Der Totenflüsterer. Dietmar Kottisch

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Der Totenflüsterer - Dietmar Kottisch

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Jahre alt<.

      Paul fühlte, wie sein Herz heftig schlug, als er das Gesicht von Esther vor sich sah. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, die Frau zu sehen, die schon lange tot war und trotzdem seit vier Jahren zu ihm sprach. Sie hatte ein schmales Gesicht, kurze schwarze Haare, dunkle, ausdrucksvolle Augen und einen sinnlichen Mund. Ihr Blick wirkte reserviert. Unwillkürlich schaute er zur Decke, als wolle er sagen: „Jetzt kenn ich dich besser, Esther“. Seine Hände zitterten so sehr, dass es Klara auffiel. „Ist schon komisch, was Paul?“ flüsterte sie, und Paul nickte nur. Und beide saßen da und starrten auf den Bericht.

       Eltville, 11.April 1966. Hammermörder erst 14 Jahre alt.

       Am Abend des 10. Aprils 1966 ereignete sich hier in Eltville eine Familientragödie. Der arbeitlose Kraftfahrer Wilhelm R. (39), der durch seinen übermäßigen Alkoholkonsum erst seinen Führerschein und dann seine Arbeit verloren hatte, misshandelte über Jahre seine ganze Familie. Seine Frau E.(32) musste ihren Lohn als Verkäuferin abliefern, damit er sich seinen Schnaps besorgen konnte. Im Rausch verprügelte er sie bei jeder Kleinigkeit. Seinen Sohn H.(14) und seine Tochter L.(10) misshandelte er ebenso.

       Als sich an jenem Abend seine Frau E. weigerte, ihm Geld zu geben, weil sie Lebensmittel einkaufen musste, schlug er sie so hart ins Gesicht, dass sie mit dem Kopf an eine Tischkante stürzte und ohnmächtig liegen blieb. Er nahm ihr das Geld ab und ging in seine Kneipe. Sein Sohn H. rief den Notarzt an, der die Frau sofort ins St.Josefs-Hospital in Wiesbaden einliefern ließ. Dort verstarb sie am frühen Morgen des elften April. Als der Vater nach Hause kam und sich volltrunken ins Bett legte, erschlug ihn sein Sohn mit einem Hammer.

      Dann sahen sie das Foto eines Mannes. Darunter: „Wilhelm R.(39)“.

      Er hatte ein schmales Gesicht, dunkle Augen, glatte, nach hinten gekämmte Haare, eine gerade Nase und enge, zusammen gepresste Lippen.

      Esthers Worte liefen wie ein Spruchband vor seinem inneren Auge ab:

      <Esther sehr traurig…lieber Paul>

      <Meine Kinder Heiner und Lore…traurig…>

      <Hammermörder>

      „Ihr Sohn Heiner hat also ihren Mann getötet…,“ flüsterte Klara.

      „Mir ist kotzübel…. Ich muss hier raus…..!“

      Er stand auf und ging die Treppe hoch. Frau Weil sah ihn. „Sie möchten nach draußen, Herr Klein?“

      „Ja, bitte. Ich muss nur etwas frische Luft schnappen.“ Seine Worte waren mehr ein Krächzen. „Schlimm, so was, nicht wahr?“

      „Grausam!“

      „Ich kann mich gut daran erinnern.“

      Paul wollte nicht mit ihr reden und eilte zum Ausgang. Draußen blieb er stehen und atmete einmal tief durch. Die kalte Winterluft tat ihm gut. Fünf Minuten später kam Klara nach. Sie standen nebeneinander da und schauten auf die Durchgangsstrasse und auf den Verkehr. „Es ist, als wären Esther und ihre Kinder unsere Freunde….,“ sagte sie und steckte die Hände in die Manteltaschen. Sie sind es…irgendwie, dachte Paul.

      „Ich könnte jetzt eine Zigarette gebrauchen.“

      Paul hatte vor Jahren mit dem Rauchen aufgehört. In kritischen Momenten seines Lebens überkam ihn die Lust, aber immer blieb er hart gegen sich selber, denn die Zeiten der Entwöhnung waren auf Kosten seiner Nerven zu teuer erkauft.

      Klara hatte nie geraucht.

