Der Totenflüsterer. Dietmar Kottisch

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Der Totenflüsterer - Dietmar Kottisch

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aber der Schock sollte nicht lange auf sich warten lassen.

      Es war ein rosa Blatt Papier, eine typische Briefunterlage für junge Mädchen. Das Datum stand oben rechts, es war der 13. August 1961, also kurz vor ihrem Tod! Roland hieß er also, dachte Klara. Sie las die typisch nach links gerichteten Buchstaben langsam und erwartungsvoll. Sie bemerkte plötzlich, wie die Schrift ein wenig aus der Art schlug, so als habe Sarah damals beim Schreiben gezittert. Sie wollte den Brief wahrscheinlich noch abschicken.

      „Lieber Roland, lieber Äppli.

      Kein Mensch außer dir darf diesen Brief lesen, niemand!

      Ich bin aufgeregt, ich zittere am ganzen Leib.

      Du erinnerst dich noch bestimmt an den letzten Tag in der Scheune?

      Ich war gestern bei einem Arzt, nicht bei unserem Hausarzt…..“

      Sie begann etwas zu ahnen, und bevor sie weiter las, bevor die Ahnung zur Wirklichkeit wurde, senkte sie den Brief und lehnte sich zurück.

      In dem Moment kam Paul ins Wohnzimmer. Er setzte sich zu ihr und sah sie an. „Was ist? Du bist so blass, was ist los?“ Dann bemerkte er den Brief in ihrer Hand, nahm ihn und begann zu lesen. Klara schaute ihm ins Gesicht, wollte seine Reaktion sehen. Dann sah sie, wie seine Augen schmal wurden, dann sah sie, wie er den Kopf schüttelte, dann schaute er hoch.

      „Sie war schwanger, ja?“

      Sie zog ihm den Brief aus der Hand und las ihn laut vor.

      „Ich bin seit Wochen über meine Tage… lieber Roland, lieber Äppli. Der Arzt…der hat mich untersucht und der hat gesagt, dass ich schwanger bin, du wirst Vater!“

      “Ich will nichts mehr von deinen Stimmen hören. Das ist grausam, Paul, das ist….. ich kann nicht mehr, das halt ich nicht mehr aus. Das muss ich nicht wissen, so etwas muss ich nicht wissen. Das.. das …ist ihr Leben gewesen, nicht meines, meine kleine Schwester war schwanger… Paul…!“

      Tränen schossen aus ihren Augen. „Sarah war schwanger, Sarah war mit vierzehn Jahren schwanger. Das gibt es nicht, Paul.“

      Er konnte nichts anderes tun als dazusitzen und zuzuschauen, wie seine Frau litt. Er fühlte, dass es jetzt nicht ratsam wäre, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten.

      „Sie hat es für sich behalten, sie hat es mir nicht gesagt, sie hat… sie musste alleine damit fertig werden, oh Paul. Dieser.. dieser Äppli hat es auch nicht gewusst, sie hat den Brief nicht abgeschickt.“ Sie schaute ihn verzweifelt an.

      „Wenn ich mich mit diesen Stimmen nicht befasst hätte, wüsste ich so etwas nicht, hätte vielleicht nie den Koffer aufgemacht, hätte ihn vielleicht irgendwann verbrannt, „ weinte sie und setzte sich wieder neben ihn auf die Couch. Er atmete tief ein und schaute sie von der Seite an. Sie wischte ihre Tränen mit ihren Fingern ab, das Schluchzen wurde weniger, und bald atmete sie wieder normal.

      Dann legte er seinen Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. „Tut mir Leid, aber das habe ich nicht gewollt, Schatz. Wirklich, tut mir sehr Leid.“

      „Du kannst ja nichts dafür. Ich hab immer gedacht, wir haben keine Geheimnisse voreinander, weißt du, Sarah und ich.“

      „Aber sie hat ein Recht, dieses Geheimnis für sich zu behalten. Vergiss bitte nicht, jeder Mensch hat ein Recht auf eine intime Sphäre.“

      Sie nickte.

      „Und außerdem kannst du nicht wissen, ob sie es dir immer noch sagen wollte, kam aber nicht mehr dazu….“

      „Es ist, als erlebe ich diese Zeit jetzt noch einmal. Es tut weh.“

      „Das glaub ich dir. Und mir tut es weh, dass ich dir nicht helfen kann.“

      Es dauerte eine ganze Weile, bis sie den Satz herausbrachte: „Es ist unglaublich, aber jetzt weiß ich, dass sie in irgendeiner Sphäre weiterlebt. Und vielleicht bei uns ist.“

      Klar, das Tagebuch mit seinen Offenbarungen wäre vielleicht auch durch eine andere Gelegenheit gelesen, und der Brief wäre auch gefunden worden, oder auch nicht.

