Trilogie der reinen Unvernunft Bd.1. Harald Hartmann

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Trilogie der reinen Unvernunft Bd.1 - Harald Hartmann

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der schweigsamen Wellensittiche an, eigentlich eine sehr vertrauenerweckende Familie. Doch er war grün. Das machte ihn verdächtig für Verdächtigungen aller Art. Wie schon gesagt, in meiner Lage musste man die Augen offen halten. Ich ließ mir nichts anmerken. Ich verwickelte ihn in ein Gespräch. Ich ging geschickt vor.

      „Wie heißt du?“

      „Hansi“, sagte er.

      „Wie alt bist du?“

      „Ziehe die Wurzel aus 327 und brate sie gemeinsam mit anderen Wurzeln. Das Ergebnis wird dich überraschen.“

      Er hatte recht.

      „Willst du auch Ministerpräsident werden?“, fragte ich ihn frank und frei.

      Ich sah ihm offen ins Gesicht.

      „Das will ich weder bestätigen noch dementieren“, antwortete er.

      Sein sonst so schnabeliger Schnabel blieb verschnabelt wie ein Grab. Also ja! Vor Hansi musste ich mich auch in acht nehmen. Meine Mutter hatte mich immer schon vor ihm gewarnt. Ich lud ihn aus Anlass einer gemeinschaftlichen Nahrungsaufnahme zu einem Festessen ohne Hintergedanken ein. Zuerst reagierte er ausgesprochen misstrauisch. Er zeigte bei meinem staatsmännischen Lächeln, das meine Einladung stilvoll begleitete, ein leicht verzögertes Bewegungsinteresse. Dabei konnte er mir vertrauen wie jedem anderen Wahlkämpfer auch, denn ich dachte trotz meiner nie schlafenden, kollateralen Hintergedanken, die ihn so misstrauisch machten, nur ans Essen, wirklich nur daran. Um diesen Störfaktor zwischen uns ins Abseits zu stellen, ließ ich als Vertrauen bildende Maßnahme, langsam und deutlich meinen Blick, kombiniert mit einem vielsagenden Ausdruck zur Garderobe wandern. Sein Blick folgte meinem. Da hatte Hansi verstanden.

      Ruhig hing mein Mantel an seinem Bügel und wartete. Er wusste noch nicht, dass er heute Abend für ein Festessen mit einem Versicherungsvertreter herhalten musste und im Kochtopf landen würde. Ein weit entfernt an einem Haken hängendes, speckiges, ehemals weiß gewesenes Küchenhandtuch begann, einen alten Schlager zu pfeifen. Da dämmerte es ihm, dass sein so lange schon gehegter, größter Wunsch endlich in Erfüllung gehen würde, gleich nach Beginn der Dämmerung.

      Das Festessen mit Hansi entwickelte sich zu einem wolkenkratzerhohen Gebilde aus tabuloser Kochkunst, eingehüllt in einer geschmackvollen, undurchsichtigen Wolke des Vertrauens. Aber im Wahlkampf konnte es natürlich nicht immer so kampflos weiter gehen. Mein Wahlkampfbüro erwartete mich schon ganz unvernünftig ungeduldig. Kaum war ich da, nahm ich den Telefonhörer ab. Augenblicklich klingelte das Telefon. Ich ließ es klingeln. Ich spielte Nicht- Da- Sein. Ich überließ alles dem Anrufbeantworter. Mein Wahlspruch lautete: Keine Panik. Eigentlich schade, dass ich mich gegen sie entschieden hatte. Denn sie war sehr attraktiv. Wenn es nur nach mir gegangen wäre, gerne und immer. Aber es ging ja nicht um mich, sondern um das Wahlvolk. Ich, persönlich, würde mir bei der Wahl, wenn die Panik nicht mitmachen durfte, jedenfalls nicht meine Stimme geben. Aber das musste ja keiner wissen.

      Es reichte, wenn ich wusste, und ich wusste, die Musik spielte hier und jetzt, hoch über den Gipfeln Ostfrieslands, über denen eine sengend heiße Sonne brannte. Selbst die robustesten Fernsehprogramme waren hier kaum noch zu empfangen. Jetzt konnte nur noch die Politik helfen. Ich war froh, dass ich da war. Das fiel eindeutig in meinen Zuständigkeitsbereich. Beruhigt hätte ich jetzt einschlafen können, aber das wäre natürlich völlig gegen meine Natur gegangen.

      Es war früher Morgen. Ich stand auf nach schlafloser Nacht und zog die Rollläden hoch. Das Land war noch dasselbe, zumindest aber das gleiche. Mathematisch reichte mir das. Wie immer sang ich dazu das einzige Lied, das es in diesem Land gab. Es war das Lied der Arbeit. Die Arbeiter von gegenüber waren schon da. Sie standen angelehnt gegen die Mauer ihres Arbeiterhauses. Sie drehten sich Zigaretten. Sie waren sehr geübt. Es war ihnen bekannt, dass nur Üben und nichts als Üben den Meister machte. Deshalb drehten sie auch unermüdlich weiter und ruhten nicht. Ich nahm mir ein Beispiel an ihrer Unermüdlichkeit. Ich drehte die Rollläden wieder herunter und legte mich mit einer Tafel Schokolade ins Bett. Es dauerte lange und war sehr romantisch. Dafür gab es freundlichen Applaus von allen Seiten. Hocherfreut verbeugte ich mich natürlich auch nach allen Seiten. Obwohl es sehr viele Seiten waren, kriegte ich es hin wie ein alter, erfahrener Samurai, der nie etwas anderes gemacht hatte. Aber danach tat mir mein Rücken weh. Ich ignorierte ihn einfach mit meiner alles überragenden, ignoranten Toleranz. Wählerstimmen kriegte man eben nicht von allein. Man musste sich darum bemühen, auch wenn es weh tat.

