Niemand schaut in mich rein. Steffen Kabela

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Niemand schaut in mich rein - Steffen Kabela

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Senfgurken. Das mochte sie so sehr gerne. Kurz nach 10 Uhr stand ich unerwartet auf Station und wie immer bekam ich wieder einmal mehr reichlich Probleme mit Patienten und Angehörigen mit. Uns oder mich betraf es also nicht alleine, es gab noch mehr unzufriedene Menschen. Das passte natürlich weder den Schwestern noch den Ärzten. Und bekannt war und ist sind die Probleme im gesamten Haus und das schon seit Jahrzehnten. Ich ging einfach zu Mami ins Zimmer, sie freute sich unendlich sehr, mich zu sehen. Im anderen Bett lag die schwerkranke Frau und die Tochter saß weinend am Bett ihrer schlafenden Mutti. Zum Mittag bekam Mami einfach so Milchreis hingestellt. Tagesmotto „ Friss oder stirb.“ Der Pampf war dazu auch noch lauwarm mit Tendenz zu kalt. Die Kirschen über dem Milchreis trugen schon eine dunkel angetrocknete Haut. Es war ungenießbar. Auch die andere Frau bekam das gleiche Essen wortlos mit freundlichem Schwung und selbigem Motto auf den Nachttisch geknallt. Die Küchenfee verschwand auf nimmer Wiedersehen. Mami bekam von mir etwas Quark, ein Ei und Tomatensalat. Mami war wie immer glücklich und zufrieden. Nach dem Mittag bekamen wir unerwarteten Besuch von Schwestern der anderen Inneren Station. Die junge Ärztin vom Vortag hatte Wort gehalten und Mami zog um mit der Begründung, dass sie nichts für die Station 3 ist, sie ist eine „Fünfer Patientin“. Mami rollte mit dem Bett voran, ich packte die Sachen aus dem Nachttisch zusammen und folgte in Zimmer 505, das Bett am Fenster. Zwei weitere sehr nette Frauen lagen noch mit im Zimmer. Sie freuten sich über meine tatkräftige Unterstützung und Mami konnte mit ihnen erzählen. „Sie sind ja schon wieder bei uns, Frau Kabela“ – so kamen die Schwestern der Spätschicht in das Zimmer. Ja, so war es. Ich saß die ganze Zeit bei meiner Mami am Bett, war bei ihr und das tat ihr sehr gut. Ich machte ihr das Abendbrot und fuhr am späten Abend, kurz vor 22 Uhr, nach Hause in das einsame Zuhause. Zur Ruhe kam ich nie und nimmer. Nachts machte ich die Wirtschaft und den Haushalt. Ich kochte für den nächsten Tag für Mami Essen vor, mal Eintopf, Königsberger Klopse, marinierter Hering oder Kartoffelpuffer zur Überraschung, bereitete alles weitere zum Mitnehmen vor, kümmerte mich um die Wäsche. Alles ging sehr langsam, denn mir fehlte die Kraft und die Gedanken kreisten in mir. Manche Nacht legte ich mich erst gar nicht in mein Bett. Ich schlief oft nur kurz oder nicht. Das schlauchte und eine kalte Dusche und starker Kaffee half am Morgen. Obwohl es ihr schon wieder etwas besser ging, hatte ich keine Ruhe. Der liebe Gott wusste schon warum! Das 2020 unser Schicksalsjahr sein würde, ahnte ich, nein wusste ich. Die große Angst ließ mich zittern und frieren und die Wut in mir ließ mein Blut kochen. Mir ging es schlechter wie schlecht, dass konnte ich Mami aber nicht zeigen. Das wollte ich nicht, Mami wusste es aber und sah es auch an meinen Augen. Die waren rot und verquollen von den vielen Tränen. Kaltes Wasser half nur bedingt. Und dann waren immer noch die Gedanken im Kopf, was mich dann wieder in der Klinik erwartet, täglich etwas Anderes. Was wird werden, was wird kommen?!?! Weder Omis noch Papis Tod hatte ich nur ansatzweise verarbeitet. Auch nicht den Verlust der anderen Familienmitglieder, Verwandte, Freunde, Bekannte. Es geschah einfach viel zu viel in unserem Umfeld.Am nächsten Morgen telefonierte ich wieder zuerst mit Mami um zu erfahren, ob sie einen Wunsch hat. Ihr größter Wunsch war ich in ihrer Nähe, bei ihr. Den erfüllte ich sofort und war wieder kurz nach 10 Uhr bei ihr. Für diesen Tag organisierte ich mir einen Termin für ein Arztgespräch, was mir täglich zustand, ich es aber nicht täglich nutzte. Die Schwester schaute mich an, fragte nach, ob ich noch kein Gespräch hatte. Ich verneinte und sie versprach mir es weiterzuleiten. Ich wollte nur wissen, wie es mit Mami behandlungsmäßig weiter geht. Mehr eigentlich