Brand und Mord. Die Britannien-Saga. Sven R. Kantelhardt
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Ordulf
Ordulfs linker Arm drohte vom Gewicht seines Schildes und den andauernden Stößen zu erlahmen, doch der Steinhagel ließ nicht nach. Er stemmte die Schulter an die Innenseite des Schildes und drückte darüber den Kopf flach gegen die Latten. Plötzlich durchfuhr ein scharfer Ruck das Holz und splitternd durchbohrte die Spitze eines Speeres die Lindenbretter. Genau vor seinen erschrockenen Augen. Ordulf fuhr mit einem Aufschrei zurück. Die Feinde hatten sich ihre Wurfspieße für die kürzere Distanz aufgehoben. Glücklicherweise blieb der Spieß nicht stecken, um den Schild zusätzlich zu beschweren, sondern fiel vor ihm zu Boden. Das laute Krachen von splitterndem Holz und weitere Schreie zeigten an, dass auch andere Pikten ihre Speere zielsicher schleuderten. Inzwischen konnte Ordulf die kehligen Laute, mit denen sich die Pikten gegenseitig ermutigten, nur zu deutlich hören.
„Die wetten, wen von uns es zuerst erwischt“, jammerte ein junger Mann neben Ordulf. Er wandte kurz den Blick in seine Richtung. Der Junge gehörte zu Horsas Besatzung und Ordulf kannte ihn nur flüchtig. Wenn sein bleiches Gesicht nicht schon genug über seine Gemütsverfassung verraten hätte, die Panik in seiner Stimme war unverkennbar. Plötzlich nahm Ordulf den stechenden Geruch von Urin wahr. Sein Nachbar hatte sich vor Angst in die Hosen gepisst. Er fasste seinen Schild so fest, dass sich die Nägel seiner linken Hand schmerzhaft in den Daumenballen gruben und biss die Kiefer fest aufeinander.
Wahrscheinlich würden sie sterben, doch das jämmerliche Schauspiel des Kampfgenossen neben sich hatte ihn gerade noch rechtzeitig zur Besinnung gebracht, bevor auch er in Panik verfiel. Er würde kämpfen und, wenn es nicht anders ging, sterben wie ein Mann. Unwillkürlich glitten seine Gedanken zu dem Opfermoor in Haduloha. Wie kurz war das erst her, aber wie anders sah er heute dem Tod ins Auge. Eine Woge von Stolz brandete in ihm auf, doch ein Ausruf zu seinen Füßen beendete den Fluchtversuch seiner überstrapazierten Nerven.
„Da sind sie!“ Der Ruf kam von Thiadmar. Ein schneller Blick zu dem Verwundeten verriet Ordulf, dass er seine Augen starr auf den Strand in seinem Rücken gerichtet hielt. Die verdammten Pikten hatten sie umgangen. Mit einem Schlag kehrte die mühsam bezwungene Panik zurück und nahm Rache für die Missachtung, die er ihr einen Augenblick lang abgetrotzt hatte. Zitternd duckte er sich hinter seinem Schild und wagte es nicht, sich umzudrehen. Fast glaubte er, schon den Stich eines Pfeiles im Rücken zu spüren. Jeder Atemzug konnte sein letzter sein. Als nichts geschah, nahm er allen Mut zusammen und drehte widerwillig den Kopf. Der Mund blieb ihm vor Staunen offen.
Am Strand lagen die drei Boote, mit denen sie über den Abus gekommen waren. Doch nicht allein diese. Aus insgesamt acht Booten sprangen seine Landsmänner ans Ufer und Hengist selbst führte das sächsische Heer den Strand hinauf.
„HENGIST“, erschallte der sächsische Schlachtruf.
Ordulf ließ das kleine Bronzekreuz los, welches er immer noch mit der Rechten umklammert gehalten hatte, und griff nach seinem neuen Langschwert. „Hengist!“, stimmte er in den Ruf mit ein und stürmte vor dem nachdrängenden Heer den Hang hinauf, den fliehenden Pikten nach. Auf dem Plateau über dem Uferhang des Abus machte er die Silhouetten aufgezäumter Pferde aus.
„Lasst sie nicht entkommen!“, brüllte er. Die gerade erlittene Angst und Schmach entlud sich in wildem Zorn.
Als er endlich keuchend und schnaufend die letzten Schritte des Abhanges erklommen hatte, preschten die ersten Pikten bereits im vollen Galopp nach Norden, tief über die Hälse ihrer kleinen Ponys gebeugt. Doch einige Nachzügler saßen noch nicht im Sattel. Ordulf nahm sich keine Zeit zum Verschnaufen, sondern stürzte sich mit einem Hechtsprung auf einen Feind, der gerade versuchte, ein scheuendes Pony zu beruhigen. Sein Schildbuckel prallte hart in den Rücken des Pikten, der stöhnend zu Boden ging. Das Pony nutzte die Freiheit und galoppierte wild wiehernd den Flüchtenden nach. Ordulf trat dem am Boden Liegenden in die Seite und an den Kopf, mit einem grunzenden Laut fiel er vollends in sich zusammen. Ordulf suchte nach dem nächsten Gegner, doch um ihn herum standen nur noch Sachsen. Sie hatten gesiegt!