      Der Schmerz war also nicht dazu in der Lage, mich von meinen Bemühungen abzuhalten und zu einer spontanen Wahlkampfrundreise zu starten. Nein, es war mein Kugelschreiber, er machte wieder Probleme. Er war ein alter Dickkopf. Er weigerte sich, mit mir ins Flugzeug einzusteigen. Seine Gründe waren reine Kugelschreibergründe, die er mit seinem Kugelschreiberveto dem geplanten Lauf der Dinge wie Knüppel zwischen die Beine warf. Dagegen gab es weder legale noch illegale Mittel. Ich sagte die Reise ab. Es war gar nicht schlimm für mich und tat mir auch nicht im Rücken weh, eher das Gegenteil. Denn sie war so wichtig, das mir vor ihr grauste.

      Dankbar für sein Veto öffnete ich die harte Schale seines Körpers und erblickte mit zufriedener Miene seine diamantharte Mine. Das war genau der richtige Kugelschreiber für den zukünftigen Ministerpräsidenten. Wir würden ein unschlagbares Team sein. Als ob es den alten, spontanen Plan nie gegeben hätte, schüttelte ich aus meinen Gelenken in kurzer Zeit einen neuen spontanen Plan. Ich setzte ich mich auf mein Motorrad, natürlich mit meinem Kugelschreiber, und fuhr zum Philosophentreffen von Musch. Endlich ging es wieder vorwärts. Ich gab Gas. Doch ich musste aufpassen. Tempoüberschreitungen waren strafbar und konnten im Wahlkampf tödliche Folgen haben. Das wollte ich auch dem Okapi sagen, das ebenfalls zum Philosophentreffen wollte. Aber es war zu spät. Jetzt lag es vor mir auf dem grauen Asphalt und bewegte sich nicht. Ich gab kein Gas mehr, sondern bremste, um ihm meine Socken auszuziehen. Dagegen war nichts zu sagen. Huftiere waren an den Hufen geruchlos. Meine alten Socken waren nun wieder da, aber ich empfand nur noch Entferntes für sie. Meine Liebe zu ihnen war erloschen. Wie das Schicksal es wollte, kreuzte ein Student just im Augenblick der Liebeserlöschung meinen Weg. Er kam gerade von dem von mir angepeilten Philosophentreffen. Es war von beispielhafter und historischer Kürze gewesen und schon zu Ende. Ich schenkte ihm für diese wertvolle Information die Socken. Er errötete blindlings. Ich sah, dass es wohl zu viel für ihn war und vielleicht sogar mehr als das. Früher hatten Studenten jedenfalls mehr als das aushalten können, selbst verweichlichte.

      10

      Ich war nun an einem entscheidenden Punkt meines Wahlkampfs angelangt. Ich wollte die Wahrheit wissen. Zum Glück hatte der Supermarkt noch geöffnet. Vielleicht hatte sie sich ja hier versteckt oder sich womöglich teuer an ihn verkauft. Die Badewanne neben dem Pfandflaschenautomaten war bereits gefüllt, als ich eintrat und konnte meinen verstopften Poren Erste Hilfe leisten, bevor ich mich auf die Suche nach der reinen Wahrheit machte. Das heiße Wasser fand seinen Weg leicht, schnell´und professionell, wie es seine Art war, in meine tiefste Tiefe, die, die schon seit langem, immer dienstags, unter Denkmalschutz stand. Da bemerkte ich mit einer heilsamen Mischung aus uraltem Wissen und machtvollem Unwissen, dass ich den Geschmack von Wasser längst vergessen hatte und erkannte an einer Vielzahl untrüglicher Indizien, dass ich seit über tausend Einheiten nicht mehr gebadet hatte. Ich schimpfte mit mir. Hygiene war doch so wichtig.

      Die zwei Maulwürfe von der Käsetheke brachten diensteifrig, ohne dass ich sie extra dazu auffordern musste, zur Erhöhung des Wirkungsgrads meines Badevergnügens ein großes Tablett Schaum zu meiner mit schaumlosem Wasser gefüllten Badewanne. Mit ihren geübten Schaufeln bewarfen sie mich daraufhin mit dem frisch gezapften Schaum. Das war der Augenblick der Wahrheit. Gierig verschlang ich den nahrhaften Schaum mit Haut und Haaren. Er hatte einen merkwürdigen Geschmack. Doch er enthielt noch viel merkwürdigere Informationen. Es wurde ernst.

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