Crow Kingdom. Tino Falke

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Crow Kingdom - Tino Falke

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will ich direkt auf den Dachboden gehen, das Seil um einen der Balken dort binden und all dem ein Ende machen. Stattdessen führen mich meine Schritte in den Keller. Alles ist mit Staub bedeckt. Auf der Lehne des Ausklappsofas liegt noch immer die Brille meines Vaters. Auf dem Tisch daneben eine Tablettenschachtel meiner Mutter. Ich habe nichts im Haus verändert, seitdem sie gestorben sind.

      »Und wen hast du umgebracht, um hier zu landen?«, fragte eines der Mädchen in die Runde, bevor wir den verschiedenen Spielgeräten zugeteilt wurden.

      »Ach, alle Möglichen«, antwortete eine der anderen. »Aber langsam bereu ichʼs. Hat mir keiner gesagt, dass lebenslänglich oder Todesstrafe durch gemeinnützige Arbeit ersetzt wurden.«

      Ein paar der Mädchen lachten, sofort wurden sie ermahnt. Der Aufseher betonte noch einmal, dass sie nicht zum Spaß da waren. Sie sollten einen Beitrag für die Gemeinschaft leisten und damit den Schaden wiedergutmachen, den sie angerichtet haben. Die Mädchen wurden aus Städten in der Umgebung hergeschickt, keines stammte aus meinem Dorf.

      Während sie einander ausfragten, was sie getan hatten, um hier zu landen, ging ich zum Rand des Spielplatzes, wo früher der Naturlehrpfad anfing. Der Weg war überwuchert, die verschiedenen Bodenbeläge wie Kies, Moos und Sand unter neu gewachsenen Gräsern kaum zu sehen. Halb versunkene Schilder ragten aus dem feuchten Waldboden. »Entdecke die Wunder des Waldes«, hieß es auf einem. »Genieße die Idylle der Natur«, stand auf einem anderen.

      Natürlich ist der Park auch von dort aus zu hören. Zwischen Corona Kingdom und dem Dorf liegt nur eine halbe Stunde Autofahrt. Zehn Minuten, wenn man die Straßen ignoriert und einfach in direkter Linie über die angrenzenden Getreidefelder rast. Wie der Rabe fliegt.

      Von meinem alten Kinderzimmer aus sieht man noch immer die gewaltigen Stahlkonstruktionen, die Bellmore vor 27 Jahren aus dem Boden gestampft hat. Meine Mutter arbeitete damals in einem Supermarkt. Mein Vater war Koch in einer kleinen Gaststätte. Beide freuten sich auf den anstehenden Tourismusboom, auf all die Leute, die vor oder nach dem Ausflug in den Park unser Dorf besuchen würden. Das war, bevor Bellmore eine Straße bauen ließ, die Anreisende direkt zum Park führte. Bevor außerhalb des Parkgeländes Hotels und Restaurants errichtet wurden, die dafür sorgten, dass es keinen Grund mehr gab, das Dorf zu besuchen.

      Ich war zu jung, um zu merken, welche Folgen diese Maßnahmen für meine Eltern hatten. Jetzt knie ich vor dem Sofa, auf dem sie damals gefunden wurden, und kralle mich weinend in das verstaubte Polster. Ich presse mein Gesicht in eines der Kissen und schreie.

      »Schrecken aus dem Schatten!«, rief eines der Mädchen, kurz nachdem wir heute Vormittag mit den Arbeiten begonnen hatten. Wir ersetzten Ketten an der Schaukel und Schrauben am Klettergerüst, der Rutsche, der Wippe. Wir entfernten Unkraut und mähten den Rasen. Am Ende sollten alle Spielgeräte neu gestrichen werden.

      »Doppelter Schaden!«, fielen andere in das Geschrei mit ein. »100 Sonnenpunkte!«

      Sie zitierten Corona Rescue, das Videospiel zum Rabe-Franchise, und erst, als die ersten Steine flogen, merkte ich, wieso. Hinter den Eimern mit frischer Farbe war ein Fuchs aufgetaucht. In dem Spiel muss Rabe seine Freunde finden, die im Wald verschwunden sind. Er sammelt Münzen und muss gefährliche Pfade navigieren. Im Dunkeln unter Wurzeln und in Erdlöchern tauchen dabei feindliche Tiere auf, die man mit Steinen bewerfen und so verjagen kann.

      »Für Corona!«, riefen die Mädchen und taten genau das, was das Spiel ihnen beigebracht hatte. Dutzende Steine prasselten auf die Farbeimer nieder. Bis der Aufseher den Aufruhr beendet hatte, war der Fuchs schon längst hinter einem der Schilder verschwunden.

      Genieße die Idylle der Natur.

