Schwindende Gewissheiten. Ursula Reinhold

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Schwindende Gewissheiten - Ursula Reinhold

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zurufen. Gisela und Irene alberten herum, waren froh, dass es etwas zum Lachen gab, weil es eine langweilige Arbeit war. Anni lachte nicht mit. Sie war traurig, dass sie hier den Namen von Rudolf Herrnstadt tilgen musste, der jetzt immer zusammen mit Wilhelm Zaisser genannt wurde, mit dem er gar nichts zu tun hatte, wie sie betonte. Über die anderen wusste sie wenig, aber Herrnstadt kannte sie aus ihrer Tätigkeit in der Bibliothek des „Neuen Deutschland“. Seine Artikel hatte sie immer mit Interesse und Nutzen gelesen. Er ist einer, der mit der Wahrheit nicht hinter dem Berg hält. Auch Unbequemes ausspricht. Ulbricht könne ihn nicht leiden, fürchte ihn. Sie schloss mit einem geflügelten Wort, das sie auch bei anderen Fällen parat hatte: „Wer die Wahrheit geigt, ist selten gern gesehen“, verkündete die sonst zurückhaltende Frau mit Nachdruck. Traude schwieg zu den Reden von Anni, zuckte die Achseln, hoffte, dass sich alles als Irrtum herausstellen würde. „Wir haben nach unserem bibliographischen Gewissen gehandelt“, meinte sie, „und das gebietet uns Vollständigkeit“. Helga Pietsch war nur selten bei dieser Arbeit, sie war in ihrer Sperrbibliothek unabkömmlich. Wenn sie half, unterließ Anni ihre Reden. Sie schwieg, nachdem Helga sie gefragt hatte, ob sie sich schlauer dünke als die Partei. Nur Irene und Gisela kicherten, wo es sich anbot und die anderen schienen froh, dass es etwas zum Lachen gab.

      Noch während sie mit dem Schwärzen beschäftigt waren, führte sich der neue Institutsdirektor bei einer Versammlung im Großen Hörsaal gegenüber den Genossen Professoren, Dozenten, Aspiranten ein. Gisela konnte als Parteilose nicht mit dabei sein, aber auch von den anderen Bibliotheksmitarbeitern waren nur Herr Kobus und Helga Pietsch, die Parteiverantwortliche zu-gelassen. Gisela wäre gern dabei gewesen, schon weil sie den Neuen hören wollte. Der kleine, runde Mann war vor ihr die Treppe hochgestiegen, schien dabei nicht unbehände. Sie wusste nicht, wen sie vor sich hatte, erfuhr erst später, dass er der neue Direktor war. Von Johannes hatte sie immer erfahren, worum es bei solchen Veranstaltungen ging. Herr Kobus berichtete nur, dass es wiederum um ihn gegangen war und die mangelnde Wachsamkeit, die er hatte walten lassen. Aber immerhin habe der Neue in einem anschließenden Gespräch mit dem Chef gebilligt, dass die Arbeit am 1. Band wieder aufgenommen und beendet werden sollte. Vor der Publikation sollte Herr Kobus gründlich die zuständigen Genossen konsultieren, damit nicht wieder solche politischen Pannen passierten.

      Für Gisela bedeutete das, die Durchsicht der großformatigen Zentralorgane wieder aufzunehmen. Ihr wurde jetzt die „Rudé právo” zugeteilt. Auch das Tschechische war ihr fremd wie die anderen Sprachen, aber sie verfuhr nach der nun schon gewohnten Routine. Sie wunderte sich, dass es so einfach war, an einer so wichtigen Sache mitzuarbeiten. Aber sie hatte auch mitbekommen, wie leicht man hineinfallen und anecken konnte. Allerdings sah sie das nicht als ihre Sache an, beruhigte sich bei dem Gedanken, dass dafür Herr Kobus zuständig war. Der ging nun mit neuem Elan an die Fertigstellung des 1. Bandes, um dann den 3. und 4. Band zu beenden. Zu diesem Zeitpunkt ahnte er nicht, dass sein Werk unvollendet bleiben würde.

       Niederkommen

      Als Gisela 12 Wochen nach der Geburt ihres Sohnes an ihren Arbeitsplatz zurückkehrte, war Herr Kobus dabei, seinen Schreibtisch aufzuräumen. Er würde gehen, hieß es. „Er muss“, erklärte Anni an Gisela gewandt. Nähere Erklärungen gab sie nicht, bestätigte nur, dass es mit den geschwärzten Stellen zu tun habe. Auch um den neuen Band hatte es Kontroversen gegeben. Trotz eingehender Kontrolle durch obere Stellen enthielt er Namen, die wiederum bei leitenden Genossen Anstoß erregten. Es hatte während Giselas Abwesenheit noch eine zweite Schwärzung gegeben, dennoch musste sich Herr Kobus erneut rechtfertigen. Die Arbeit an den noch ausstehenden Bänden war nun endgültig eingestellt worden. In den wenigen Wochen, in denen der Chef noch in der Bibliothek war, richtete er nur selten das Wort an Gisela, er war schweigsam und in sich gekehrt. Sie wagte von sich aus nicht, ihn zu fragen, wo er hingehen würde.

      Später erinnerte sie sich manchmal seiner ungeschickten Art, ihr seinen Beistand anzubieten. Aber damals war sie ganz und gar auf ihren neuen Alltag konzentriert.

