das goldene Haus. Sabina Ritterbach
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Читать онлайн книгу das goldene Haus - Sabina Ritterbach страница 13
Als zwölf jähriges Mädchen hatte ich mich in einen Jungen verliebt, der jedes Jahr in unserem Dorf bei Verwandten Ferien machte. Ich tat alles für ihn. Schon immer hatte ich das Gefühl, dass man für Liebe viel tun muss. Für ihn lernte ich die Knie- und Riesenwelle an der Teppichklopfstange. Ich schwamm unter der dunklen Brücke durch und balancierte auf dem Geländer, ich warf mich im Fußballtor dem Ball entgegen. Meine Schwester tat nichts, sie lag auf der Wiese und räkelte sich, und er wollte neben ihr liegen. Ich flüchtete in mein Bett, da hörte ich seinen Schrei, er war barfuß in die Gartenharke getreten. Und in der Küche hörte ich jemanden sagen: "Hoffentlich ist er gegen Tetanus geimpft." Da zog ich meine Bettdecke über den Kopf, und halberstickt weinte ich, ich war unglücklich, weil ich ihn so liebte, und glücklich, weil er nun sterben musste. Es hatte sich also rein gefühlsmäßig nicht viel bei mir getan. Vielleicht hatte ich immer zu viel getan, hatte ich das Wesentliche verpasst? Hätte ich lieber auf der Wiese ... Ich stocherte schon wieder in mir herum. Heute würde ich die Antwort nicht mehr finden, außerdem wurde mir kühl, Wind und Wolken kamen auf. Meine Augen tasteten über das Moor, sie suchten eine Abkürzung. Abkürzungen sind mein Verderben, ich finde immer eine und kann ihnen nicht widerstehen. Der kleine Weg, der mir stundenlanges Fahren auf der Autobahn ersparen soll, wird zur Falle, entnervt und ramponiert komme ich viel zu spät ans Ziel. Aber, wie gesagt, die Abkürzung winkte, schon war ich unterwegs, und im Torfgraben, von Loch zu Loch, von Graben zu Graben arbeitete ich mich vorwärts. Mühselig umging ich die private Müllkippe unserer Nachbarn. Weit verstreut lagen die rotblauen Milchtüten, Konservendosen, Plastiktüten und Flaschen, in dieser auch so schönen Gegend herum.
Da fielen mir seine Worte ein, wie elendig es den Leuten geht, und es dämmerte mir, dass diese Menschen diese Gegend wahrscheinlich verfluchen.
Wieder festen Boden, den Weg unter den Füßen, unter braun verschlammten Turnschuhen. Die Tür der Hütte ist verschlossen, aus dem Kamin des mit Wellblech und Reet gedeckten Daches kräuselt Rauch. Ach, was sah das schon wieder heimelig aus. Dankbar gedachte ich meines Elektroherdes und der Zentralheizung.
Ich rannte den Berg hinunter auf das Haus zu, der Bus war fort, mir wars sehr recht, wenn ich nur gewusst hätte, ob mein Auto fertig war. Mein ganzes Programm hing davon ab. Ich wollte fort, in wollte in ein kleines anonymes Hotel, in dem ich mich ungezwungen bewegen konnte, mich nicht beobachtet fühlte. Ich wollte nicht dankbar sein, ich wollte für Bett und Essen bezahlen, und niemand sollte mir erzählen, dass es mir „gold“ ginge.
"Na, was steht heute auf dem Programm?", sagt er neben mir. Draußen werden die Tannen hin und her geschüttelt, und ich muss ihm gestehen, dass ich noch nicht darüber nachgedacht habe.
"Auf nichts ist mehr Verlass, denk darüber nach, ich jedenfalls muss Torf holen."
"Dann sind wir schon auf dem Weg zum Turm, lass uns zur Küstenstraße fahren."
Er packt die leeren weißen Plastiksäcke, zieht den blauen Fuchs über, und schon fahren wir los. Eine halbe Stunde später liegen die gefüllten Torfsäcke hinter unseren Rücken, und wir fahren die lange Bucht entlang zur Küstenstraße. Wir lassen den Wagen neben der Straße stehen und laufen über den feuchten, schweren Boden zur Küste, auf das kleine verlassene Anwesen zu. Wir gehen zwischen den eingestürzten Gemäuern hindurch, und ich schaue nur kurz auf die erhalten gebliebene Steinbank an der Hausmauer.
