Schwindende Gewissheiten. Ursula Reinhold

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Schwindende Gewissheiten - Ursula Reinhold

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Eltern verschwieg er die mögliche Aussicht, wartete auf den sicheren Ausgang. Zu Gisela sprach er über seine Arbeit, die er in Moskau schneller beenden könne als hier. Ihr leuchtete das nicht unbedingt ein, aber sie vermied es, genauer nachzufragen. Nur einmal sagte sie: „Du arbeitest doch hier auch“, während er dagegen einwandte: „Ja, aber nicht genug.“ Sie hörte heraus, dass er sich durch sie gestört fühlte, sagte aber nichts. Schließlich war es seine Angelegenheit, sich nicht ablenken zu lassen. Auch fand sie seine ständige Teilnahme an ihren Obliegenheiten im Lesesaal überflüssig. Immerhin begriff sie, dass er sich fern von ihr bessere Bedingungen für seine Arbeit versprach. Über sie und das Kind verlor er kein Wort. Nebenbei meinte er, er wisse sie ja bei den Eltern in guter Obhut. Dann brach er das Thema ab. Sie schwieg, weil sie die richtigen Worte nicht fand, die ihren Schmerz hätten ausdrücken können.

      In vierzehn Tagen schon würde Johannes reisen. Er stellte Büchersammlungen zusammen, um sie vorauszuschicken. Kaufte einen großen Schrankkoffer, um seine Kleidung unterzubringen. Er war so von den Reisevorbereitungen in Atem gehalten, dass er es ihr überließ, mit den Eltern zu reden. Sie ging sofort auf seinen Vorschlag ein, hatte ohnehin das Gefühl, dass es ihre Sache war, die sie den Eltern jetzt sagen musste. So beiläufig wie möglich, ließ sie der Mutter gegenüber fallen, dass Johannes für zwei Jahre zur Beendigung seiner Arbeit nach Moskau gehen würde. Nach einem langgezogenen „Waaas?“, fragte sie: „Muss er das oder will er das?“ Gisela wusste nicht, wie sie antworten sollte, fürchtete, ihren Johannes vor der Mutter zu verraten, wenn sie zugab, dass er wollte. Er musste ja auch, sagte sie sich. Aber sie war unsicher, wusste nicht, wie sie es nehmen sollte, wenn er von der Ehre sprach, die eine solche Delegierung für ihn bedeutete. „Er ist von der Lehrstuhlleitung delegiert worden“, sagte Gisela knapp, mochte die Mutter mit diesem Satz anfangen, was sie wollte. Als sie einige Zeit später dem Vater gegenüberstand, schaute der mit seinen hellen blitzenden Augen auf die Tochter. Man sah, dass er aufsteigende Wut niederkämpfte. Gisela kannte das aus ihrer Kindheit, hatte seine jähen Zornesausbrüche immer gefürchtet. Jetzt wusste sie, dass seine Erregung nicht ihr galt, sondern Johannes. Aber das beruhigte Gisela wenig, weil sie dem Vater nicht zugeben mochte, wie es sie verletzte. Der Vater hatte ihr Schweigen, das aus Scham herrührte, immer als Verstocktheit qualifiziert. Jetzt schien er zu begreifen, dass es diesmal andere Gründe haben musste und ließ ab. Die Eltern drängten nicht auf Erklärungen. Ließen sie in Ruhe.

      Am letzten Wochenende vor der Abreise kam Johannes noch einmal, sich von den Eltern zu verabschieden und einige Sachen zu holen, die er in der Wohnung hatte. Auch dem Vater gegenüber benutzte er jetzt die Worte von Ehre für ihn und von Freundschaft zu den sowjetischen Freunden, die es jetzt zu beweisen gelte. Man könne nicht immer nur so tun, sondern müsse auch etwas auf sich nehmen, wenn es darauf ankäme. Auch ihm fiele es nicht leicht, seine Gisela hier so allein zurückzulassen, aber er wisse sie bei ihnen in guter Fürsorge, wiederholte er jetzt auch vor den Eltern. Die schwiegen während und nach seiner Erklärung und auch Gisela schaute vor sich hin, auf die Krümel, die auf dem Teller lagen. Die Mutter unterbrach das Schweigen, forderte Johannes auf, noch ein Stück Kuchen zu nehmen. Johannes lobte ihren Selbstgebackenen, griff zu. So ging der Sonntagnachmittag hin.

      Als sie am Abend auf der breiten Liege nebeneinander lagen, hatte Gisela das Gefühl, dass das Schwerste überstanden war. Die Erregung der Wochen, in denen sie auf die Entscheidung gewartet hatte, die Beklommenheit vor dem Gespräch mit den Eltern, wichen plötzlich von ihr. Sie weinte hemmungslos, als sie in seinen Armen lag. Er hatte sie noch niemals so aufgelöst erlebt, suchte sie zu beruhigen, malte ihr Besuche in Moskau und in anderen Teilen des großen Landes aus. Sie konnte ihre Gedanken an keine konkreten Zukunftspläne festmachen, sie hatte nur das Gefühl, dass sie es aushalten musste, irgendwie. Erleichtert war sie, weil alles unwiderruflich feststand, von ihr nichts mehr erwartet wurde, nur dieses Aushalten eben.

