"Die Stunde des Jaguars". Jens Petersen

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Sie kamen jetzt aus den verschiedensten Ländern Europas, nicht nur aus Spanien. In ihrer Beutegier fielen sie mit hemmungsloser Brutalität über Mittel- und Südamerika her. Eisenrüstungen, Pferde, Schusswaffen, Artillerie und große sog. Kriegshunde verschafften ihnen die nötige militärische Überlegenheit.

      Nur ein Bruchteil der geschätzten 50 Millionen Indianer überlebte die nächsten 300 Jahre spanischer Herrschaft. Da, nach international anerkannter rechtlicher Definition als Genozid nur gilt, wenn die Ausrottung dieser Ethnie beabsichtigt war, wurde hier einer der umfangreichsten Völkermorde der Geschichte weniger beachtet. Den Conquistadoren ging es ja vornehmlich um Eroberung und Bereicherung. Folglich darf man die Millionen von gemordeten und durch eingeführte Seuchen dahingerafften Indianer nur als Kollateralschaden betrachten.

      Nicht aus dem Sinn wollten Cuevas diese Eindrücke gehen. Noch viel weniger die Tragödie des historischen Ablaufs. Die Gründe für den Untergang lagen tiefer, als nur in der Person des Moctezuma. Aber die Zeugnisse dieser Kulturen waren noch da, trotz eifriger Zerstörung durch die Conquistadoren. Unentwegt werden noch immer neue entdeckt. Wie kaum irgendwo in der Welt wuchs eine Symbiose heran aus indianischer und abendländischer Kultur. Architektur, Literatur und Malerei zeugten davon. Als einige der schönsten Beispiele waren ihm die Bilder von Rufino Tamayo erschienen, die er im gleichnamigen Museum, ebenfalls im Park von Chapultepec gesehen hatte.

      Diese Gedankengänge wurden jäh unterbrochen.

      (Da ist doch tatsächlich so ein Dilettant, der glaubt, mich zu observieren, während ich hier am frühen Nachmittag die 5 de Mayo in Richtung Zocalo hinunter schlendere. Den Typ hatte ich doch schon heute Vormittag im Mercado Salto de Agua gesehen. Als der an dem Ess-Tresen mir gegenüber Platz nahm und mich so anglotzte, dachte ich mir noch nichts dabei. Aber nun ist es wohl an der Zeit, sich etwas dabei zu denken. Um sicher zu gehen, überquere ich mal die Straße.)

      Auf der anderen Seite angelangt, betrachtete er, nicht ohne erwachendes Interesse die Auslagen im Fenster von Dulces de Celaya, das Feinste an Zuckergebäck.

      (Dieser Typ ist tatsächlich auch übergewechselt auf diese Seite. Glaubt der wirklich, das merkt keiner? Gut, dann gehen wir an der nächsten Kreuzung wieder zurück.)

      Nachdem er die Straße wieder überquert hatte, blieb er vor einem Schaufenster stehen. Er betrachtete nicht die Auslagen, die ihn diesmal herzlich wenig interessierten, aber dafür umso mehr, was der Typ da ca. 20 Schritte hinter ihm nun machen würde. Der war auch, nachdem er abermals die 5 de Mayo überquert hatte, stehen geblieben.

      (Für wen hält der mich eigentlich?)

      (Aber davon mal abgesehen, interessanter wird jetzt die Frage, für wen arbeitet der? Kein Schwein kennt mich hier in der Hauptstadt. Sollten die Offiziellen, die mich hierher bestellt haben, mir vorher auf den Zahn fühlen wollen? Unwahrscheinlich. Egal, ob ich nun ins Museo de Anthropologia gehe, auf der Reforma spaziere oder den Mercado aufsuche, das alles brächte für die keine verwertbaren Erkenntnisse. Es sei denn, sie wollen wissen, ob ich mich hier mit irgendjemandem treffe. Ich wüsste zwar selbst nicht mit wem und in welcher Angelegenheit. Aber man weiß ja nie, was in Bürokratenköpfen so alles herumspukt an Befürchtungen.)

      (Dennoch, naheliegender erscheint mir etwas Anderes. Ich hatte schon gleich den Eindruck, dass die Anwesenden auf der Grenzstation von Sonoyta alles andere als zufällig dort waren, und nicht nur der Mörder, welcher von ihnen es auch gewesen sein mag, etwas mit Gonzalves zu tun hatte. So weit so gut. Aber wenn mich hier schon jemand auf Schritt und Tritt beschattet, dann heißt das doch, dass mehr als ein Einzelner dahinter steckte. Dann frage ich mich doch: Was war so bedeutend an Gonzalves Entdeckungen?)

      (Nur, wenn ich den Typ jetzt zur Rede stelle, erfahre ich gar nichts, habe ihn höchstens gewarnt. Auf jeden Fall fängt es jetzt an richtig interessant zu werden.)

