Walpurgisnackt. Sara Jacob
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Walpurgisnackt - Sara Jacob страница 8
Des Spielmanns Instrument
Der Hagel ließ nicht einfach nach, er stoppte so plötzlich, wie er eingesetzt hatte. Eben noch rauschten die erbsengroßen Körner einem Gazevorhang gleich von oben herab und das Prasseln auf den Blättern der Kastanien schwoll an zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen, jetzt herrschte plötzlich Stille.
Hier und da tropfte es von den Ästen, knarrte ein Baum, knackten Zweige. Selbst die Vögel schienen betäubt vom Lärm zu überlegen, ob es sich wieder lohnte, den Schnabel zu öffnen. Die Dunkelheit im Wald wurde zu einem hellen Grau. Lichter wurde es nicht, schon seit Wochen war die Sonne nur sporadisch zu sehen gewesen.
Tim streckte den Kopf unter einer Fichte hervor. Vorsichtig machte Tim erste Schritte zwischen kleinen Hagelhaufen, lief um Pfützen herum und hüpfte schließlich vor Vergnügen.
Das Leben hatte vor drei Tagen wieder einen Sinn bekommen.
Seitdem er von einem Jahr beschlossen hatte, Spielmann zu werden und mit der Musik seinen Lebensunterhalt zu verdienen, war es mit ihm bergab gegangen. Sein Vater hatte ihn vor die Tür gesetzt und die Schmiede an Tims jüngeren Bruder übergeben, seine Mutter hatte es vor Kummer die Sprache verschlagen, und seine Großmutter hatte ihm lediglich den spöttischen Rat mit auf den Weg gegeben, sich vor den Wölfen in Acht zu nehmen.
Wölfe. Das Bild im Kopf war fertig, brauchte keine weiteren Details. Spitze Zähne, gelbe Augen, drohendes Knurren und unbändiger Hunger. Immer drehte es sich darum, wie viele Geißlein der Wolf gefressen, welche Mädchen im Wald er verschlungen und warum er den Spielmann zerrissen hatte.
Niemand jedoch hatte sich ein Bild davon gemacht, was es für Tim bedeutete, Musik zu machen. Was Martin Luther für Reformierte, war Josquin Desprez, der Fürst der Musik, für Tim geworden. Seine Motetten, Messen und Chansons waren der Blitzschlag auf freiem Felde gewesen, die Erleuchtung des Unwissenden, die Aufklärung des Unmündigen.
Dessen ungeachtet hatte sich Tim das Leben des Musikers einfacher vorgestellt. Zwei gravierende Probleme stellten sich heraus. Zum einen nannte er bis vor kurzem lediglich eine Triangel sein Eigen und zum anderen konnte er nicht einmal sie spielen.
Wenn er sich auf den Marktplatz stellte und versuchte, mit seiner Triangel eine Melodie zu spielen, straften ihn die Passanten mit Missachtung oder, schlimmer noch bewarfen sie ihn mit faulem Obst und trieben ihn aus dem Ort.
Dann aber traf er mit knurrendem Magen zwischen Osterleben und Haldeberg ein altes Mütterchen im Wald, trug ihr in der Hoffnung, sie würde ihm etwas zu Essen dafür geben, einen Klafter Holz in die Hütte. Doch statt ihm Wurst und Käse zu geben, verschwand die Alte mit knackenden Gelenken durch eine schmale Tür. Gerade wollte er enttäuscht wieder gehen, das trat eine wunderhübsche junge Frau in die Hütte.
Sie war splitterfasernackt, mit riesigen, wippenden Brüsten, einem breiten Becken und üppigen Schenkel, zwischen denen kein Haar den Blick auf die Möse verbarg. Ohne Umschweife kniete sie sich vor ihn, öffnete seine Hose und holte seinen Schwanz heraus. Sie ließ wortlos sein kleines Männchen in ihrem Mund verschwinden und weckte Gefühle, die vor lauter Musik bereits vergessen schienen.
Von so etwas hatte er seit Wochen nur träumen können in feuchten Nächten, während er sich unruhig im Stroh, im Gras oder im dreckigen Lager einer Elendenherberge herumgewälzt hatte.
Während Tim von oben und mit zitternden Knien betrachtete, wie sich der Kopf der blonden, wunderhübschen Frau auf seinem blitzschnell erwachsen gewordenen Mann vor und zurück bewegte, beschloss er, in Zukunft netter zu alten Frauen zu sein.
