"I"- Achtung Spyware!. Til Erwig

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noch seine geringste Sorge. Mehr beschäftig ihn, woran es liegen kann, dass er immer wieder so unausgewogen, so schnell nervös wird. Jede Kleinigkeit bringt ihn in Rage. Aus jeder Mücke macht er gleich einen Elefanten, sieht Probleme wo keine sind und macht sich dadurch erst welche. Reflektieren nennt er das und nimmt sich jetzt eisern vor, sein Leben von Grund auf zu ändern. In Zukunft mehr relaxen und zugleich weise sein, mehr auf Monika eingehen und sich gleichermaßen den Kindern zu widmen. Mehr musizieren, das Spiel auf seinem Banjo hat er in letzter Zeitstark stark vernachlässigt. Das muss sich ändern. Er wird vieles ändern, nein, keine Kompromisse, er wird alles ändern! Soeben aber ändert sich die Musik aus dem Radio, sie hört nämlich auf und die Sprecherin kündigt eine Meldung an, eine sogenannte Sondermeldung an der Bernhard nicht ganz unschuldig ist, wie er gleich erfahren wird. Um die Motoren- und Auspuffgeräusche zu übertönen, stellt er das Radio lauter und hört die Sprecherin sagen „… wie wir soeben erfahren, hat sich heute Vormittag in der Innenstadt ein merkwürdiger Unfall ereignet. Die verletzte Person unbekannter Herkunft wurde in die Havelstein Klinik eingeliefert und ist von dort anscheinend geflüchtet. Die Polizei bittet um Mitteilung wo das junge Mädchen gesehen wurde. Sie ist lediglich mit einem Nachthemd der Klinik bekleidet und leidet unter einer starken Elektrophobie. Die Polizei warnt davor, die Frau mit bloßen Händen zu berühren, ein schmerzhafter Stromschlag könnte die Folge sein.“ Vor lauter Zuhören hat Bernhard nicht aufgepasst und ist an der richtigen Ausfahrt vorbeigefahren. Und schon sind die guten Vorsätzen relaxt zu sein und sich in Zukunft positiv zu verändern dahin. Wütend haut er mit der flachen Hand auf das Steuerrad, auf die Hupe, die daraufhin das Hupen einstellt, um anschließend mit einem schrecklich quäkenden Dauerhupton zu erwachen und anzuzeigen, dass Bernhard mit seinem handfesten Wutausbruch irgendwas an dem Teil beschädigt hat. Im Radio hat Bea Freimuth, die Sprecherin, inzwischen weitergequatscht, trotz der brisanten Eilmeldung immer in fröhlichem, aufmunterndem Party-Ton, als ob die Welt nur aus feiern und Festen besteht.

      „Weitere Informationen, liebe Zuhörer, bei jeder Polizeidienststelle und unter www.frauunterstrom.de im Internet. Hier ist Bea Freimuth, ihre Reporterin aus Leidenschaft. Mit Musik geht‘ s weiter in ein frohes Wochenende, trotz aller Horrormeldungen. Bleiben Sie bei uns!“

      *

      DAS ETWAS, immer noch im Nachthemd des Krankenhauses, gestikuliert vor einem Passanten, indem sie windmühlenartig in alle Himmelsrichtungen zeigt und dabei abgespeicherte Sätze ohne Sinn und Verstand von sich gibt. Das ist rührend und unfreiwillig komisch anzusehen, aber offensichtlich ist da ein Wille in dem Mädchen, sich irgendwie verständlich zu machen. „Wenn möglich, bitte wenden. Verarschen kann ich mich selber. Is ´n Scheißspiel! Das cerebrum … ist beschädigt!“ Der Passant zeigt sich anfangs nur irritiert, zumal das Mädchen im Nachthemd ihn jetzt auch noch umarmen will, so wie Bernhard im Modelädchen. Ein Glück, dass er einen Regenmantel trägt und deshalb keinen Stromschlag erhält. Dabei brabbelt DAS ETWAS immer weiter das was sie inzwischen gelernt hat und in ihrem Speicher abgelegt ist. „Ist verboten! Kleine Tussi … Sex mit Kindern. Was ist ´verboten`?“ Dem Mann wird das merkwürdige Verhalten des Mädchens allmählich unheimlich. Insbesondere jetzt, wo auch noch von Sex mit Minderjährigen die Rede ist. Sowas ist strafbar und man weiß heutzutage nie, ob nicht plötzlich die Polizei vor der Tür steht weil eine Irre, und die Kleine ist sicher nicht ganz dicht, eine Anzeige gemacht hat. Hier muss eine sichere Distanz gewahrt bleiben, denkt sich der Passant, windet sich aus der Umarmung und spannt seinen Regenschirm auf um wie ein Florettfechter das Mädchen abzuwehren. Die aber lässt sich nicht stören, sie breitet die Arme aus und ruft mit der Stimme von Dr. Mundfohl. „Der Hippocampus ist in spezifischer Weise verändert!“ Jetzt reicht es dem Passanten endgültig, seine Gesichtszüge entgleisen, die ist ja völlig irre, wahrscheinlich sogar gemein gefährlich deshalb nichts wie weg ohne Rücksicht auf Verluste. DAS ETWAS sieht dem davonrennenden Mann nach und ruft ihm hinterher „Muss dringend telefonieren … dringend telefonieren … telefonieren!“