      Welche Auswirkungen der Park auf meine Eltern hatte, wurde mir erst bewusst, als es schon zu spät war. Je länger ich dort arbeitete, umso seltener sah ich sie. Ich bekam nur am Rande mit, dass mein Vater seine Gaststätte schließen musste. Dass meine Mutter entlassen wurde, weil nur noch die wenigen Leute im Dorf zum Einkaufen zu ihr kamen. Schließlich taten sie, was alle in der Nachbarschaft taten, die nicht bereits weggezogen waren. Sie vermieteten Schlafplätze für die Kundschaft des Parks. Auf einem Schild vor dem Haus steht noch heute »Pension«, darüber ist ein schwarzer Vogel zu sehen. Natürlich nicht der markenrechtlich geschützte Rabe vom Parklogo. Trotzdem wurden schon bald erste Übernachtungen gebucht.

      Ich verkaufte Royal Raven-Sparmenüs an dieselben Familien, für die meine Mutter morgens Frühstück gemacht hatte. Ich wischte abends das Erbrochene der Leute auf, für die mein Vater die Betten frisch bezog. Ich kann nur vermuten, dass meine Eltern daran ähnlich wenig Spaß hatten. Teilweise vergingen Wochen zwischen zwei Besuchen zu Hause. Es gibt keine Kühlschrankfotos, die zeigen, wie die beiden älter wurden.

      Irgendwann hatten sie graues Haar und eröffneten all ihre Mahlzeiten mit Medikamenten. Mein Vater begann, mir immer wieder die gleichen Geschichten zu erzählen. Meine Mutter begann, ihm jedes Mal, wenn er von der Toilette kam, dieselbe Frage zu stellen.

      »Hagel oder Regen?«

      Wie Bellmore glaubten sie, ihre Geheimsprache wäre clever, doch immer, wenn mein Vater »Hagel« antwortete, verließ meine Mutter den Raum. Das Geräusch der Spülung aus dem Bad bestätigte, was sich hinter dem Codewort verbarg.

      »Kacke!«, rief eines der Mädchen auf dem Spielplatz, stieg von der Leiter und bewegte sich auf den Aufseher zu. Sie hatte sich am Holzgerüst der Schaukeln einen Splitter eingefangen. Während ihr Finger verarztet wurde, schnappte ich mir die Leiter. Schon bei der Ankunft war mir das Nest auf dem Baum neben der Rutsche aufgefallen, jetzt konnte ich die Gelegenheit nutzen, kurz reinzuschauen. Für manche Vogelarten war bereits Brutzeit. Der Neststandort ließ mehrere Möglichkeiten zu, was ich dort finden würde.

      Himmelblaue Eier von früh brütenden Singdrosseln.

      Grünliche Spatzeneier mit grauen oder braunen Punkten.

      Auch im Park müssen wir hin und wieder auf Bäume klettern. Wir bringen Deko für Halloween oder Weihnachten an. Wir sammeln verlorene Luftballons ein oder machen Fotos für die Homepage. Natürlich muss ich jedes Mal daran denken, wie ich als Kind von dem Baum sprang. Erst später konnte ich wertschätzen, wie aufopferungsvoll sich meine Eltern damals um mich gekümmert hatten. Es tut mir leid, dass ich später nicht dasselbe für sie tun konnte.

      Als sie starben, war ich seit fast zwei Monaten nicht zu Hause gewesen. In der Zwischenzeit hatten sie ihr Schlafzimmer geräumt, um mehr Buchungen zu ermöglichen. Sie selbst schliefen auf einem ausklappbaren Sofa, im Keller ihres eigenen Hauses. Sie hatten keine Fenster, aber ein kleines Bad und einen alten Gasofen.

      Die Übernachtenden rochen nichts, als sie sich morgens zum Park aufmachten. Die nächste Gruppe fand nur verschlossene Türen vor, und schließlich rief jemand die Polizei. Wie sich herausstellte, war Kohlenmonoxid aus dem Ofen ausgetreten. Meine Eltern hatten die ganze Nacht über giftiges Gas eingeatmet.

      Auf die gleiche Art ist auch Walt Disneys Mutter gestorben.

      Die beiden lagen im Bett, Hand in Hand, offenbar friedlich eingeschlafen. Ich war nicht dabei, als sie gefunden wurden. Mein Handy lag in unserem Pausenraum. Privatgespräche während der Arbeitszeit sind verboten. Erst später bemerkte ich die vielen verpassten Anrufe, fuhr ins Krankenhaus einer Nachbarstadt und identifizierte die Leichen.

      Ich kehrte in das alte Haus zurück und öffnete alle Fenster. Ich ging in den Kellerraum, in dem sie gestorben waren. Ich ging ins kleine Bad daneben und öffnete den Klodeckel.

      Es gibt Fälle, in denen sich Neugier einfach nicht lohnt. Trotzdem kletterte ich auf dem Spielplatz im

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