nicht. Und das sollte nun zum Problem werden, ein hausgemachtes, alt bekanntes Problem. Kein Personal zeigte sich im Zimmer, nur die Lehrschwester 1. Lehrjahr und der Praktikant, ein junger Kerl mit mittel-dunkler Hautfarbe. Beide waren sehr nett und freundlich zu den kranken Menschen und zu uns Angehörige und Besucher. Ich hatte schnell Kontakt zu ihm, sprach mit ihm und er vertraute mir. Sein Ziel war es, Rettungssanitäter zu werden. Nur leider erging es ihm auf der Station nicht gut, davon konnte selbst ich mich überzeugen. Er klagte und erzählte mir viel über seine Erlebnisse auf der Station, auch über Schikanen durch das Personal. Meine Ohren hörten viel und meine Augen sahen auch einiges, ich war informiert, allerdings mehr alarmiert. Was ich da sah gefiel mir nicht, es war richtiges Mobbing. Und das muss sich niemand antun, aber was dagegen tun, wenn man keine Hilfe hat. Für den großen Manitu ein echtes Problem! Das ist sehr schwer und auch ich habe das schon am eigenen Leib nicht nur einmal erlebt. Ich wusste, was er da durch macht. Ich blieb bei meiner Mami, wir unterhielten uns und Mami schlief immer mal wieder ein. Sie wusste, ich bleibe bei ihr, wenn sie aufwacht bin ich da. Sie schlief ganz zufrieden, friedlich und ruhig. Am Abend kamen dann die welligen Mischbrotschnitten. Zwei Küchenfrauen waren sehr freundlich und hilfsbereit zu den Patienten, an diesem Abend hatte ein anderes „Exemplar“ Dienst. Ich bereitete Mami ihr Abendbrot und blieb am Bett sitzen. Die „Wellbemmen“ lagen auf dem Teller, ein Arzt hielt es nicht nötig auf ein Gespräch mit mir zu erscheinen. Die andere Angehörige hatte auch nicht ihr angemeldetes Gespräch. Wir reklamierten gemeinsam. Die Schwester verstand es nicht und schwor, dass sie es an die Ärzte weitergeleitet hat. Nun waren nicht nur wir Angehörige sauer, sondern auch die Schwester. Sie wollte sich am nächsten Tag intensiv um die Arztgespräche kümmern. Wir hatten zwar Hoffnung, aber keinen Glauben mehr daran. Ich blieb noch eine Weile bei meiner Mama am Bett sitzen. Mami erfreute sich immer an den kleinen Blumengestecken auf ihrem Nachttisch. Mami mochte die kleinen selber gemachten Gestecke sehr und sie wurden auch immer bewundert von anderen Menschen. Ich kaufte mir die Schnittblumen, steckte die Gestecke zu Hause in Kombination mit Blüten von den heimischen Orchideen. So hatte Mami auch etwas von Zuhause an ihrem Bett. Mami freute sich auch immer , wenn andere Menschen sie bewunderten, wie sauber und gepflegt sie ausgesehen hat. Auch ihre Alter sah man Mama nicht an, sie wurde immer viel jünger geschätzt. Bewundert wurden immer die schönen Nachthemden, Handtücher und Waschlappen die für Mami täglich immer neu, gewaschen und sauber vorrätig waren. Alles duftete sauber und Mami antwortete auf Nachfrage immer ganz stolz „das macht alles mein Sohn für mich und noch viel mehr, er macht alles für seine Mama“. Mich machte es auch stolz, für mich war es aber normal. Ganz normal, denn ich wollte immer für meine Familie und für meine Mama da sein. Ich machte es nicht nur gerne, sondern auch mit viel Liebe. Und so gestaltete sich im Normalfall der Tag, im Moment allerdings wieder einmal die Nacht. Alles was Mami sehr mochte, machte ich auch für sie und nahm es mit ins Krankenhaus. Die eine Küchenfrau fragte schon immer nach, mit was Mama morgen wieder zum Mittag verwöhnt wird, „von dem Essen hier kann niemand gesund werden, nur noch Magenkrank“ – so die nette Dame. Also wurde die Nacht zur Nacht der Küche und des Herdes. Ich machte Kartoffelsalat, Nudelsalat, Gurkensalat, Schnellgurken, Tomatensalat, Rote Bete, nahm Wienerle, rohen Schinken, Obst wie Mandarinen, Trauben und Mango mit, das mochte sie gerne essen. Und nun war es wieder so weit, es war kurz vor 22 Uhr und ich fuhr wieder einmal sehr traurig nach Hause. Auch mir blieb nicht verborgen, dass sich Mami veränderte, sie wurde immer schwächer und schläfriger. Das war kein gutes Zeichen und ich machte mir noch mehr Sorgen. Zuhause angekommen begann die zweite Schicht für mich, die Gedanken waren immer bei Mami. Und so war es auch wieder eine arbeitsreiche unruhige Nacht.