      Nach ein paar Minuten gingen sie wieder hinein. Frau Weil beobachtete sie neugierig. Arme Verwandte, sagte ihr Blick.

      In der übernächsten Ausgabe kam die Fortsetzung der Tragödie.

       Der 14jährige Heiner R. erzählte den Kripobeamten, unter welchen grausamen Bedingungen er, seine Schwester Lore und seine Mutter leben mussten. Der Vater Wilhelm R. habe seine Schwester jeden Tag verprügelt und noch andere Dinge mit ihr angestellt. Näheres wollte der Junge, der noch unter Schock stand, nicht sagen. Er selber habe bereits gezittert, wenn er seinen Vater nur im Hausflur hörte. Die Szene an diesem Abend war für die Kinder alltäglich. Wenn der Vater herumbrüllte und herumtobte, verkrochen sie sich und mussten zusehen, wie er ihre Mutter drangsalierte. Nachdem sie mit dem Kopf gegen eine Tischkante gestürzt war und regungslos liegen blieb, nachdem der Vater Wilhelm ihr das Geld aus der Tasche genommen hatte und nach draußen gegangen war, rief der Junge einen Notarzt an, der mit seiner Mutter sofort ins Krankenhaus fuhr. Die Nummer dieses Notarztes hatte der Junge immer parat!

       In dieser Nacht muss in ihm die ohnmächtige Wut so mächtig geworden sein, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah, als den Vater zu töten. Als er sah, wie der Mann betrunken in die Wohnung torkelte und sich gleich ins Bett warf, holte er aus der Werkzeugkiste einen Stielhammer. Dann ging er ins eheliche Schlafzimmer und zertrümmerte seinem Vater mit 20 Schlägen den Kopf. Einem Reporter gelang es, Fotos der Polizei in die Hände zu bekommen.

       Heiner R. wurde in die „Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kinder- und Jugendalters Rheinhöhe“ in Eltville-Erbach gebracht. Um seine Schwester Lore kümmerte sich zunächst das Jugendamt.

      Auf einem Foto war das zerschmetterte Gesicht eines Mannes zu sehen, die demolierte Kinnlade, der offene Mund ohne Zähne, einige lagen auf dem Bett, viel Blut, geschwollene, weit aufgerissene Augen, kaputte Nase.

      Klara und Paul erschauderten.

      „Heiner müsste heute ….achtundzwanzig sein, und Lore vierundzwanzig,“ flüsterte Klara und faltete ihre Hände und stützte ihr Kinn darauf.

      „Was müssen diese Menschen durchgemacht haben in ihrem Leben,“ stöhnte Paul. „Lass uns gehen. Lass uns einen Tee trinken.“

      „Frag, ob du von den Artikeln eine Fotokopie machen kannst.“

      „Warum?“

      „Überleg doch mal, Paul. Für deine Unterlagen, für Wiesbaden, für die Beweise deiner These, dass die Stimmen identisch sind mit einer wirklichen Person.“

      Er rieb sich die Stirne. „Natürlich, du hast Recht.“

      Sie erhielten die Erlaubnis, Fotokopien machen zu dürfen. Der Kopierer stand in einem anderen Raum. Sie kopierten die Berichte und steckten sie in einen Umschlag. Dann blätterten sie die anderen vier Ausgaben durch und kopierten auch diese Artikel, die sie zu Hause lesen wollten.

      Eine Viertelstunde später bedankten sie sich, und verließen das Gebäude. Draußen fiel weiter Schnee. Sie gingen in ein Cafe in der Nähe.

      Paul bestellte sich einen Tee, und schüttelte den Kopf, als er einen Beutel in einem Glas bekam, und schüttelte weiter den Kopf, als auf der Untertasse ein Stück Zitrone lag. „Keine Kultur!“ brummte er. Klara bestellte sich einen Espresso. Sie saßen da und waren in Gedanken versunken.

      „Wenn wir schon hier sind, „sagte Paul, „sollten wir auf den Friedhof gehen, zu ihrem Grab, was meinst du?“

      „Frag doch bitte die Frau, ob sie weiß, wo Esther liegt.“

      Paul nickte. Er trank seinen Tee und stand auf. „Zahl du bitte, wir treffen uns in fünf

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