Der Totenflüsterer. Dietmar Kottisch

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Der Totenflüsterer - Dietmar Kottisch

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      Sie fuhren hin, parkten den Wagen und gingen in das Büro der Friedhofsverwaltung. Ein junger Mann, wahrscheinlich Student, schaute sie konsterniert an, als Paul die Grabstätte von Esther Reschke wissen wollte.

      „Wann ist sie denn beerdigt worden?“ fragte er und legte sein mit Käse belegtes Brot zur Seite.

      „Um den dreizehnten, vierzehnten April herum.“

      „Neunzehnhundert?“ Er griff nach einem Kugelschreiber und knabberte an ihm herum.

      „Sechsundsechzig…..“

      „Wann? Sechsundsechzig? Du meine Güte, die Unterlagen liegen in einem anderen Raum. Das ist ja eine Ewigkeit her…..“

      „Das ist ja auch für die Ewigkeit gedacht,“ erwiderte Paul, der merkte, dass dem jungen Mann jeder Handgriff zu viel war. „Aber Sie sind ja die Liebenswürdigkeit in Person und schauen mal nach, ja?“

      Die Liebenswürdigkeit erhob sich schwerfällig von seinem Stuhl, schraubte die Thermoskanne zu, als habe er Angst, Paul und Klara würden ihm seinen Kaffee wegtrinken. Dann schlürfte er aus dem Raum. Paul und Klara setzten sich auf die Stühle und warteten. Nach etwa sieben Minuten schlürfte er wieder zurück und hielt einen Zettel in der Hand. „Abschnitt D, Gang vierzehn, Grab sechshundertneunundachtzig, wenn’s Recht ist.“

      „Es ist uns sehr recht.“

      Zehn Minuten später standen sie vor Esthers Grab. Ein einfacher Stein verkündete die Worte: "Jetzt hast Du Frieden Esther 1934 – 1966". Und in der Mitte des gut gepflegten Grabes steckte eine Vase mit frischen Astern.

      Zu Hause öffnete Paul seine kleine Ledertasche, in die er die Kopien der Zeitungsausschnitte gelegt hatte. Er wollte die restlichen Ausgaben durchlesen, während Klara Tee kochte.

      Dann kam sie mit der Kanne und den Tassen. Sie setzte sich an den Tisch zu Paul und schenkte Tee ein. Nach einer Weile der Besinnung sagte sie: „Mir wird jetzt erst so langsam bewusst, was wir machen. Wir erforschen ein Leben, das vor langer Zeit zu Ende gegangen ist – und stellen fest, dass es gar nicht zu Ende ist, dass es im üblichen Sinne kein Ende gibt.“

      „Ein Kreis hat keinen Anfang und kein Ende,“ sinnierte er und begann die Kopien der Zeitungsausschnitte zu lesen.

       Unser Reporter befragte die Nachbarn. Fast alle sagten aus, dass schon seit langem in dieser Wohnung Streit, Kräche, Flüche zu hören waren. Auch haben sie oft gehört, wie er brüllte, dass er sie alle umbringen wolle. Die Ehefrau Esther R. wurde oft mit einem blauen Auge gesehen. Die Kinder flüchteten manchmal abends aus der Wohnung. Sogar das Sozialamt wurde informiert, das aber nicht eingreifen konnte oder wollte. Der Ehemann Wilhelm wurde oft von der Polizei aufgegriffen, weil er nachts betrunken auf der Strasse randalierte.

       Die Schwester der Verstorbenen, I. K., war zu keiner Aussage bereit.

      Und plötzlich stutzte er.

      „Ich glaub es nicht. Ich glaub es einfach nicht,“ rief er. Klara blickte auf und beugte sich zu ihm.

      „Hier. Da hat ein Reporter versucht, die Schwester von Esther zu interviewen. Hier, siehst du das Bild? Hier.. die Frau in der Haustüre! Der Reporter wollte sie interviewen, aber sie hatte nichts zu sagen, gar nichts. “

      „Ja? Kennst du sie?“

      „Natürlich, das ist eine Frau aus unserer Gruppe in Wiesbaden. Sie heißt Irmgard Kowalski.“

      Er schüttelte den Kopf. Dann legte er die Kopie zur Seite und schaute Klara an.

