Natürlich heilen mit Bakterien - eBook. Anne Katharina Zschocke

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direkt optisch aufeinanderfolgen, zeigt sich ein wilder Zickzackkurs, bis sich das Mikrobiom allmählich mit einer neuen Zusammensetzung woanders stabilisiert als zuvor.57

      Folgt auf eine kurze Antibiotika-Einnahme eine Erholungszeit, kann sich in einem gesunden Milieu die Bakterienmenge aus den verbliebenen Bakterien wieder vermehren, und die Funktionsfähigkeit des Mikrobioms wird so gut wie möglich wiederhergestellt. Die verbliebenen Bakterienstämme können ersatzweise Aufgaben der verschwundenen Stämme übernehmen, womöglich aber nicht in der gleichen Aktivität. Abhängig von den persönlichen Lebensumständen, kann nach einigen Wochen oder Monaten ein zwar verändertes, aber funktionsfähiges Mikrobiom wiederhergestellt sein.

      In Studien wurde die Zusammensetzung der Darmbakterien bis zu vier Jahren nach einer antibiotischen Therapie beobachtet. Eine vollständige Rückkehr zum ursprünglichen Mikrobiom gibt es dabei nie.58

      Nimmt man allerdings in der Erholungsphase, beispielsweise binnen eines halben oder eines Jahres, erneut ein Antibiotikum, kommt es zu keiner Wiederherstellung mehr. Die Verschiebung der Arten sowie die Verminderung in Vielfalt und Fülle bleiben in größerem Maße bestehen und können langfristig Störungen der Gesundheit in allen Organen mit sich bringen, da sie auf die Zusammenarbeit mit den Bakterien angewiesen sind. Bekanntlich folgen daraus Durchfälle und Unverträglichkeiten und schließlich chronische Reizdarmsymptome. Weniger bekannt sind Stoffwechselstörungen wie Übergewicht oder Diabetes. Es kann auch zu einer allgemeinen Infektanfälligkeit, Unverträglichkeiten und zu psychischen Störungen kommen. Typischerweise wiederholen sich Infektionen von da an immer wieder.

      Es gibt weltweit mittlerweile achtzig Antibiotikaklassen. Viele weitere sind in Entwicklung.59 Daraus waren im Jahr 2014 beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte 2429 verkehrsfähige Antibiotika zugelassen. Geschätzte 650 Tonnen Antibiotika wurden im Jahr 2011 in Deutschland von Menschen aufgenommen. 1706 Tonnen gebrauchte man in der Tierhaltung, wovon über Lebensmittel immer wieder Spuren auch beim Menschen landen. Vierzig Millionen Antibiotika-Verordnungen wurden im Jahr 2013 bei Krankenkassen abgerechnet, gut ein Drittel der Versicherten erhielt mindestens eine Antibiotika-Behandlung im Jahr, bei den vier- bis sechsjährigen Kindern sind es 41 Prozent, bei den über neunzigjährigen Menschen etwa jeder zweite.60 Dabei ist bei Kindern ein stabiles Mikrobiom für eine gesunde Entwicklung unerlässlich, und alte Menschen haben ohnehin bereits eine verringerte Bakterienvielfalt im Körper, was sie anfälliger sein lässt (siehe Seite 96ff.).61 Ein zusätzlicher Mikrobiomstress bringt im Alter ein geschwächtes Zusammenwirken zwischen Einzellern und Körperzellen womöglich völlig zum Erliegen, mit unter Umständen schwersten Folgen. Gerade dann ist eine mikrobiologische Therapie oft heilsamer, um das Wohlbefinden wiederherzustellen.

      Die persönliche Verminderung von Vielfalt und Fülle im Mikrobiom der einzelnen Menschen summiert sich in den von dieser Entwicklung betroffenen Gesellschaften auf einen allgemeinen Bakterienmangel, der inzwischen dahin geführt hat, dass Menschen in industrialisierten Ländern erheblich weniger Bakterienarten im Körper haben als in naturnah lebenden Kulturen. Forscher verglichen die »zivilisierte« Bakterienbesiedelung mit jeweils der von Hadza-Jägern im Inneren von Tansania,62 von Ureinwohnern in Papua-Neuguinea63 und in Burkina Faso64 und von erst im Jahr 2009 kontaktierten Dorfeinwohnern des Jäger-und-Sammler-Volksstammes der Yanomami im Urwald von Venezuela.65 Letzterer lebt seit 11 000 Jahren dort, ohne von der antimikrobiellen Zivilisation berührt worden zu sein. Bei allen ermittelte man in Stuhlproben, Nasenabstrichen und Haut ein viel größeres Bakterienspektrum als bei uns. Bei den Yanomami fand man die höchste je bei Menschen gemessene Artenvielfalt überhaupt, um 40 Prozent mehr als beim durchschnittlichen US-Amerikaner. Fast ungläubig äußern die Forscher in den Studien die Vermutung, die größere Vielfalt und Fülle als bei uns hänge wohl mit dem von der Natur entfremdeten Lebensstil der Menschen in Industrienationen zusammen, der sie ihrer ursprünglichen Bakterienbesiedelung beraubt habe. Schon werden Überlegungen angestellt, ob diese Vielfalt bakterienreicher Völker nicht zu therapeutischen Zwecken für die Menschen in der westlich zivilisiertenWelt genutzt werden könne. Derweil schickt die Regierung Venezuelas fürsorglich zweimal jährlich per Helikopter medizinische Versorgung zu den Yanomami und behandelt sie – unter anderem mit: Antibiotika!