      Dann kam ihm die passende Idee. Er ging auf einen dieser überall herumlungernden Gassenjungen zu, der an der Eimündung der Allende stand.

      „Möchtest du dir 10 Pesos verdienen?“

      „Claro que si, Señor.“

      „Siehst du den Mann mit dem weißen Hemd und den Strohhut, der da 20 Schritte zurück gerade so interessiert das Schaufenster betrachtet?“

      „Si Señor.“

      „Hier hast du 10 Pesos. Geh‘ zu dem Polizisten dort drüben und erzähle ihm, dieser Mann hätte dich überreden wollen, mit ihm zu kommen und dir dafür einen großen Eisbecher versprochen.“

      Hinter einem Zeitungsstand stehend in einiger Entfernung konnte Cuevas beobachten, was sich nun abspielte. Der Betreffende war etwas erschrocken über die barsche Ansprache des Polizisten. Soviel war klar, wäre er ein von den Offiziellen Beauftragter, so hätte er irgendeinen Ausweis präsentiert. Woraufhin der Polizist salutiert und sich entschuldigt hätte. Aber nein, der Mann redete nervös auf den Polizisten ein, musste seine Papiere hervorkramen und eine längere Debatte war zu erwarten. Cuevas wusste, was er erfahren wollte.

      (Hatte ich also richtig vermutet. Da steckt noch mehr dahinter. Wenn die mich hier in der weit entfernten Hauptstadt observieren, sogar erheblich mehr. Das verrät mir außerdem, dass der Mörder kein Einzeltäter war, vermutlich ein Auftragskiller.)

      Was er ebenfalls wusste war, dass er von nun an unbeschattet weiter die 5 de Mayo entlang flanieren konnte. Jedenfalls glaubte er das.

      Diese mündete in die Nordostecke des Zocalo, jenes großen, zentralen Platzes, Zentrum dieser Riesenstadt und des Landes überhaupt. In dessen Mitte stand, folgerichtig ein mehrere Stockwerke hoher Mast mit einer gigantischen Fahne. Direkt vor sich stieß Cuevas auf die Seitenwand der Kathedrale. Vor dem hohen Eisengitter der Umzäunung saßen etliche Männer auf dem Boden, die auf Pappschildern ihre Dienste anboten als Maurer, Installateur, Zimmermann oder Tapezierer. Hier und entlang der Vorderseite des umfangreichen Kirchenbaus wimmelte es noch mehr von Menschen. Verkaufsstände mit den verschiedensten Angeboten bewirkten, dass diese Ansammlung immer dichter wurde. Genug der Ablenkung auch, dass er das Grübeln aufgab, wer ihn denn da und aus welchem Grunde observieren wollte.

      (Was immer der, oder dessen Hintermänner über mich wissen wollten, sie hätten nichts von Interesse erfahren. Höchstens, dass ich am Ende in den Regierungspalast gehe. Na und? Von da ab könnte es vielleicht interessant für sie werden. Wer weiß, vielleicht auch für mich. Aber an der Wache am Eingang kommt niemand vorbei, der nicht einen offiziellen Auftrag vorweisen kann.)

      Vor der Frontseite der Kathedrale waren jetzt immer mehr Männer zu sehen in aztekischer Kostümierung, überragt von riesigem Federschmuck, die trommelten und tanzten. Selbstverständlich klickten vor ihnen unentwegt die Kameraverschlüsse. Abgesehen von einigen wenigen, die an leichtgläubige Touristen allerlei Tütchen mit wunderwirkenden Pulvern verkauften, nahmen die wenigsten Notiz davon. Ihre Aufmerksamkeit hatte der Anfertigung überlieferter Kostüme gegolten und vor allem diesen farbenprächtigen Federgebilden, die sie ihre Köpfe weit überragend mit bloßem Oberkörper trugen. Gründlich missverstanden wurde es als Darbietung für Sightseeing suchende Fremde. Nachkommen der verdrängten Azteken wollten diese Tänzer sein, empfanden sich so, wollten das am eigenen Leibe spüren. Cuevas merkte, wie dieses Gefühl ihm selbst auf einmal gar nicht so fremd war. Die Identifikation mit der vergangenen, verlorenen Kultur wurde ihm plötzlich deutlich. Eroberung, nachfolgende Unterdrückung und Zerstörung hatten auch bei ihm eine empfindliche Lücke hinterlassen.

      Dieses Gefühl nahm noch zu, ebenso wie auch die kostümierten Tänzer und Trommler, je mehr er sich am Baptisterium vorbei, den Überresten des Templo Mayor näherte, dem ehemaligen Mittelpunkt des alten Tenochtitlan.

      (Welch eine wundersame Stadt musste

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