Crow Kingdom. Tino Falke
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Rabe im Wald beginnt damit, dass ein einsamer kleiner Rabe orientierungslos im Wald umherirrt. Man erfährt nicht, woher er kommt, aber schon die erste Begegnung zeigt, dass er noch nie ein anderes Tier getroffen hat. Als er an einem Teich einen Frosch sieht, begreift er nicht, dass zwei Tiere im selben Wald so unterschiedlich aussehen können. Trotzdem freunden beide sich an, und schon bald wird Rabe nach Corona eingeladen – eine kreisrunde Stadt auf einer Lichtung, in der es niemals dunkel wird.
Meine Mutter erklärte mir damals, was das Wort bedeutet: Strahlenkranz. Ein Name für den leuchtenden Ring, den man während einer Sonnenfinsternis sehen kann. Für goldene Kronen mit abstehenden Zacken oder einen Heiligenschein. Rund und strahlend, in alle Richtungen. Natürlich ist die Corona auch Teil der Sonne selbst.
Sie stand hoch am Himmel, als sich die Kinder um den Baum versammelten, den wir ausgesucht hatten. Ich schnallte mir meinen Schnabel um, einen gelb angemalten Plastikbecher mit Gummiband, und fing an zu klettern. Meine Spielkameraden errichteten indessen einen Haufen aus trockenem Gras und Buschwerk, auf dem ich landen sollte. Schnell waren sie nur noch farbige Flecken am Waldboden. Grüne Frösche, orange Füchse, braune Bären und Hasen, wild mit den Armen wedelnd, während ich immer höher stieg. Ich rutschte auf einen Ast und sah in Richtung Sonne.
Das Gute ist, wenn man in so einem Moment geblendet wird, muss man nicht sein bisheriges Leben an seinem Auge vorbeiziehen sehen. Das Schlechte ist, dass man so auch nur eingeschränkt in der Lage ist, die Landung zu zielen.
Trotzdem breitete ich die Flügel aus. Und sprang.
In den Jahren danach haben Noah und ich alle Attraktionen des Parks kennengelernt, vom Käfer-Chaos-Autoscooter bis hin zur gewaltigen Lunaphobia, doch der Adrenalinrausch war nie größer als bei meinem ersten freien Fall.
Ich landete auf den Füßen, rammte mir das Gesicht gegen die Knie und rollte auf die Seite. In meiner Erinnerung schreien nur die anderen Kinder, die meisten liefen sofort davon. Eine Sekunde, zwei, drei, dann bemerkte ich den Knochen, der aus meinem linken Bein ragte, und stimmte in das Geschrei mit ein. Meine Hose färbte sich, dunkel im Schritt, rot um die Knie, und noch mehr Kinder nahmen Reißaus.
»Vielleicht solltest du lieber wegschauen«, hörte ich die Stimme eines Jungen.
Verschwommen sah ich, dass er der Einzige war, der bei mir geblieben war. Zwischen mir und dem verfehlten Grashaufen stand Noah.
Als Rabe nach Corona kommt, wird er sofort von den anderen Tieren begrüßt. Die Zeichnungen zeigen humanoide Tiere, alle gleich groß, Specht wie Bär wie Eichhörnchen. Sie alle freuen sich über den neuen Nachbarn, Rabe zieht sofort in eines der vielen gelben Häuser in der Stadt. Warum in Corona so viele Häuser leer stehen, wird nicht erklärt. Dass dort immer die Sonne scheint, muss man beim Lesen einfach hinnehmen. Die Bücher sind nicht perfekt, aber immerhin haben sie nie jemanden getötet wie der Park.
Offensichtlich habe ich den Sturz überlebt und kann heute wieder laufen. Als ich jedoch schreiend und weinend unter der Sommersonne am Rand unseres Dorfs lag, sah Noah keine andere Möglichkeit, mich zu meinen Eltern zu bringen, als mich zu ziehen. Er griff nach den Enden meiner Flügel und begann, mich durch den Wald zu schleifen.
Macht das nicht zu Hause nach. Macht das am besten überhaupt nicht nach.
Jede noch so kleine Erhebung im Waldboden erschütterte meine Beine, jedes Loch und jeder Stein auf dem Weg ließ mich mehr in meinen zerdrückten Plastikschnabel schreien. Schon bald rissen die Flügel, und Noah zog mich an meinen Handgelenken. Wir sahen keine Tiere auf diesem Ausflug.