      „Diese Irmgard hatte einmal in Eltville gewohnt. Als ich bei unserem letzten Treffen davon berichtete, was Esther mir mitteilte, klappte sie zusammen, ein Schwächeanfall, wie sie sagte. Sie hat uns aber nicht gesagt, dass Esther ihre Schwester ist. Sie hat sogar gesagt, sie kenne die Leute nicht.“ Er machte eine Pause. Dann fuhr er fort. „Jetzt kann ich es verstehen. Wer bekennt sich gerne zu einer Familie, in der der Neffe den Vater ermordet hat?!“

      „…und in der der Schwager ein Alkoholiker und brutaler Schläger ist…..“ ergänzte Klara. Paul nickte. „Sie hat sich einfach geschämt.“

       9.

      Sonntag, 9.11. 1980, kurz nach 10 Uhr vormittags. Die Einspielungen übers Radio wurden für Paul selbstverständlich. Er experimentierte kaum noch übers Mikrophon. Er saß wie immer in seinem Zimmer, hatte die Kopfhörer auf und lauschte in die Unendlichkeit des Alls. Das weiße Rauschen und die hintergründigen Geräusche von mehr oder weniger guten Stimmen bannte er aufs Tonbandgerät.

      Er überlegte, ob er Klara sagen sollte, dass ihm Sarah ihre Schwangerschaft bestätigt hatte.

      Und dass sie von diesem ekelhaften Eckhard vergewaltigt worden ist?

      Er überlegte, wie er es Irmgard Kowalski sagen sollte, dass er die Wahrheit kannte.

      Draußen hörte er eine Krähe. Er sah zum Fenster, und innerhalb der nächsten Minuten flogen immer mehr Krähen auf den Strommast und auf die Baumgipfel, ihr Krächzen erfüllte die Luft. Nach kurzer Zeit sah er sich einer Szene aus dem Hitchcock Film „Die Vögel“ ausgesetzt. Die ganze Landschaft war schwarz voller Krähen.

      Plötzlich flog eine in die Lüfte, und wie Lemminge ins Wasser laufen, folgten die anderen zirka zweihundert Tiere hinterher und verschwanden unter lautem Krächzen am Horizont. Ein schauriges Bild, fand er.

      Er schaltete Radio und Tonband ein und bat Esther um Kontakt.

      Mit einem Mal war sie wieder da, die Stimme, sie saß genau an seinem Ohr, war lauter und deutlicher. Ihm kam es vor, als würde sie brüllen: >Mörder – Huckepack<.

      Er zuckte zusammen, begann zu zittern.

      Sein Adrenalin schoss wie an einer Quecksilbersäule nach oben.

      Schon wieder! >Mörder – Huckepack<.

      Er war wie paralysiert, konnte sich nicht bewegen, starrte auf seinen Block.

      >Mörder – Huckepack<

      Sekunden später schien ihm wieder jemand mit einem scharfen Messer in den Rücken zu stechen, aber er konnte nicht brüllen, obwohl ihn der Schmerz fast betäubte.

      >Mörder – Huckepack<

      Er presste eine Hand auf den Rücken, bohrte den Daumenknochen hinein.

      >Mörder – Huckepack >

      Sein Herz hämmerte.

      Nach fast einer Minute war alles vorbei, der Schmerz im Rücken, die brüllende Stimme. In der zitternden Hand hielt er noch den Kugelschreiber, mit dem er Datum, Uhrzeit, Bandnummer und Bandlaufnummer notieren wollte, die andere lag auf der Stop-Taste.

      Keine andere Stimme schien da zu sein, nicht die der Freunde, nicht die von Esther, niemand. Er lehnte sich zurück, als plötzlich wieder diese unerklärlichen Schuldgefühle auftauchten und sich zäh in seinem Gefühlschaos ausbreiteten. Nach einer kurzen Zeit jedoch verschwanden sie wieder, wie auch die Ängste

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