Sonnenwarm und Regensanft - Band 1. Agnes M. Holdborg
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Читать онлайн книгу Sonnenwarm und Regensanft - Band 1 - Agnes M. Holdborg страница 14
»Du könntest auf sie aufpassen, sie beschützen. Dich wird unser Vater nicht fühlen, garantiert nicht. Du empfindest ja nichts für Anna. Deshalb wird es funktionieren. Wenn du dich zurücknimmst, klappt das.«
Erneut versuchte er es mit einem seiner sorgenvollen Blicke. »Du weißt, bei mir ist es zu spät. Ich bestehe zurzeit nur noch aus Gefühlen. So darf ich nicht in seine Nähe kommen. Ach, das weißt du doch. Bitte. Ich mache mir doch solche Sorgen, dass sie …«
»Dass sie was?«, unterbrach sie ihn. »Dass ihr etwas passiert oder dass sie jemand anderem in die Arme läuft? Wenn Letzteres der Fall wäre, so würde es sich wohl kaum lohnen, ihr auch nur eine einzige Träne nachzuweinen.«
Viktoria war wirklich gut. Sie kannte seine gesamte Gemütsskala in- und auswendig und hatte daher auch seine Eifersucht gesehen.
Und es stimmte ja, überlegte er. Er war tatsächlich eifersüchtig, sehr sogar, was er als äußerst verwirrend und erniedrigend empfand.
»Viktor«, sprach sie eindringlich, »so hör mir doch bitte zu. Es ist zu riskant. Was ist, wenn ich einen Fehler mache und dadurch seine Aufmerksamkeit auf sie lenke? Was ist, wenn er noch dazu mich dabei entdeckt?«
»Du musst es tun. Es passiert schon nichts. Anna träumt zu intensiv, bei Tag und bei Nacht. Das ist einfach zu gefährlich. Falls er das wahrnimmt, findet er sie. Er ist sehr gerissen und schlau, das weißt du. Er würde sofort den Zusammenhang erkennen und verstehen.«
Inbrünstig setzte er seinen Überzeugungsversuch fort. »Lenk sie ab. Unternimm was mit ihr. Sie ist supernett und hat schnell Spaß, glaub mir. Sie ist überhaupt gerne fröhlich. Du kannst das. Dir fällt schließlich immer irgendetwas Komisches ein.«
Er legte den Kopf schräg und überlegte. »Allerdings sollten wir dich ein bisschen, hhm, sagen wir mal umstylen. Wir sehen uns einfach zu ähnlich. Anna ist nämlich auch sehr schlau und würde das bemerken.«
Nun grinste er breit. »Rote Haare würden dir sicherlich gut stehen. Dazu grüne Kontaktlinsen. Die kriegt man hier überall in der Menschenwelt.«
»Oh bitte, Viktor, das kann doch nicht dein Ernst sein.«
Jetzt spielte er seinen letzten und besten Trumpf aus.
»Ich liebe sie, und das ist mein Ernst. Ja, ich liebe sie. Deshalb muss ich einfach die Gewissheit haben, dass es ihr gut geht.«
In Viktorias Augen lag so viel Mitgefühl, aber auch Schmerz. »Ach, mein Bruderherz, dich hat es so richtig erwischt, nicht wahr?«
Er nickte. »Ja, das hat es«, murmelte er mehr zu sich selbst.
Aber er wusste, diese Schlacht war geschlagen. Viktoria würde ihm helfen. Er strahlte seine Schwester an, trat zu ihr, umfasste ihre Taille und wirbelte sie ein paar Mal mühelos im Kreis herum. Sie lachten.
»Danke, Schwesterchen.« Aufgeregt sprach er weiter: »Wir kaufen uns solche Smartphones. Die sind recht nützlich. Damit können wir sozusagen gefühllos miteinander sprechen. Das wird helfen.«
»Ja, das ist eine gute Idee. So ein Aifohn wollte ich schon immer mal ausprobieren.«
Viktor grinste wieder. Viktoria hatte so ihre Probleme mit der Technik der Menschen. Er hingegen fand diesen ganzen technischen Kram, wie sie ihn bezeichnete, durchaus spannend.