Im vergangenen Jahr schien die Sonne, und wir saßen auf dieser Bank. Es war so warm, dass wir die Mützen, die Schals bei Seite legen konnten, wir öffneten die Mäntel und lehnten unsere Köpfe gegen die dicken Mauern. Er hatte die Augen geschlossen, die Brauen zusammengezogen. Selbst im Sonnenschein wirkte sein Gesicht gespannt und angestrengt. Seine Hände waren tief in den Taschen vergraben, und ich wühlte so lange, bis ich seine Hand in der Tasche hielt. Undurchdringlichkeit umgab ihn, ich war nicht anwesend, Lichtjahre war ich von ihm entfernt.
Ich sehe auf den wandernden Mann vor mir und denke, wie viele Lichtjahre sind es dieses Jahr? Und gleichzeitig sehe ich mich das erste Mal hier im Sommer.
Ich war entzückt. Blumen wuchsen zwischen den Ruinen, durch die leeren Fensterhöhlen strahlte der blaue Himmel, das Meer rauschte, ich ließ mich jubelnd auf der Steinbank nieder und jauchzte: "Ach, was für ein himmlisches Plätzchen!" Ich schloss genießerisch die Augen und hörte: "Ich glaube, es war ein höllisches Plätzchen."
Ich hielt mein Gesicht der warmen Sonne entgegen, und plötzlich hörte ich das Meer gegen die Klippen donnern, der Wind heulte und der Regen prasselte. Die Wellen jagten gegen die Klippen, und die Gischt sprühte über die Weide.
Ich füllte die drei winzigen Räume mit Leben. Die Eltern, wie viele Kinder? Bestimmt viele. Wo haben die alle geschlafen? Der Kamin stand noch, dort brannte das Torffeuer Ich spürte die Kälte und Nässe. Ich dachte an die langen, einsamen Schulwege der Kinder.
Das konnte ich sehr gut nachempfinden, ich spürte fast die Frostbeulen an meinen Händen, und mangels Socken waren meine Füße in Zeitungspapier gewickelt. Den Geruch trocknender Windeln über dem Herd begleitete die Wintermonate. Und um das Haus die Flüsse, die im Frühjahr zur Schneeschmelze alles überfluteten und fauligen Morast hinterließen. So waren die Verhältnisse nach dem Krieg. Aber dann schlichen sich in meine Gedanken die Wiesen voller Himmelschlüsselchen, ich sah die hellgrünen Weiden und im Bach die Forellen, ich hörte die Lerchen über dem Kornfeld, die Windeln flatterten im Wind, und das Heu duftete.
Wir einigten uns später auf ein "himmlisch-höllisches Plätzchen".
Der Abstand zwischen ihm und mir vergrößert sich. Mit gleichbleibendem Schritttempo steigt er eine Anhöhe hinauf. Meine Kondition ist sehr mäßig, ich lasse mir Zeit, und meine Gedanken halten das kleine, frostbeulige Mädchen fest. Sie läuft neben mir her.
Dünne Zöpfe, dünne Beine, die handschuhlosen Hände blaugefroren. Ständig zog sie die Nase hoch. Alles an war eckig und linkisch. Nein, sie war weder so lustig noch so süß wie ihre jüngeren Schwestern. Sie musste sich schon ziemlich abrappeln, um bei dieser Konkurrenz etwas Liebe abzubekommen. Sie war tüchtig und nützlich, jawohl: Man konnte sich auf Eva verlassen.
Nachts aber, wenn sie ihr Kopfkissen umarmte, dann wurde sie zum anmutigsten und schönsten Wesen. Sie baute an ihrem goldenen Haus, und dort hatte sie ihre goldene Ecke. Die Säle füllten sich mit Freunden, Elfen und vor allem natürlich mit Prinzen. Dort spielte sich ihr Leben ab, dort in der goldenen Ecke gab es Farben, Pinsel und Papier in Hülle und Fülle, dort malte sie oder sang -sehr zur Freude ihres Lieblingsprinzen. Diesen Prinzen rettete sie sich auch in den Tag, er begleitete sie auf dem Schulweg, er stand in der Pause neben ihr, sie flüsterte und lachte mit ihm. Sie entzog sich der Wirklichkeit. "Lange Zeit", sagte die kleine Blaugefrorene an meiner Seite.
Als Manfred sozusagen in ihr Leben trat, wurde ihre goldene Ecke real, sie baute einen Hausstand. Sie dekorierte, nähte und tapezierte, ach wie tüchtig. Ach, wie geschmackvoll sie alles machte, und schwanger war sie auch. Nun sah sie hübsch aus. In meinen Gedanken geht sie mit ihren schönen italienischen Schuhen strahlend neben mir.
Total aus der Puste erreiche ich den Turm, hier muss er doch auf mich warten, und er wartet.