      Später, als sie die Geschichte ihrer noch nicht begonnenen Ehe zu datieren begann, schien ihr, dass in diesem Augenblick etwas Neues begonnen hatte. Der Trennungsschmerz ritzte das Bewusstsein ihres Ich, es war eine schmerzhafte Wahrnehmung.

      Die letzten Tage vor seiner Abreise sahen sie sich im Lesesaal, gingen zusammen zum Mittagessen. Sie erwartete und fürchtete diese kurzen Begegnungen. Sie war schon allein, sie fühlte es deutlich und wollte sich einrichten darin. Am Freitagabend würde er vom Ostbahnhof losfahren. Zwei Nächte und einen Tag sollte er unterwegs sein, bis er die große Stadt, nach der die ganze Welt schaute, erreicht hatte. Er wollte nicht begleitet werden von ihr, es würde ihm das Herz brechen, wenn er sie allein auf dem Bahnhof zurücklassen musste.

      Sie saß zu Hause bei den Eltern, als sein Zug aus dem Bahnhof rollte.

       Neues Beginnen

      In der Bibliothek fragte sie niemand nach Johannes. Sie tat ihre Arbeit, am Abend stellte sie fest, dass wieder ein Tag vergangen war. Unmerklich gingen die Tage dahin.

      Eine neue Arbeitsaufgabe half ihr, sie zu füllen. „Die Zeit der Schonung ist vorbei“, meinte Herr Kobus, als er ihr erklärte, worum es ging. Sie sah ihn erstaunt an und er lachte ihr ermunternd ins Gesicht, sprach über die verantwortungsvolle Aufgabe, in die sie einbezogen werden sollte. Seit einiger Zeit schon erarbeiteten die Genossinnen und Kolleginnen Bibliothekare des GewiInstituts, wie es kurz unter Eingeweihten genannt wurde, eine Bibliographie zur Geschichte der Kommunistischen und Arbeiter-Parteien. Dieses Verzeichnis sollte in fünf Bänden das einschlägige Schrifttum zwischen den Jahren 1945 und 1959 erfassen und verzeichnen. Der 1. Teil des 2. Bandes, der die Arbeiten zur Geschichte der KPD enthielt, war bereits 1959 erschienen. Gisela hatte erlebt, wie die Bibliographen zum 10. Republikgeburtstag ausgezeichnet wurden. Sie freute sich, dass man sie, die Parteilose jetzt in diese Arbeit einbezog, war gern an solchen auszeichnungsverdächtigen Sachen beteiligt. Es ging ihr nicht unbedingt um die Geldprämie, obwohl sie die natürlich anzulegen wüsste. Vor allem wollte sie dabei sein, wenn gelobt wurde, wollte dazugehören, anerkannt sein. Insgeheim hatte sie schon für die Einrichtung des Lesesaals auf eine Auszeichnung gehofft, aber es war niemand auf die Idee gekommen und sie war zu schüchtern, um auf sich aufmerksam zu machen. Jetzt kam sie in diese preiswürdige Arbeitsgruppe hinein, war erfreut, dass der Chef ihr derlei zutraute. Der erklärte, dass es um die Fertigstellung des 1. Bandes ging, der alles Geschriebene über die Kommunistische Internationale, über die Internationalen Konferenzen der Parteien und über die KPdSU zusammenfassen sollte. Parallel dazu würde am Teil 2 des 2. Bandes gearbeitet, der die Reden und Schriften der Mitglieder und Kandidaten des Politbüros der SED enthalten würde. Gisela sollte für den ersten Band das bibliographische Material ermitteln. Es fehlten die Nachweise für die Internationalen Konferenzen der letzten Jahre. Der Chef nannte eine Reihe von Zeitungen aus Bulgarien, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion, die nach solchen Beiträgen durchzusehen seien. Er übertrug ihr für den Anfang die Durchsicht von „Rabotni?esko delo”, dem „Neuen Deutschland” der Bulgarischen Partei. Auf ihren Einwand: „Ich kann doch gar nicht Bulgarisch,” reagierte er besänftigend, meinte: „Sie werden mit ihren Russischkenntnissen schon zurechtkommen.“ Die entsprechenden Verlautbarungen und Beschlüsse würde sie schon an der äußeren Form, an der Art der Druckgestaltung erkennen, sie kenne das doch aus dem ND, meinte er beruhigend. Er ging, überließ sie sich selbst.

      Es bestätigte sich, was er ihr angekündigt hatte. Sie fand mühelos die gesuchten Berichte über Parteitage, Plenartagungen, Parteikonferenzen, obwohl sie in bulgarischer Sprache gedruckt waren. Die Form wiederholte sich, die Zählungen der Konferenzen waren mit römischen Buchstaben angegeben und erleichterten ihr die Entschlüsselung der Zahlen. Sie bekam schnell Routine beim Durchblättern der Zeitungen, weil derlei immer am gleichen Platz zu vermuten war. So kam sie schnell voran, konnte Herrn Kobus die Karteikarten übergeben, auf die sie die notwendigen Angaben notiert hatte. Dann übertrug er ihr die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei mit ihrer Zeitung „Trybuna Ludu“. Die Erfahrung wiederholte sich, obwohl ihr das Polnische noch fremder war als das Bulgarische. Dann stoppte der Chef überraschend die Arbeit. Man müsse abwarten, meinte er. „Es gibt Ärger“, sagte er kurz, ohne weitere Erklärung.

      Der

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