„Du nimmst dir ein Dutzend Männer und ihr haltet hier oben Wache“, befahl Hengist Ordulf, sobald auch er das Plateau erreicht hatte. „Und gebt gut auf die Gefangenen acht“, fügte er mit einem Nicken in Richtung der Gestalten, die gerade von den Siegern auf die Knie gezwungen und gebunden wurden, hinzu.
Ordulf blickte sich um. Das war das erste Mal, dass Hengist ihm das Kommando anvertraute. „Ihr bleibt bei mir“, rief er, immer noch außer Atem, den Männern zu, die sich mit ihm auf der Kuppe der Anhöhe und bei den Gefangenen befanden. Dann stützte er sich keuchend auf seinen Schild. Sie hatten gesiegt und er hatte überlebt. Sobald sein Atem wieder ruhiger ging, machte er sich ein Bild von der Lage.
Insgesamt waren bei dem Scharmützel am Nordufer des Abus zwölf Pikten gefallen, weitere elf hatten sie gefangen. Unter ihnen befand sich auch jener Mann, den Ordulf am Aufsteigen gehindert hatte. Die Sachsen selbst zählten vierzehn Verwundete. Vor allem Platzwunden und einige gebrochene Knochen durch Steinwürfe. Tote gab es nicht zu beklagen. Thiadmar zählte zu den Verwundeten, offenbar hatte er einen harten Schädel. Eine lange Platzwunde zog sich quer über seine Stirn, blutete aber glücklicherweise kaum noch. Zwischen den Blutspuren im Gesicht sah er äußerst blass aus. Ordulf nickte ihm zu und schaute weiter in der Runde herum. Fast hätte er gelacht, denn unter den Männern, die er nun befehligte, war auch Halvor, der Ebbingemanne. Finster starrte er ihn aus seinem einen Auge an. Wurd spielte diesem Mann schon seltsame Streiche.
Ad Abum, Juni 441
Ceretic
Wieder hatten die Sachsen einen spektakulären Sieg über die Pikten errungen. Trotz – oder auch gerade wegen – Vortimers Verrat. Ceretic selbst fühlte sich bestens, hatte er doch mit seinem Einfall, die Boote über den Abus zu schleppen, die Sachsen gerettet, ohne Vortimers Befehle zu missachten.
Während einige Sachsen die Boote zurück zum Südufer brachten und das Übersetzen des britannischen Heeres begann, schritt Ceretic den Hang hinauf, um sich selbst einen Überblick zu verschaffen. Oben winkte ihm Ordulf freundlich zu. Zusammen mit anderen Sachsen stand er um einige am Boden kauernde Gestalten herum. Beim Nähertreten erkannte Ceretic die mit Kalkwasser hochgekämmten Haare und geflochtenen Schnurrbärte der Pikten. Er pfiff leise durch die Zähne: Elf Gefangene hatten die Sachsen gemacht. Sie knieten, an Händen und Füßen gefesselt, auf dem Höhenzug.
„Hast du hier das Kommando?“, fragte er Ordulf.
Der grinste stolz: „Ja, Hengist hat mich beauftragt diese Anhöhe zu besetzen!“
Ceretic verbarg sein Schmunzeln unter einem anerkennenden Nicken. „Und wie war es?“, fragte er dann.
„Schlimm, ein wahrer Speersturm. Es waren an die hundert Mann. Und ich dachte, sie würden uns geradewegs in den Fluss zurückwerfen. Aber dein Talisman hat mir wieder geholfen.“ Dabei kramte er das kleine Bronzekreuz hervor.
Ceretic sah kurz darauf und die Sehnsucht nach Rowena traf ihn wie ein Schlag. Er riss sich mit aller Gewalt zusammen. „Und wer sind die? Die überlebenden Pikten?“, wollte er wissen.
„Leider sind die meisten entkommen. Die hier sind unsere einzigen Gefangenen“, erklärte Ordulf mit bedauerndem Schulterzucken.
Ceretic wandte sich den Pikten zu, die seinen Blick feindselig und trotzig erwiderten. Der erste war ein schlanker Bursche mit wachen Augen. Ohne die blaue Bemalung und das nun ebenfalls blaue rechte Auge hätte er eigentlich ganz gut ausgesehen. „Was habt ihr hier zu suchen?“, fuhr Ceretic ihn barsch an, erhielt aber keine Antwort.
Einer der Sachsen trat dem Mann in die Rippen. „Du sollst antworten, du Hund“, rief er auf Sächsisch.