Wer wusste schon, ob nicht alle eine schöne Tochter hatten, die ihn für seine Hilfsbereitschaft belohnen wollten? Kaum hatte er die Ersparnisse der letzten Wochen bis auf den letzten Tropfen aus dem mit Fingern und Zunge verhätschelten runzligen Beutel zwischen seinen Beinen geholt und war ermattet auf einen wackligen Hocker gesunken, verschwand die nackte, blonde Frau wortlos mit schwingenden Hüften durch die Tür.
In beiden Mundwinkel glitzerten milchigweiße Tropfen. Glücklich aber mit knurrendem Magen verließ er die Hütte. Die trockenen Reste aus seinem Brotbeutel und ein paar Beeren waren das klägliche Mahl des Tages, ein Bett aus Moos unter einer Tanne sein Nachtlager.
Der nächste Tag begann so traurig wie der vorherige. Hungrig stellte er sich in der nächsten Ortschaft auf den Marktplatz und spielte wieder vergebens auf seiner Triangel, bis ihm der Magen in den Kniekehlen hing und er kurz vor dem Entschluss stand, Mundraub zu begehen und enttäuscht nach Rostock zurückzukehren. In diesem Moment humpelte ihm eine runzlige alte Frau mit einem schweren Sack auf der Schulter über den Weg. Buckel, Warzen, strähnigen grauen Haaren und eingefallenen Lippen.
Anfangs begegnete sie seinem Wunsch, ihr den Sack abzunehmen, mit ungerechtfertigtem Misstrauen, aber schließlich überzeugte Tim sie mit leichter Gewalt und trug ihr den Sack nach Hause. Seine Frage nach der Tochter, Enkelin oder Nichte hingegen schien sie nicht zu verstehen, und die Bitte um Belohnung erfüllte sie schließlich mit einem trockenen Kanten Brot und einer Ecke Käse.
Gerade jedoch hatte Tim die Hütte verlassen und sich auf die Suche nach einem Quartier für die Nacht gemacht, liefen ihm zwei junge Mädchen mit einem Korb in der Hand über den Weg. Auf die Frage, wohin des Wegs sie seien, antworteten sie im Chor: »Zur Großmutter.«
Tims Augen weiteten sich. »Braucht eure Großmutter zufällig Hilfe in der Küche?«
Krachend traf die Klinge den Holzklotz. Tim schwitzte. Er hatte Angst, sich in der Dunkelheit selbst in den Fuß zu hacken. Zwei Klafter später waren die beiden jungen Mädchen längst wieder im Wald verschwunden, und Tim traute sich kaum, nach einer Belohnung zu fragen. Er wollte nur noch schlafen. Vielleicht hatte die alte Frau ja eine Scheune.
»Ich habe nicht viel«, knarrte die Frau später am Tisch. Tim schlief beinahe im Sitzen ein. Aus dem Mundwinkel hingen ihm der letzte Zipfel Wurst. »Was könnte ich Euch geben?«
»Ein Bett«, murmelte Tim, während das Hemd an seinem Körper trocknete. So viel Holz hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht gehackt. Für nichts und wieder nichts. Nein, nicht ganz richtig: für eine Mahlzeit.
Am nächsten Morgen erwachte Tim zusammengerollt vor dem Ofen, erhielt eine fette Hafergrütze und einen Krug Bier zum Frühstück, und gerade als er sich verabschieden wollte, um bei der nächsten alten Frau sein Glück zu versuchen, bevor er seine kurze Karriere als Spielmann an den Nagel hängte, drückte ihm die Alte eine Gitarre in die Hand. Eine echte spanische Gitarre mit fünf Saiten.
»Hier. Mein Mann hat sie spielen können. Ich leider nicht. Vielleicht könnt Ihr sie eintauschen gegen etwas zu Essen oder was Euch sonst noch weiter hilft.«
Und so hatte sein Leben eine ganz neue Wendung genommen. Rasch entdeckte er die Möglichkeiten der Gitarre, die ihm die Triangel nicht geboten hatte – nicht nur für das Spielen sondern auch fürs Singen. Ihm gingen mit der Gitarre in der Hand auf einmal Worte, Melodien und Rhythmen wie von selbst über Zunge und Finger.
Josquin, dachte Tim, zieh dich warm an. Jetzt kommt Tim, der Spielmann.
Leider war das Wetter sehr wechselhaft. Immer, wenn sich die Sonne gerade wieder zeigte und Tim auf den Marktplatz trat, dauerte es keine Minute, bis er Spiel und Gesang unterbrechen musste, weil ein Platzregen hereinbrach. Der April, dachte Tim, macht wirklich was er will. Zum Glück gab ihm eine Marketenderin in ihrem Planwagen Unterschlupf und nahm ihn ein Stück mit.