Seine Sensible Seite. Amalia Frey

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sagte, Sie sollen mir meinen roten Faden geben!«

      Brüskiert zog er ihn vom USB-Hub ab und reichte ihn mir nahezu zärtlich.

      »Danke. Und nun muss ich Ihnen mitteilen, dass Ihr Vater mir seine Geschichte nicht ohne Grund so erzählt hat. Ich denke mittlerweile, er möchte, dass …«

      »DAS möchte er ganz sicher nicht! Sie haben keine Ahnung, was er will und …«

      »Seit wann wissen Sie denn so gut über Ihren Vater Bescheid? Sie sind doch nie hier!«, brüllte ich lauter als er zurück, keine Ahnung, wie ich das machte.

      Daraufhin schlug er auf seinen Tisch und schrie: »Wenn Sie es wagen, nur eine Zeile über die Schneids zu veröffentlichen, dann GNADE IHNEN GOTT.«

      Das konnte ich auch: Meine Faust schmetterte so kraftvoll auf seine edle Tischplatte nieder, dass seine Kaffeetasse umkippte: »Ihr Vater hat mich mit den Rechten an der Geschichte betraut UND ICH WERDE SEINEM WUNSCH NACHKOMMEN!«

      »NICHT SOLANGE ICH SEINE ANGELEGENHEITEN ORDNE!«

      Daraufhin wählte ich eine mächtigere Strategie als Brüllen. Gefährlich leise und betont ruhig fixierte ich seine funkensprühenden grünen Augen und zischte: »Ich lasse mich von niemandem anschreien, Doktor Schneid. Ihre Daddy-Issues sind nicht mein Problem.«

      Damit drehte ich ihm meinen Arsch zu und verließ zufrieden sein Büro.

      Diese Beine …

      °°°

      Danni wohnte mit ihren beiden Kindern nur einen Katzenwurf weit von Woolf und mir entfernt. Ihr Sohn Charlie und Woolf waren beste Freunde, wenngleich Woolf mittlerweile aufs Gymnasium ging und Charlie Nachhilfe gab. Sie gingen zum Kung-Fu und am Wochenende zum Fußball spielen. Ich half der Familie bei den bürokratischen Angelegenheiten, hatte zum Beispiel Dannis Bewerbungsmappe erstellt, mit der sie vor einem Jahr einen Job bei einem Gebäudetechnikunternehmen ergattert hatte. Oft kochten wir zusammen, Danni und ich gingen einmal im Monat tanzen und zweimal die Woche zum Sport.

      Bin schon bei auf dem Stepper, simste ich Danni an diesem Morgen um 9:00 Uhr. Wir hatten uns um 10:00 Uhr vor dem Fitnessstudio verabredet. Nach wie vor kochte ich vor Wut, wegen der Vorwürfe von Doktor A am Vortag und musste mich abreagieren.

      Danni betrat den Saal pünktlich und kam zu mir. Ich erkannte sie sofort von weitem, ihre solariumgebräunte Haut, die vollschlanke Figur, das platinblonde Haar, ihre stets leuchtenden Augen und ihre Art zu gehen, als habe sie immer noch fünfzehn Kilo mehr auf den Rippen.

      »Scheiße Austen, was is‘n nun kaputt?«, begrüßte sie mich.

      »Woolf hat mich rausgeschmissen, bin ihm wohl zu laut grummelnd auf- und abgegangen, da hat er gesagt, ich soll Sport machen gehen.«

      »Immer noch der olle Doktor?«

      »Erwähn ihn nicht! Ich bin hier, um mich von dem abzulenken.«

      Danni linste auf die Anzeige meines Steppers und sah, wie viele Kalorien und Kilometer ich bereits abgearbeitet hatte.

      Natürlich hatte ich ihr von dem Vorfall erzählt, weswegen sie vorgeschlagen hatte, dass wir den Hau-Drauf-Kurs besuchen sollten, damit ich mich etwas auspowern könne. Normalerweise hätte ich sie zum Yoga begleitet.

      »Vor Energie scheinst du zu platzen, das kann ja heiter werden«, stellte sie fest und wuselte in die Umkleidekabine.

