika« genau zu definieren, mündeten in die heutigen Begriffsfassung der WHO aus dem Jahr 2001, nach der Probiotika lebende Mikroorganismen sind, »die, wenn in ausreichender Menge verabreicht, dem Wirtsorganismus einen gesundheitlichen Nutzen bringen«. Nimmt man diese Definition beim Wort, zählten folgerichtig auch Bier und Champagner, Rohmilchkäse sowie der Salat aus dem Garten zu »Probiotika«, da auch sie mikrobenreich sind und dem Menschen einen gesundheitlichen Nutzen bringen. Kurzum: Alles Essen mit Bakterien ist probiotisch. Essen ohne Bakterien gibt es allerdings nicht. Gleichzeitig gelten auch äußerlich angewendete Mikroben, also Vaginalzäpfchen mit Bakterien oder Hautcremes, als Probiotikum. DieVerwirrung besteht jetzt darin, dass man nun gar nicht mehr weiß, was ein Probiotikum eigentlich Besonderes sei und was es von einem Lebensmittel oder Medikament unterscheidet.

      Im Oktober 2013 fand sich daher eine Gruppe von Spezialisten zu einer Tagung zusammen und fragte sich, ob wegen der neuen Mikrobiom-Erkenntnisse die derzeitige Definition denn noch gültig sei. Man fand ja, schloss aber neu diejenigen Mikrobenstämme darein, die in kontrollierten wissenschaftlichen Studien bestimmte Gesundheitswirkungen gezeigt haben. Hingegen sollten Mikrobenstämme, für die es entweder keine Studien gibt, die zu fermentierten Lebensmitteln gehören oder die als Stuhltransplantationen verwendet werden, gar nicht mehr als »Probiotika« gelten. Übrig blieben dann nur die industriell hergestellten Mittel unter Verwendung isolierter Stämme, die vom Menschen künstlich kultiviert in eine streng kontrollierte Form gebracht wurden.95

      Damit wird die Verwirrung leider noch vergrößert, abgesehen davon, dass darin obendrein ein weiterer Versuch liegt, die grenzenlose Fülle und Vielfalt der Kleinstlebewesen in ein menschengemachtes Korsett zu zwängen. Der freie Fluss unseres Lebensursprungs, der durch die Mikroben unentwegt im Lebendigen vermittelt wird, würde damit fortgesetzt blockiert.

      Der Begriff »Probiotika« bezeichnet daher eigentlich etwas, was Nahrung und Heilmittel zugleich ist: nämlich eine bakterienhaltige Ernährung. Denkt man diese Bedeutung der definierten »Probiotika« zu Ende, implizieren sie, dass sie Medizin überflüssig machen könnten, wenn man sich nur gut genug ernährt. Kein Wunder also, dass Probiotika aus mancher Sicht eher unerwünscht sein mussten.

      Jetzt, wo die Mikrobiomforschung die große Bedeutung der Bakterien bewiesen hat, gelten sie aber doch auf einmal wieder als Medizin der Zukunft. Daher ist es umso wichtiger, tatsächlich umzudenkenund ein wahres Bild von Mikroben und Mensch zu entwickeln, um nicht dem nächsten Irrtum in der Medizin anheimzufallen.

      Vor fast hundert Jahren gab es also eine Weichenstellung in der akademischen Medizin: Entweder man behandelte mithilfe der Bakterien, oder man ging gegen sie an. Vielleicht gefördert durch das Denken in Kriegszeiten, wählte man den Umweg des Bekämpfens. Wir haben die Möglichkeit, die Wege jetzt wieder zusammenzuführen und an den Pfad eines friedlichen Umgangs mit Bakterien anzuknüpfen.