      Paul spürte dennoch Schuldgefühle.

      Er stand auf und ging auf die Terrasse, atmete die frische, kalte Luft draußen. Das Thermometer zeigte plus vier Grad.

      Die Beschäftigung mit den Stimmen kann das Leben verändern, dachte er. Sollten wir Sarah einmal darauf ansprechen? Was sie wohl antworten würde? Er behielt den Gedanken für sich, er würde es einspielen, aber Klara nichts davon erzählen. Sie war jetzt verwundet worden.

      So langsam wurde ihm bewusst, weshalb Klara so entsetzliche Gedanken hatte, wenn es um ihre Schwester ging. Sie hatte ihm vor Jahren erzählt, wie innig die beiden waren, ein Herz und eine Seele, sie hatten keine Freundinnen, sie hatten nur sich. Sie hatten alles von außen kommende abgeschirmt, lebten wie ein einem Kokon, teilten fast alle Gedanken, fast alle Gefühle. Im Grunde genommen waren sie nicht auf das Leben vorbereitet, auf den notwendigen Kontakt mit anderen Menschen außerhalb ihrer Wohnung. Dieses ganze Verhalten wurde von den Eltern gesteuert. Auch sie hatten keine Freunde, mit denen sie sich ab und zu trafen, sie hatten keinen Kontakt zur Gemeinde. Lediglich der sonntägliche Kirchgang befreite sie aus der Enge der Familie. Aber auch da kam es zu keinen Freundschaften oder Bekanntschaften. Der Pfarrer versuchte es, wurde aber diplomatisch abgewiesen. Nur die Geburtstage waren die Ausnahmen. Es war eine zurückgezogene, fast scheue Familie.

      Am nächsten Abend begann er mit den Einspielungen. Er vergewisserte sich, daß Klara nicht in der Nähe war; sie bekam eine leichte Grippe und war nach oben ins Schlafzimmer gegangen; scheinbar hatte Holänder mit seinen Grippebazillen um sich geworfen und sie hatte ein paar eingefangen. Er brühte sich einen leichten Oolong Tee auf und versuchte, seine Alltagsgedanken über die Geschäfte abzuschalten.

      Er holte seinen Block hervor und schaltete das Gerät ein. Er notierte Datum und Uhrzeit und sprach ins Mikro. „Vierundzwanzigster Oktober neunzehnhundertachtzig, einundzwanzig Uhr…sechs. Ich begrüße Esther. Ich würde gerne Sarah, die Schwester von Klara Schuster sprechen.“

      Er blieb immer noch bei der Mikrophonmethode, dachte dann aber, vielleicht würde er bald zur Radiomethode umsteigen. Damit soll es wesentlich bessere Einspielungen geben.

      Er ließ das Band fünf Minuten laufen. Während dieser Zeitspanne saß er bequem angelehnt und blickte nach draußen in die Dunkelheit. Die fünf Minuten waren vorbei. Er stoppte, notierte die Bandlaufnummer und spulte zum Ausgang zurück. Dann setzte er die Kopfhörer auf und konzentrierte sich. Dann kam das bekannte Rauschen von der Akustik des Arbeitszimmers, zwischendurch ein seltsames Knacken, bis er die erste Stimme hörte. Es war eine tiefe Männerstimme >Gute Tee mein Freund< - - - - - dann >Tag Paule< - - - - dann eine ihm bekannte Stimme >Esther wartet hier lange schon Tag und Nacht< . Noch schlug sein Herz ruhig, noch war seine Atmung gleichmäßig. Wieder langes Rauschen – und plötzlich schreckte er hoch! Sie war es, diese Jungmädchenstimme wie hin gehauchte Rufe aus dem Ende eines Tunnels.

      < Schwanger mein Kind .. > dann eine kurze Pause, dann <Sarah Paul Klara>. Wieder eine Pause, dann < Radio besser is….Radio>. Die letzte Aussage kam von Esther.

      Er überlegte: typisch für die Paranormalität ist die scheinbar verkehrte Satzgliederung, die wir nicht gewohnt sind. Sie sagt, dass sie schwanger war, vielleicht ist es so zu übersetzen: „es ist mein Kind, ich bin schwanger“.

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