      Kurz darauf fragte uns die astrein durchtrainierte Svetlana: »Seid ihr bereit abzurocken?«

      Ich schrie lauter als die Musik und ihr Headset: »Ja, verdammt. Lass loslegen!«

      Der Kurs verband Kampfsportelemente mit Tanzbewegungen. Wir hüpften, kickten, boxten, traten, stampften und schlugen uns durch den Saal, verprügelten einen imaginären Gegner nach Strich und Faden. Mit Kung-Fu oder Karate hatte das freilich wenig zu tun, aber es machte immer saumäßig viel Spaß. Farin Urlaub sang: »Tritt mich noch einmal und hau mir eine rein. Lass mich bluten wie ein Schwein ...«, und ich schrie: »Jawollja, blonder alter Sack, das kannst du haben!«

      Sehr befremdet sahen mich die anderen Kursteilnehmerinnen an, aber Svetlana schien über meinen Enthusiasmus froh zu sein. Nicht selten war ich Kursbeste, doch heute tat ich mich wohl besonders hervor.

      Nach der Einheit hatte ich immer noch Wut und Energie übrig und traf mich am Nachmittag spontan mit Valeria zum Laufen. Natürlich hielt sie mir einen Vortrag darüber, dass mein Übertraining genau das Gegenteil von gut für meinen Körper sei. Sie merkte aber schnell, dass ich mich abreagieren musste und Gegenrede bei mir auf verbrannte Erde fiel. So tat sie geduldig mehr, als es die Aufgabe einer bloßen Laufpartnerin war, und hörte sich, während wir durch den Park walkten, wieder und wieder mein Geschimpfe an.

      Viertens

      Der unvergleichlich schrille Klingelton von Doktor A weckte mich des nächtens aus meinem Traum. Ich hatte vergessen, das Telefon leise zu stellen, und stellte mich tot. Es bimmelte ewig. Und kaum endete es, ging es erneut los. Der Schnösel versuchte es ganze vier Mal. Ich dachte tatsächlich darüber nach ranzugehen. Dann Stille. Grinsend atmete ich aus und drehte mich um. Sofort läutete es wieder – Saschas Klingelton! So schnell, wie ich konnte, hob ich ab.

      »Ja?«, stieß ich wacher hervor, als mir lieb war.

      »Frau Lux …«, brummte die verhasste Stimme seines Sohnes.

      »Was zum …?«

      »Bevor Sie toben, es geht um meinen Vater.«

      Der Tonfall von Doktor A klang ungewohnt … brüchig. Schlagartig war ich hellwach. Er brauchte nichts weiter zu sagen, nichts anzudeuten – ich verstand alles. »Ich bin unterwegs.«

      Mitten in der Nacht und unter der Woche schläft manchmal sogar eine Stadt wie Berlin. Zum Glück lag heute eine Ruhe in ihrer Aura, die ausgeschaltete Ampeln, leere Zebrastreifen und nicht zuletzt freie Straßen mit sich brachten. In Rekordzeit fuhr mich mein Sportage von Pankow zur Charité, auf wackeligen Beinen rannte ich am Pförtner vorbei, den bekannten Weg durch die sterilen Gänge in Saschas Zimmer.

      Da lag er, und bei ihm saß sein Sohn. Er hielt die Hand seines Vaters, kämpfte sichtlich mit den Tränen und zuckte zusammen, als ich den Raum betrat. Sofort kehrte Härte in sein Gesicht zurück, dann erhob er sich und drehte mir den Rücken zu. Ich tat ihm den Gefallen, suchte nicht nach seinem Blick, sondern trat neben ihn und schaute Sascha an.

      Er war fast weg, doch er schien meine Anwesenheit zu spüren. Ein schwaches Lächeln umspielte seinen eingefallenen Mund. Noch immer hielt Doktor A seine Hand und drückte sichtlich fester zu, als ich zärtlich die Schulter seines Vaters streichelte und nach der anderen Hand fasste.

      Sturzbäche aus Tränen säumten mein Gesicht, schon seit ich aus dem Auto gestiegen war. Nun entfleuchte mir ein klagendes Schluchzen. Nicht eine Sekunde dachte ich darüber nach, vor dem Stinkstiefel neben mir Haltung zu wahren.

      Dann holte Sascha schwach Luft und er flüsterte etwas. Es war der Name Austen. Ich brach zusammen, vergrub meine Stirn an seinem spindeldünnen Arm. Noch einmal entrann ihm ein Wort. Alexander. Hatte der

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