      Es gibt noch einen Grund, der den Ruf der Probiotika minderte: Die Forscher, die die Wechselwirkungen zwischen Mikroben und Mensch erforschten, taten dies im Labor. Sie führten dort objektivierbare Studien durch, deren Ergebnisse erst auf den Tierversuch, dann auf den Menschen übertragen wurden. Solange man dabei auf ein bestimmtes Symptom blickte, zum Beispiel auf Durchfall, ließ sich ein Prozentsatz derer ermitteln, bei denen es verschwand. Das ist bei den Antibiotika leicht möglich. Bei einem Probiotikum, das ja definitionsgemäß direkt im Menschen wirkt, sind Laborversuche für die Ergebnisse hingegen wenig aussagekräftig und die Wirkungen im Lebendigen kaum objektivierbar, weil jeder Mensch natürlich anders ist als der nächste. Da die Wirkung nicht immer nachweisbar ist, ist der Begriff »probiotisch« seit Dezember 2012 mit gesundheitsbezogenen Aussagen bei Lebensmitteln in Europa verboten.96

      Die diversen Menschenbilder der Ärzte entwickelten somit unterschiedliche therapeutische Richtungen. Probiotika galten als »alternativ«. Sie wurden in der Erfahrungsheilkunde eingesetzt, die auf den einzelnen Menschen und seine ganz persönliche Konstitution sah. Antibiotika hingegen wurden zur offiziellen und daher auch von den Krankenkassen bezahlten, naturwissenschaftlich-akademischen Medizin. Während ein Antibiotikum eine zwingende Wirkung hat, die in entsprechenden Studien nachweisbar sein kann, ist dies bei Probiotika nicht möglich, da sie auf ein persönliches Mikrobiom treffen. Dementsprechend unterschiedlich fielen die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien zu Probiotika aus. Erst ab den neunziger Jahren gab es überhaupt welche, dann eine stetig zunehmende Anzahl. Doch untereinander vergleichen lassen sie sich ebensowenig. Damit wurden sie für viele Ärzte nicht nachvollziehbar. Es ist auch hier so: Mikroorganismen sprengen das menschliche Begreifen.

      Geht man heutzutage in ein Reformhaus, um ein Probiotikum zu erwerben, findet man Pulver oder Kapseln, die aus verschiedenen Stämmen von zum Beispiel bei minus 180 Grad Celsius schockgefrosteten und gefriergetrockneten Mikroben bestehen. Meistens sind es Milchsäurebakterien der Stämme Lactobacillus oder Bifidus. Sie werden geschluckt oder in Wasser eingerührt und zum Essen eingenommen. Viele enthalten auch sogenannte Prä- oder Prebiotika, worunter man Substanzen versteht, die Bakterien im Körper als spezifische Nahrung dienen, sogenannte Ballaststoffe (siehe Seite 143ff.). Werden »Probiotikum« und »Präbiotikum« kombiniert, nennt man dies »Symbiotikum«. Diese Bezeichnung ist jedoch eher theoretischer Natur, denn niemand bittet im Geschäft um ein »Symbiotikum«, und auch in der Fachliteratur ist dieser Begriff unüblich.

      Mit der Einnahme eines Probiotikums verbindet sich die Vorstellung, seiner Gesundheit etwas Gutes zu tun, speziell bei Darmerkrankungen oder wenn ein Antibiotikum angewendet wurde. Erst »Anti«, dann »Pro« – damit drückt sich die Gegensätzlichkeit aus, die sich im vergangenen Jahrhundert entwickelt hat. Beide Begriffe waren zuvor überflüssig. Man ernährte sich ganz natürlicherweise mit einer ausreichenden Menge von Bakterien. Jetzt gibt es Probiotika für jedes Lebensalter, vom Baby bis zum Greis, für Sportler, gestresste Manager und Reisende in ferne Länder. Sie heißen nach Kuscheltieren, tragen kraftvolle Marken wie »Stress Repair«, so als ob man Stress mit Bakterien reparieren könne. Sogar ein »Breitband«-Probiotikum wird bereits beworben.

      Damit werden Bakterien für eine weitere Medikamentierung des Lebens benutzt. Eine Monatsration derlei Probiotika kann gut und gern so kostspielig werden, dass man stattdessen gleich bakteriengerechte und naturnah angebaute Lebensmittel kaufen kann. Heilung besteht darin, sein Leben in ein gesundes Fließgleichgewicht zu bringen, und nicht, den kranken Zustand durch Pulver und Pillen zu stabilisieren. Die meisten solcher

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