      Die Erlebnisse der letzten Monate erfüllten sie vollkommen. In der Zeit, als sie die Bücher schwärzten, spürte sie die ersten Bewegungen in ihrem Leib. Langsam wölbte er sich und sie verlor ihre mädchenhafte Figur. In den ersten Monaten der Schwangerschaft nahm sie die Veränderungen mit Beklommenheit wahr. Sie fürchtete sich vor den Reaktionen der Kolleginnen, für die ihre Verlassenheit dann offen zutage liegen würde. Es erleichterte sie, dass alle behutsam mit ihr umgingen, teilnehmend waren, die Männer ihr Komplimente über ihre neue Fraulichkeit machten. So konzentrierte sie sich auf ihr Inneres, registrierte jede Bewegung, die an verschiedenen Stellen ihres Bauches deutlich wahrnehmbar war. Gab es Ausbuchtungen, stellte sie sich vor, dass ihr Schlabumster jetzt mit den Füßen strampelte oder mit den Fäusten gegen die Hülle trommelt. Morgens und abends machte Gisela Gymnastik, mit der sie sich auf eine schmerzarme Geburt vorbereitete. Sie hatte dazu einen Kursus besucht, las Anleitungen und übte die Bauchatmung, mit der sie auf dem Boden liegend den Geburtsvorgang beeinflussen würde. Sie lernte zu hecheln, um die für sie noch ungekannten Presswehen hinauszuzögern, den Geburtsvorgang nicht zu unrechter Zeit einzuleiten. So hatte man es ihr beigebracht und sie war entschlossen, sich danach zu richten, wollte alles richtig machen. Auch auf die Babypflege bereitete sie sich vor und nähte sich einen Rock und zwei Umstandskleider. Die Erwartung des kommenden Ereignisses brachte ihr das Gefühl fürs Gegenwärtige zurück. Tage und Wochen waren gezählt, mussten für das Bevorstehende genutzt werden. Manchmal nur überkam sie das Gefühl verlassen zu sein. Die Sehnsucht nach Johannes war längst dieser anderen Sehnsucht in ihr gewichen.

      In den Tagen nach seiner Abreise galt ihr erster Blick am Abend der Anrichte, auf die die Mutter Johannes’ Briefe legte. Dort fand sie beinahe täglich einen. Es waren kleine Kunstwerke, sieben bis zehn Seiten waren nicht ungewöhnlich. Drei Zeilen nahmen schon die Anreden ein, die zärtlichen und mutwilligen Namen, die er für sie erfand. Auf immer neue Weise beteuerte er ihr seine Liebe, beschrieb ihr seine große Sehnsucht, schwärmte von ihrem süßen Leib. Auch widmete er sich dem Thema Treue, schrieb mit großer Ernsthaftigkeit, ja Pathos über solche Dinge. Daneben gab er Berichte über seine Arbeit, den Fortschritt seiner Russischkenntnisse, über Moskau und seinen tadschikischen Zimmergenossen. Nachdem sie mehrere Monate hindurch solche Briefe gelesen hatte, gewöhnte sie sich an sie. Die Worte begannen sich zu wiederholen, sie las sie jetzt flüchtiger. Auch hatte sie nicht mehr das Bedürfnis, jeden Brief zu beantworten. Sie wusste nicht, was sie ihm täglich berichten sollte, ließ mehrere Tage vergehen, bis sie ihn über die neuesten Regungen ihres Schlabumster, über Einzelheiten ihrer Vorbereitungen für das Kind unterrichtete. Er beschwerte sich, beschrieb, welche Bedeutung für ihn der abendliche Brief an sie hatte, ließ sie an seinen Träumen von Liebesnächten teilhaben.

      Ihre Träume richteten sich auf das zu erwartende Kind. Manchmal waren es Alpträume. Sie stürzte auf ihren vorspringenden Bauch oder man verfolgte sie. Ein Traum, der sie in Variationen seit ihrer Kindheit heimsuchte. Einmal sah sie in einen Kinderwagen, in ihren eigenen und der war leer. Über diesen Schreck wurde sie wach. Wie häufig, wenn sie über einem schlimmen Traum erwachte, drückte ihre Leibesfrucht auf die Blase oder lag so ungünstig auf einem Nerv, dass sie nur schwer aus dem Bett kam. Nach einigen Bewegungen verging das. Wenn sie Johannes über solche Beschwernisse berichtete, dramatisierte er solche Dinge, bedauerte sie heftig und gab ihr so das Gefühl, dass sie sich bemitleiden lassen oder unangemessen aufspielen wolle. Wenn er in seinen Briefen aus der Sadovo Kudrinskaja darauf reagierte, war die Sache für sie schon vergessen, unter die Normalitäten des Alltags abgebucht.

      Deshalb besprach sie solche Dinge lieber mit der Mutter, die von ihnen kein besonderes Aufheben machte. Gisela ging an den Sommerwochenenden mit den Eltern in den Garten, den sie noch immer hatten, obwohl er längst verkauft sein sollte. Der Verkauf war durch den Einspruch des Vaters gegen den Schätzpreis verzögert worden. Natürlich hatte er sich damit den Unmut der Vereinsoberen zugezogen. Es machte ihm wenig aus, er war einfach nicht gewillt, sich von denen über die Löffel barbieren zu lassen. Die Mutter schien über die Verzögerung nicht unfroh zu sein, weil sie noch die Beete bestellen konnte, den beginnenden Sommer im Garten verbringen. Nur schwer

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