Trilogie der reinen Unvernunft Bd.1. Harald Hartmann

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Trilogie der reinen Unvernunft Bd.1 - Harald Hartmann

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blickte er auf die Wand aus frisch gebackenen Backsteinen.

      „Versuchen Sie es doch einmal auf den Antillen“, sagte er schließlich.

      „Die großen oder kleinen?“, fragte ich nach.

      Es war eine dumme Frage. Aber das musste ja auch mal sein. Die dummen Fragen hatten eine ebensolche Lebensberechtigung wie die klugen Fragen. Trotzdem hatten sie es schwer. Sie hatten ein schlechtes Image. Sie brauchten einfach ein besseres Image. Es war ein reines Imageproblem. Während ich mir also noch derlei Gedanken machte, war der Teppichhändler aber schon wieder eingeschlafen. Teppichhändler war auch eine schöne Sache, kam es mir in den Sinn. Ich überließ ihn ganz seinen müden Illusionen. Später war immer noch Tag genug für uns vorhanden. Für mich aber wurde es jetzt ernst.

      Meine Wäsche war nämlich trocken und schrie aus vollem Halse. Ich konnte mich als Wahlkämpfer aber natürlich nicht um alles kümmern. Um ihre Zukunft musste die Wäsche sich schon alleine sorgen, jetzt wo sie trocken war. Ich hatte etwas ganz anderes mit mir vor, als mit meiner trockenen Wäsche zu diskutieren. Schließlich hatte ich nach den längst verdauten Ereignissen aus letzter Zeit nun einen Hunger wie ein Vogel. Ich rief ein Taxi. Es brachte mich zum Spielcasino. Ich musste mich mal wieder richtig satt essen. Doch es gelang mir nicht. Nach meiner Abwahl war die Welt plötzlich eine andere geworden. Ich hatte in dem ganzen Gewitter der mir begegnenden Andersartigkeit nämlich vergessen, wie es ging, mich satt zu essen, und alle Unterlagen zur Erzeugung von Sattheit lagen weit weg zu Hause in meiner Küche.

      Entschlossen sagte ich: „Risiko!“

      Wo ich schon mal hier im Casino war, setzte ich alles auf Hunger, um ihm eine zweite Chance zu geben. Vollgepumpt mit dem zufrieden in meinen Gedärmen nagenden Hunger der zweiten Chance, betrat ich den Sonnenbalkon des Spielcasinos. Mein Schwiegervater befand sich dort auf einer Sonnenliege. Ich hatte ihn noch nie getroffen, und er hatte mich wohl nicht erwartet. Er sah mich. Dann verstarb er. Da war mein Hunger weg. Er hatte ihn mitgenommen. Ich dankte ihm.

      „Am schönsten ist es doch zu Hause“, dachte ich in diesem Moment, ohne nach dem geheimnisvollen Warum zu fragen.

      Voller Sehnsucht kamen mir die Putzeimer im Garten des Ministerpräsidenten ins Gedächtnis. Meine ganze Liebe galt ihnen. Wenn sie nur im Regen standen, ging es ihnen gut. Und mir damit auch. Das war ja schließlich das Wichtigste. Und dass ich den besten Wahlkampf machte, den je ein Wahlkämpfer gemacht hat, war natürlich genau so wichtig.

      Ich kletterte auf einen Baum. Ich blickte in die Ferne, die es nicht gab. Ich bemerkte, dass es auch keinen Baum gab. Ich stand im feuchten Gras. Die Ampel sprang auf rot. Ich nahm Platz an einem Restauranttisch. Der Hunger war wieder da. Mein verstorbener Schwiegervater hatte ihn im Spielcasino glatt verdoppelt für mich und ihn mir auf geheimen Wegen wieder zukommen lassen. Sogleich wusste ich wieder, wie es ging, mich satt zu essen. Ich dankte ihm abermals und winkte dem Kellner, wie man einem Kellner winkte.

      6

      „Ich als Zahnarzt empfehle Ihnen die halbe gebratene Ente mit Blaukraut und Klößen“, sagte der Mann am Nebentisch in breiter fränkischer Mundart. Sein Gebiss schwamm in einem gut gefüllten Wasserglas. Es stand vor ihm auf dem Tisch. Selten hatte ich einen so guten Eindruck von einem Zahnarzt.

      „Danke“, sagte ich. „Ich nehme die ganze.“

      „Eine ausgezeichnete Wahl“, sagte er und reichte mir sein Gebiss.