      Wir leiden also aufgrund unserer desinfektiösen Lebensweise in unserer Zivilisation an persönlichem Bakterienchaos im Körper und an kollektivem Mikrobenmangel im ganzen Volk. Und wo die natürliche Vielfalt in einer großen Gemeinschaft verloren ist, kann sie selbst bei innigstem Körperkontakt nicht mehr ausgetauscht, nicht mehr von Mutter zum Kind weitergegeben und ohne Hilfe nicht mehr wiederhergestellt werden. Das ist erschütternd. Wir haben ungewollt die Grenzen unserer Mikrobiomtoleranz längst weit überschritten und bekommen nun die Folgen überall zu spüren.

      Neben Bakterienmangel ist eine logische Folge von Antibiose die Veränderung der übrig bleibenden Bakterien und die Ausbildung von Resistenz. Resistenz bezeichnet die Fähigkeit von Einzellern, Pflanzen, Tieren oder Menschen, gegenüber lebensbedrohenden Giften aus der Umgebung zwecks Überleben unempfindlich geworden zu sein. Sind Bakterien gegenüber einem Antibiotikum resistent, wirkt das Mittel nicht mehr gegen sie. Das heißt, dass sie sich trotz der Anwendung bakterienhemmender Mittel weiter vermehren oder trotz bakterientötender Mittel weiter leben können.

      Wie kommt solch eine Resistenz zustande?

      Gesunderweise leben Bakterien wie alle Wesen immer und überall in Verständigung miteinander und mit der Umgebung. Sie haben feine Wahrnehmungsorgane in Form bestimmter Oberflächengebilde auf ihrer Hülle, die nach Kontakt von außen im Zellinneren eine passende Reaktion bewirken, damit sie die der Umwelt angemessene Aktivität entfalten. Das ist die Voraussetzung für ein Miteinander des Mikrobioms mit Körperzellen. Sie lesen dadurch die Umgebung beständig ab und sind fähig, auf veränderte Bedingungen jederzeit angemessen zu reagieren. Indem sie ihr ganzes Leben beständig fein den Gegebenheiten anpassen, können sie den jeweils wechselnden Umständen, wie sie beispielsweise durch das Essen im Darm entstehen, stets gerecht werden und ihre jeweiligen Aufgaben vor Ort unentwegt gemeinschaftlich erfüllen.

      Der Information der Einzeller untereinander und auch mit den Körperzellen von Pflanze, Tier und Mensch dient der Austausch kleinerSignalbotenstoffe. Antibiotika sind nun, wie wir gesehen haben, isolierte und verdichtete, also zur Verstärkung kräftig angereicherte Formen solcher Signalstoffe. Es sind Botschaften, die zum Beispiel Schimmel- oder Bodenpilze natürlicherweise gegenüber Bakterien in kleinen Mengen abgeben, um sich über Aktivitäten in der Umgebung zu verständigen. Diese Verständigung erfolgt gemäß einer jahrmilliardenalten Entwicklung zu höherem Leben und dient den Mikroben zur Erfüllung ihrer jeweiligen Aufgaben.

      Die zu Antibiotika erklärten Substanzen bedienen diese Kommunikation, allerdings nun künstlich verstärkt und mit der Absicht, Bakterien zu töten. Sie sind quasi eine von Menschen nachgemachte und gewaltig übersteigerte Nutzung ihrer naturgegebenen Verständigungsweise, eigentlich ihr Missbrauch. Bildlich gesprochen, ist es, als würde man das Sprechen und Hören von Menschen gegen sie nutzen, indem man ihnen Sprache per Megaphon so laut ins Ohr plärrt, dass sie vor Schreck erstarren oder tot umfallen. In diesem Bild bestünde eine mögliche Resistenz darin, sich Ohrstöpsel oder Kopfhörer auf die Ohren zu setzen, den Lautsprecher zu zerlegen oder den Strom abzudrehen, damit man wieder normal weiterleben, sich in Ruhe unterhalten und seiner Tätigkeit nachgehen kann.

      Bakterien reagieren auf einen Angriff von Antibiotika, deren Ausmaß sie bedroht, wie alle Lebewesen mit einer Art SOS-Reaktion. Sie können je nach Bedarf Enzyme aktivieren, die die antibiotische Substanz spalten oder verändern, sie können die Molekülanordnung in sich selbst verwandeln, ihre Zellwand verdicken, Pumpen zum Ausschleusen der Substanz in Gang setzen und anderes mehr. Es sind also zuvor angelegte Möglichkeiten, die nun durch Antibiotika aktiviert werden.

      Als man das Prinzip der Resistenz gegenüber Antibiotika anfangs beobachtete, meinte man, die

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