Ich weiß nicht, ob meine Schreie weit genug zu hören waren oder ob ein paar der anderen Kinder ihre Eltern informiert hatten, aber schließlich kamen uns Erwachsene entgegen. Sie trugen mich nach Hause, ohne weitere Erschütterungen, sie riefen einen Krankenwagen und redeten beruhigend auf mich ein. Erst hier gelang es mir, das Bewusstsein zu verlieren.
Als ich wieder erwachte, waren die Knochen gerichtet, die OP erfolgreich und ich in einem Krankenhausbett in einer Nachbarstadt. Sobald die Schwellungen abgeklungen waren, wurden meine Beine in Gips und Schienen gepackt. Ich verbrachte vier Wochen im Krankenhaus. Und sobald ich Besuch empfangen durfte, klopfte ein kleiner Junge an der Tür. Er trug kein Tierkostüm, doch unter seinem Arm klemmte Rabe im Wald, und er wollte wissen, wie es mir ging.
Und so habe ich Noah kennengelernt.
Wir kannten das Buch auswendig, doch jedes Mal, wenn er mich besuchte, brachte er es mit. Wir lasen gemeinsam, wie Rabe sich über den buschigen Schwanz des Eichhörnchens wundert. Wie er lernt, dass Frosch sich gern im Wasser aufhält und sein Ruf eine Meile weit zu hören ist. Dass Specht mit seiner langen Zunge Insekten aus den Bäumen in der Umgebung saugt. Ohne es zu merken, lernten auch wir eine Menge über den Wald und ein halbes Dutzend seiner Bewohner.
Mein Großvater war damals Förster im Dorf und bestätigte mir später, dass all die Angaben im Buch der Wahrheit entsprachen. Arne Guðmundsson, der Autor, hatte sich keine Fehler erlaubt. Sein Buch war so lehrreich wie unterhaltsam.
Nachdem ich nach Hause entlassen wurde, kam Noah weiter regelmäßig vorbei. Ich musste fast drei weitere Monate im Bett liegen – wahrscheinlich vor allem, weil meine Eltern zu besorgt um ihre einzige Tochter waren, nicht aufgrund ärztlicher Empfehlungen. Doch obwohl ich so auch das Ende des Sommers in meinem Zimmer verbrachte, hätte die Zeit spannender kaum sein können. Es war knapp eine Woche vergangen, da stürmte Noah in mein Zimmer.
»Sie bauen einen Park!«, rief er und warf mir eine Zeitung entgegen. Wir waren noch nicht einmal eingeschult und konnten das Rabe-Buch nur lesen, weil wir den Inhalt so oft gehört hatten, doch Noahs Mutter hatte ihm alles Wichtige aus dem Artikel erklärt.
»Einen echten Vergnügungspark! Mit Achterbahn und Karussell! Alles Mögliche! Weil der, der das Buch geschrieben hat, der hat hier gewohnt!«
Ein Foto neben dem Artikel zeigte zwei Männer, die sich die Hand geben, zwischen ihnen ein Spaten im Boden. Links stand Guðmundsson, der Autor und Zeichner von Rabe im Wald. Rechts ein Mann im Anzug, dem der entstehende Park gehören sollte. Jasper Bellmore, der bald darauf Bellmore Studios gründen würde, fast 30 Jahre jünger als heute und mit zusammengekniffenen Augen gegen die Sonne.
Heute weiß ich, dass ein großer Teil des Parks bereits fertiggestellt war. Das Land nördlich unseres Dorfs wurde Jahre im Voraus vorbereitet, es wurden Straßen gebaut und Wasser- und Stromleitungen verlegt. Und während ich bewegungsunfähig in meinem Bett neben dem Fenster lag, während draußen der Sommer endete und der Herbst begann, sahen Noah und ich mit an, wie in Sichtweite meines Elternhauses der Rest hinzugefügt wurde. Von meinem Kinderzimmer aus verfolgten wir mit, wie Kräne errichtet wurden und nach und nach die ersten Attraktionen wuchsen. Der Park begann klein, die Fahrgeschäfte, die vom zweiten und dritten Rabe-Buch inspiriert wurden, kamen erst später. Trotzdem war zu dieser Zeit nichts interessanter als die Entstehung von Corona Kingdom.
Wir saßen am Fenster wie Raffaels Engel, unsere Madonna waren ferne Stahlkonstruktionen, die sich nach und nach als Achterbahnen und Freifalltürme entpuppten. Ich hatte genug von freiem Fallen, doch unsere Aufregung ließ sich nicht dämpfen.
Was ich auch erst heute weiß, ist, dass der Bau nur so schnell vonstattenging, weil Bellmore keine Genehmigungen dafür einholen musste. Wie Walt Disney 1967 setzte er vor Gericht durch, dass sein Land als Kommune gilt, die