»Aber, wenn was schiefgeht, ich …«
»Wird es nicht, Schwesterchen, wird es sicher nicht.«
Insel mal drei
Eigentlich war Anna immer wieder gern hier auf der Insel. Sie liebte den speziellen Geschmack der Luft, so süß und salzig. Und den Wind. Die See, egal ob rau oder sanft. Den fast weißen breiten Strand. Einfach herrlich.
Die Dünen glänzten auf eine ganz eigene Art und Weise in der Sonne, weil sich das harte Gras im Wind wellenförmig bewegte und dadurch in ständig wechselnden Grünschattierungen schimmerte.
Der helle Sand, dieses Grün und das intensive Blau der Nordsee ergaben ein derart faszinierendes Gesamtbild, das Anna regelmäßig ins Schwärmen versetzte.
Es war zudem die Vielfalt dieser Insel, die sie so mochte. Zum Beispiel die zahlreichen Vogelarten. Nicht weit vom Ort entfernt lag ein Binnensee. Der schwappte fast über von Federvieh aller Arten. Schon oft war Anna dort gewesen, hatte sich mit ihrem Vater in den hölzernen Ausguck gehockt und stundenlang hinausgeschaut.
Die Vögel an sich waren ihr dabei gar nicht so wichtig gewesen wie Johannes. Nein, sie liebte auch hier das Gesamtbild:
Das schillernd tiefe Blau des Sees mit den funkelnden Sonnenlichtspuren darin und den sich kräuselnden Wellen bei leisem Wind. Die wogenden Schilfwälder rundherum.
Streicheleinheiten für sämtliche Sinne. Balsam für die Seele. Und wie geschaffen zum Träumen.
Selbstverständlich hatte Anna beinahe täglich ausgedehnte Strandspaziergänge unternommen, ob alleine oder mit der Familie. Schließlich war auch das die Gelegenheit, ihren fantastischen Schwärmereien freien Lauf zu lassen.
Ab und an schaute ihr ein Seehund dabei zu, streckte den Kopf aus dem Wasser und glotzte sie aus großen schwarzen Knopfaugen neugierig an.
Je nach Tide durchpflügten ein paar Fischkutter das Wasser nahe dem Strand und wurden unterdessen von einer quirligen Schar Möwen mit wildem Geschrei verfolgt.
Immer wieder sah die Insel anders aus. Jeden Tag, Stunde um Stunde, je nach Licht und Wetterlage.
Es war allezeit traumhaft schön. Auch bei dem nahegelegenen rot-weiß-gestreiften Leuchtturm, der nachts so beruhigend und regelmäßig wiederkehrend durchs Fenster schien.
Und in dem hübschen kleinen Dorf, wo das Ferienhaus stand. In dem ursprünglichen und geheimnisvoll anmutenden Örtchen standen jahrhundertealte Häuschen aus rotem Backstein. Einige davon waren efeubewachsen, manche moosbesetzt und reetgedeckt.
Anna besaß zwar nicht das Talent, die faszinierenden Bilder mit Farbe und Pinsel auf eine Leinwand zu bannen. Dafür hielt sie so manche Stimmung auf Handyfotos fest oder aber in ihrem Notizbuch. Außerdem spielte die Insel häufig eine große Rolle in ihren Träumen.
Sie fühlte sich stets wohl, hier bei den Menschen, deren wohlklingende, melodische Sprache sie immer zu verstehen glaubte und doch daran verzweifelte. Ihre kläglichen Versuche, wie »bedankt«, »tot ziens« oder kurz »duii« oder ein kleinlautes »alstublief«, wurden mit einem dankbaren Lächeln belohnt und meist mit einem recht guten Deutsch beantwortet. Jedenfalls klappte die Verständigung »ächt prrrima«.
Während der vielen Sommer auf dieser Insel hatte Anna nie ein unfreundliches Wort gehört – außer von Jens! Und mit dem war sie nun hier!
… Schon die Anreise war nach Annas Dafürhalten einfach schrecklich:
Nur seine Musik durfte abgespielt werden. Immer musste alles nach seiner Nase gehen. Allerdings verschwieg sie ihm und der ganzen Welt, dass sie seine Musik eigentlich ziemlich cool fand.