das goldene Haus. Sabina Ritterbach
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Ich hörte die Stimme meiner Mutter: "Männer, die sich tagsüber im Unterhemd zeigen, sind Proleten!"
Der Prolet saß beim Frühstück und aß manierlich mit Messer und Gabel. Als ich den Speckrand von meinem Schinken schnitt und auf den Tellerrand schob, griff er mit den Fingern herüber und aß ihn auf.
Da ich langsamer aß als er und morgens immer einen gesegneten Appetit hatte, fühlte ich mich ein wenig gehetzt, außerdem hatte ich die Art, wie er seinen Stuhl zurückschob und mich mit fast lidschlaglosen Augen ansah, sehr, sehr ungern. Ich fing dann an zu kleckern. Die Orangenmarmelade machte sich auf dem Toast selbständig, und der Schinken widersetzte sich meinem Messer solange, bis er mit einem befreienden Hopser auf meinem Schoß landete. Dann zuckte es um seine Mundwinkel, und er gab trockene Bemerkungen von sich wie: "Heute morgen besonders sportlich", wenn ich unterm Tisch verschwand, um ein Stück Brot oder sonst etwas aufzuheben. Also, ich beeilte mich, um den Anschluss nicht zu verpassen. Auf gings.
Hinein in den Bus, und ab zu meinem Auto. Das Wetter hatte sich verändert, es schien nicht mehr pausenlos die Sonne, dafür gab es phantastische Wolkengebirge, aber es regnete nicht, und zwischen den dicken Wolken schaute immer wieder blauer Himmel hervor. Er koppelte mein Auto an den Bully, und langsam ging es in den nächsten Ort. Nun hatten die Hunde leichtes Spiel mit mir, kläffend rannten sie hinter und neben meinem Auto her. Ein Wunder, dass nicht die ganze Straße mit toten Hunden gepflastert war. Sechs bis sieben Meilen zockelten wir so dahin, dann parkten wir vor zwei Tanksäulen und einem garagenähnlichen Anbau, der Werkstatt.
Der Monteur kam, und beide verschwanden unter der Motorhaube, anschließend wurde debattiert. Nur so viel verstand ich, Ersatzteile wurden benötigt, aber alles wäre machbar. Er brauchte die Unterlagen der Verleihfirma der Rechnung wegen. Es schien so, als hätte der Himmel jemanden geschickt, der sich um mich kümmerte. Lieber wäre mir gewesen, der Himmel hätte erst gar nicht die Autopanne zugelassen, dann hätte sich auch der bärbeißige Retter erübrigt.
"Wann wird es fertig sein, noch heute?"
"Wenn Gott will, vielleicht."
Meine Autopanne schien tatsächlich eine Angelegenheit des Himmels zu sein.
"Hoffentlich", sagte ich, und zu ihm, ich wolle ihm keinesfalls mehr lästigfallen, es sei mir so unangenehm usw.
"Bist du bald fertig, damit wir fahren können?"
Bei der Telefonzelle machte er halt, schnappte sich meine Wagenunterlagen, und durch die Scheibe sah ich ihn heftig kurbeln und faustschlagen.
Alles war mit der Verleihfirma geregelt, mir blieb nichts anderes übrig, als dankbar zu gucken. Weil es nötig war und zwecks Abarbeitung ging ich in die Küche. Wusch ab, reinigte den Herd, die Arbeitsplatte, lief in den Essraum, um den Tisch zu putzen.
Wie ein Arbeiterdenkmal stand er hinter der Scheibe, lackierte die Fensterrahmen und trat einen Schritt zurück auf die Kante seines Werkzeugkastens. Schrauben, Drähte, Zangen und unendlicher Kleinkram ergossen sich auf den Rasen. Als er sich ziemlich unfein fluchend bückte, rief ich diesmal:
"Ziemlich sportlich heut' morgen."
Kurze Verblüffung, und dann schallte sein tiefes Gelächter zu mir ins Haus.
Dies wäre die richtige Aufgabe für mich, nun würde ich weiterstreichen, das hätte ich gelernt, ich könne mit dem Pinsel sicherer umgehen als mit Messer und Gabel. Ohne an meinem Worten zu zweifeln überließ er mir den Pinsel, und kurze Zeit später hörte ich ihn im oberen Teil des Hauses rumoren, er riss die Zwischenwände raus.