      Es war ein Genuss, wie es ihn nur sehr selten gab. Danach gab ich ihm sein Gebiss dankend zurück und nahm schnell, sogar sehr, sehr schnell die nächste Wahlkampfmaschine. Doch ich kam zu spät. Die Audienz beim Papst hatte schon begonnen. Die Tür war zu. Das war aber kein Problem für mich. Ich nahm einfach den Hintereingang und kam trotzdem rein. Meine Eignung zum Ministerpräsidenten stand mit dieser neuartigen Lösung ab jetzt außer Frage. Ein vorbereiteter Wahlkampfvortrag meinerseits war aber nicht möglich, weil die Audienz nicht hier sondern in der Sauna stattfand. Ich betrat die Sauna. Sie war groß wie ein Kreuzfahrtschiff. Viele saßen schon, noch mehr lagen in ihrem eigenen Schweiß, einige standen noch, noch immer, und keiner wusste, wie lange noch. Ich stand auch. Ganz oben.

      „Liebe Freunde“, rief ich. „Ich sage meinen Vortrag ab“.

      Da applaudierten alle begeistert. Eine gute Idee fand eben immer Freunde. Mein Ziel war erreicht. Alle hatten frei. Sogar Hitzefrei.

      Befreit ging ich zu meiner geheimen Wahlkampfadresse. Kaum war ich da, bekam ich Besuch. Er kam ohne besondere Einladung. Es handelte sich um einen alten Mann. Er war schon lange tot. Er hatte viel zu erzählen. Leider konnte ich nichts davon für meine augenblicklichen Zwecke gebrauchen. Als die Kraniche nach Süden flogen verabschiedete er sich. Ich lachte erleichtert, laut und ausdauernd. Mein Mund wurde immer größer, ja sogar größer als mein Hunger je gewesen war. Ein Fotograf interessierte sich für dieses erstaunliche Phänomen mit seiner ganzen beruflichen Leidenschaft. Seine intensiven Bemühungen, ein preisgekröntes Bild zu knipsen, waren geprägt von seiner außergewöhnlichen Gelenkigkeit mit hohem Unterhaltungswert, was natürlich nirgendwo unbemerkt bleiben konnte.

      Eine Gruppe Tauben kam herbei geflogen. Es waren vier. Sie wollten ihn zu seiner schönen Nummer beglückwünschen und hatten sich etwas ungewöhnlich Normales ausgedacht. Tauben waren bekanntlich normale Tiere, dafür aber ungewöhnlich treu. Sie brachten eine Flasche Champagner mit. Sie sah sehr teuer aus. Sie kam aus dem Duty-Free-Shop. Tauben kamen halt viel herum. Ihr Geschmack war international. Sie ließen den Korken knallen. Der Fotograf lud mich zu einem Gläschen ein, ich sagte nicht Nein, und wir tranken, bis die Flasche kein einziges Gläschen mehr füllen konnte. Seine Augen wurden ganz klein. Sie fielen aus ihren Halterungen und kullerten über das Gesicht. Es machte ihm nichts aus. Sie landeten auf seiner flink heraus gestreckten Zunge. Mit geübtem Zungenschwung beförderte er sie wieder in ihre Höhlen. Fotografen waren gute Leute. Sie arbeiteten präzise und schnell wie ein schweizerischer Finanzbeamter. Selbst unter Alkoholeinfluss. Zum Beweis griff er sich einen Block aus der Luft und stellte mir ein Rezept aus. Ich konnte es nicht lesen. Er hatte in Doktorschrift geschrieben. Da wusste ich, mein Weg, welcher es auch sein mochte, war noch weit.

      „Willst du nach Orang Bator?“, fragte mich eine Stimme von irgendwo, die mir verdächtig bekannt vorkam.

      Es war nicht die Stimme des Fotografen. Er war verschwunden und schon unterwegs zu einem anderen Auftrag, wie ich aus allen nicht vorhandenen Anzeichen vermutete.

      „Eigentlich wollte ich nach nirgendwohin, dahin, wo noch keiner war“, sagte ich.

      „Das kann doch nur die Zukunft sein“, antwortete die Stimme.

      „Natürlich“, sagte ich.

      „Dahin kann ich dich auch bringen, wenn du nichts Besseres vorhast“, sagte die Stimme, „aber nur wenn du mich heiratest.“

      „Gerne“, sagte ich, „ich bin zwar schon verheiratet, aber ich mach's trotzdem.“

      Da erschien das Auto meines verstorbenen Schwiegervaters. Ich hatte es mit meiner uneingeschränkten Heiratsbereitschaft aus seiner Tiefgarage befreit. Die Stimme gehörte ihm. Ich hatte es mir fast gedacht. Es war einsam ohne meinen Schwiegervater und hatte wohl von meiner Ehe mit meinem Auto gehört. Da hatte es seine große Chance gewittert und recht behalten. Heiraten konnte man gar nicht oft genug. Das war meine neueste Meinung. Heiraten war für das Glück so etwas wie Schuhe für Häuptlingsfüße.

      Die Hochzeitsnacht war dunkel, da ging der Mond auf. Ich konnte es nicht verhindern. Ich befürchtete schon, er würde sich zu einem gefährlichen

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