      In den Gedanken sitze ich fest. Und heute ist auch noch so ein schrecklicher Tag, Tief Gisela liegt über dem Freistaat und bringt jede Menge Regen. Es regnet schon seit 1 Uhr heute Morgen, teilweise schüttet es. Es ist richtig dunkel und ich kann nicht auf den Friedhof fahren. Da steht alles unter Wasser, das ist mir bekannt. Ich bleibe zu Hause, da leben die Erinnerungen und ich schaue immer auf die aufgestellten Fotos meiner Lieben. Heute Mittag vor 37 Wochen hat das Herz meiner Mami aufgehört zu schlagen. Ich höre mich immer noch rufen, weil ich es nicht wahr haben wollte, ich sehe die Bilder vor mir und vernehme die Stille im Raum. Nur noch das Sauerstoffgerät brummte vor sich hin. Zu dieser Zeit entzündet sich die aufgestellte Kerze wie jeden Tag und ich werde am Bild und an ihrem Platz beten. Dann bin ich ihr ganz nah und auch meiner Omi und meinem Papa. Seit heute Morgen wasche ich die Gardinen. So nutze ich gleich den Regentag sinnvoll.

       Zeitig am Morgen des nächsten Tages ging ich schnell zum Einkaufen, beeilte mich, dass ich kurz nach 10 Uhr wieder in der Klinik sein konnte. Allerdings durfte unser Morgentelefonat nicht fehlen. Mami war noch sehr geschafft vom Waschen durch die Schwestern. Ich verstand es nicht, zu Hause war es doch auch nicht so. Was ist da nur los? Mami freute sich schon wieder auf mich. Und dann war es auch bald soweit, Mami wartete schon auf mich und sie hatte ein schönes Lächeln im Gesicht. Die Oberärztin kam mir auf dem Gang entgegen und sprach

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