Kinderstimmen erschallten auf der Straße, sie riefen einer weiter entfernten Frau etwas zu. Und dann standen sie hinter dem roten Gartentörchen. Vor mir entwickelte sich eine irische Postkarte. Zwei kleine rothaarige Jungs, sie trugen bunte T-Shirts und abgeschnittene Jeans, der kleine ging barfuß, der große trug löchrige Turnschuhe. Eingerahmt wurde das Bild durch die grüne Hecke. Sie sagten nichts, schauten nur zu mir hinüber. Ich zeigte mit dem Finger auf die offene Haustür die Treppe hoch. Sie knallten das Törchen auf und rannten an mir vorbei ins Haus nach oben. Kurze Zeit später hörte man sie alle drei lachen und johlen.
Ich stand im Vorgarten eines fremden Mannes, strich seine Fenster und hört ihn und zwei Kinder lachen. Wie oft hatte ich das gehört, es war nicht zu verhindern, mir liefen die Tränen übers Gesicht.
"Hallo, hallo", die Stimme musste schon öfter gerufen haben, ich schaute nur kurz in ihre Richtung und zeigte wieder mit dem Finger zur offenen Haustür. So sah ich Anne das erste Mal, durch einen Tränenschleier sah ich eine junge, sehr schlanke, blasse Frau.
In der Küche hielt ich mein Gesicht unter den kalten Wasserstrahl, und ich strich das letzte Fenster, als der Lärm verebbte und sie mit einem kurzen "Bye" das Haus verließen.
"Fleißig", sagte er, ich mach' was zu essen." Er schaute mich prüfend an, sie hatte es ihm also erzählt.
Nach dem Essen, er schob wieder seinen Stuhl zurück, sagte er nicht irgendetwas, nein, er fing an zu erzählen. Er erzählte mir von seinen Nachbarn, die dort oben hinter der Wegbiegung wohnten. Von den vier kleinen Kindern und von den Eltern. Wie schwer es für sie wäre, eine Arbeit zu finden, hier, so weit weg, ohne Auto. Er beschrieb mir das Haus, er beschrieb mir noch andere Häuser, die weit vom Wege ab im Moor standen. Außen sehen sie ja noch meist recht putzig aus, wenn sie weiß getüncht sind mit ihren bunten Fensterrahmen und Türen. Aber wohn‘ mal da drin, du bekommst Rheuma, Bronchitis und tausend andere böse Krankheiten. Fast jede Familie hat hier ein schweres Schicksal zu tragen. Die Männer kommen ja noch ab und zu aus dem Haus, sie treffen sich im Pub und besaufen sich, aber die Frauen, Mann ich sag‘ dir, selbst, wenn es uns schlecht geht, geht es uns noch „gold“.
Ich wusste, der letzte Satz war für mich ganz persönlich gesprochen. Ich biss hart auf meine Zähne, brachte das Geschirr in die Küche, sagte "bis später", und ging den Weg hoch ins Moor.
Da stand das Haus aus großen grauen Natursteinen gemauert, dicht am grauen Felsen. Winzige, tiefliegende Fenster, die niedrige Tür geöffnet. Am liebsten hätte ich auf dem Absatz kehrtgemacht, aber da hatte mich der Mann schon gesehen. Es war der große knochige aus dem Pub. Mit seinen verlegen grinsenden Jungs kam er zum Weg.
"Na, was macht das Auto?"
"Es ist in der Werkstatt."
"So ein Pech, aber das Wetter ist schön, nicht wahr?"
Um das Haus sah es wüst aus. Eimer und Plastiktüten, unbrauchbares Plastikspielzeug, an der Hauswand lehnten eineinhalb Fahrräder, und direkt neben mir die Reste eines Torfhaufens.
Anne erschien in der Tür, sie trug ein Baby, sie nahm den Arm des Kindes und winkte damit in meine Richtung. Ich winkte zurück und rannte die Anhöhe hinauf.
Oben angekommen befand ich mich auf einem Hochplateau, ich stand wie auf einer Bühne, der einzige Mensch in dieser braun-in-braunen Landschaft. Tiefe Gräben durchzogen das Land, und überall Plastiksäcke mit dem frisch gestochenen Torf. Weit hinten ging das Gelände steil bergab, ich sah die Dünen und das Meer, ich sah den rosaschimmernden Pyramidenberg. Steine gab es in Hülle und Fülle, ich suchte mir einen großen, bequemen aus, ich saß auf einem Riesenhocker. Es ging mir gut, bis mir wieder einfiel, dass es mir „gold“ ging.
Ja, es war