      *

      Vor dem Berliner Flughafen drängen sich die Fluggäste, einige werden hingebracht, andere werden abgeholt, begrüßt, umarmt, geküsst. Bernhard stellt seinen dauerhupenden Lieferwagen direkt vor der Ankunft ab. Empörte Blicke wegen des Lärms ignoriert er und rennt so schnell wie möglich in die belebte Halle. Ein Japaner, mit zwei Fotoapparaten quer vor der Brust, lächelt typisch japanisch und fotografiert, ebenfalls typisch japanisch. Bernhard schiebt sich suchend durch die Menge. Liest die Anzeigetafel für ankommende Maschinen, fragt an einem Schalter, läuft eilig hinüber zum Meeting Point. Ein dicker Herr mit Glatze sieht ihm erwartungsvoll entgegen. Bernhard bleibt stehen, fixiert ihn, versucht sich zu erinnern, was Tante Rosl zu seiner Frau am Telefon gesagt hat: „Schwarzhaarig!“ Das ist der dicke Herr mit Glatze nun wirklich nicht und auch nicht ´schlank`, das zweite Erkennungsmerkmal für den amerikanischen Schwipp-Schwager. Deshalb dreht sich Bernhard schnell um und rennt eilig zu einem der Telefone. In der Nebenzelle telefoniert bereits der Japaner mit den zwei Kameras auf der Brust. Er lächelt schlitzäugig freundlich zu Bernhard hinüber, aber der hat kein Auge für asiatische Höflichkeit. Er wählt hektisch. Die Nummer ist besetzt. Aufgeregt sieht er auf die Uhr. Späht in die menschenvolle Halle. Der Japaner verlässt jetzt japanisch still vor sich hinlächelnd die Telefonzelle nebenan und geht zum Ausgang. Bernhard versucht erneut den Anschluss zu kriegen. Diesmal hat er Glück. Die Nummer ist frei und Tochter Amelie meldet sich mit dem Versuch eines Scherzes. „Ich nix verstehn, du verstehn?“ Bernhard ärgert sich über die blöde Frage, seinen Vorsatz in Zukunft relaxt zu sein und über den Dingen zu stehen hat er schon wieder vergessen. „Was soll denn der Quatsch, Amelie!“ raunzt er ins Telefon. „Tschuldigung, Papa. Ich hab gedacht es wär noch mal der Onkel Henry, der hat nämlich gerade angerufen …“„Von wo hat er angerufen?“ will Bernhard wissen und erhält kurz und knapp die Antwort. „Was weiß ich. Der hat nur amerikanisch geredet. Wo bist du jetzt?“ „Im Flughafen, wo sonst. Hab ihn irgendwie verpasst“, schnauft Bernhard aufgeregt und muss sich von seiner Tochter sagen lassen „Jetzt lass ihn halt ausrufen, Papa. Mach doch kein Drama draus!“ Bernhard nimmt den guten Rat zur Kenntnis, handelt aber nicht danach, legt wortlos den Hörer auf und rennt aus der Halle. Der VW-Bus im absoluten Halteverbot hat sein quäkendes Hupen inzwischen eingestellt, die Batterie ist am Ende. Dafür klebt ein Ticket wegen Falschparkens an der Windschutzscheibe. Wieder mal kommt für Bernhard eines zum anderen. Da bleibt keine Zeit zu relaxen, man muss aus der Haut fahren. Stinkig reißt er den Strafzettel unter dem Scheibenwischer hervor und klettert ins Fahrzeug. Anspringen will der VW-Bus auch nicht mehr – dafür hat er viel zu viel Strom verbraucht mit seinem nervigen Hupkonzert. Es ist echt zum Heulen.

      *

      Dieses Problem kennt DAS ETWAS allerdings nicht. Woher auch? Menschliche Gefühle, Emotionen, sind der Puppe fremd. Noch fremd! Ruhig und geduldig sieht sie zu, wie eine ältere Frau ihr gestenreich zu erklären versucht, wie man am Fahrkartenautomaten ein Ticket für die U-Bahn löst.

      „Es ist sehr schwierig“ erläutert die freundliche alte Dame immer wieder, sie hat selbst Monate gebraucht um das komplizierte Karten-Auswahl-System zu verstehen. „Wissen Sie, früher war das ganz einfach. Man ist eingestiegen in die Trambahn, dann kam der Schaffner oder die Schaffnerin und rief: ‚Herrschaften, die Fahrkarten, bitte!‘ oder: ‚Hast du keinen – kauf dir einen‘! Das war dann natürlich ein Scherz. Und dann hat man ihnen seinen Groschen gegeben, den haben sie in eine kleine Geldwechselmaschine gesteckt, die sie in einem Ledergurt um den Bauch vor sich hertrugen. Und dafür hat man dann den Fahrschein bekommen, der allerdings vorher noch mit einer silbernen Zange durchgeknipst und damit entwertet wurde. Das ganze selbst für Kinder ohne Schwierigkeiten oder Probleme. Einen davon hab ich sogar noch zu Hause … aus der guten alten Zeit“. Und dann lacht die alte Dame in der Erinnerung und wundert sich zugleich, dass das junge Mädchen nicht mit lacht über die doch wirklich komische Episode aus ihrer Vergangenheit. „Ja, früher war alles anders aber nicht unbedingt besser, mein Kind!“ seufzt die alte Dame und kramt in ihrem Portemonnaie nach einer Münze. Eine U-Bahn fährt ein und ehe sich DAS ETWAS versieht, ist die Frau flink wie Wiesel davon geeilt und in einem der letzten Waggons verschwunden. Die Puppe starrt auf die Münze in

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