"Die Stunde des Jaguars". Jens Petersen

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Haupttempels.)

      Doch dahin waren bei dessen Anblick auf einmal Faszination und Stolz. Etwas ganz Anderes verdrängte mit Macht dieses Bild. All die auf seiner obersten Plattform, einem religiösem Wahn dienend sinnlos geschlachteten Menschen. Da erschienen vor seinem Auge die gewaltigen Ströme von Blut, die Stufen des Tempels herunter rinnend und die Fassaden einfärbend. Die riesigen Berge von viel zu schnell verwesenden Leichen. Das war keine Gabe für die Götter, das stank zum Himmel.

      Zwar gab es die Menschenopfer erst in den letzten 200 Jahren vor der Eroberung. Aber sie waren rapide angewachsen und wurden zu dem großen Schandfleck. Man opferte vor allem Kriegsgefangene aus den Nachbarvölkern. Deren brutale Unterdrückung verbunden mit maßloser Steuereintreibung erzeugte immer mehr Hass. So opferte man am Ende nicht nur Gefangene, sondern ohne sich darüber im Klaren zu sein, auch sich selbst, seine Stadt, seine Kultur. Ohne die Tausende von ihm folgenden Kriegern aus den unterdrückten Völkern wäre es Cortéz nie gelungen Tenochtitlan zu erobern.

      Es hieß Ahuizotl, der Vorgänger Moctezumas, ließ zur Einweihung dieser Hauptpyramide 20.000 Menschen opfern, zur Einweihung des großen Tempels von Huitzilopochtli, des Kriegsgottes sogar 70.000. Das Blut dieser Opfer wäre nötig, um den Durst der Sonne zu stillen, wurden die Priester nicht müde zu verkünden. Erst so könnte man sich deren segensreiche Strahlen erhalten.

      (Blödsinn! Religiöser Wahn! Nur wieder so ein Vorwand für Unterdrückung. Vermutlich wird man, wie bei den meisten Übeln, als wirkliche Ursache wieder Macht- und Habgier finden. Es sieht so aus, als hätten wir die spanischen Eroberer verdient, als wäre die Conquista und Vernichtung Tenochtitlans die notwendige Lösung gewesen.)

      Nur dabei blieb es nicht. Die Spanier brachten neues Leid und neue Unterdrückung. Nicht allein das Herrschaftsgebiet der Azteken, auch die zahlreichen anderen Völker und Kulturen wurden unterjocht, unzählige ihrer Einwohner von den überlegenen Eisenwaffen gemetzelt, mit den Pferden niedergeritten oder von den mitgebrachten großen Hunden gejagt und zerfleischt.

      Cortez verhüllte beim Anblick der aztekischen Menschenopfer voller Abscheu sein Gesicht und betrachtete den indianischen Glauben als Teufelswerk. Er fand aber nichts dabei, wenn seine spanische Soldateska die Indianer hemmungslos folterte und mordete. Die grausamsten Übergriffe spielten sich noch nach der Eroberung ab, ohne militärische Notwendigkeit.

      Es nahm derartige Ausmaße an, dass am Ende sogar Cortez an seinen Kaiser schrieb: „Der Jammer und das Elend waren ungeheuerlich. Es ist mir unmöglich zu ermessen, wie das Volk die Belagerung hat aushalten können. Mehr als 50.000 waren in der Stadt gestorben. Die Zustände waren in der ersten Zeit nach der Eroberung so entsetzlich, dass man Neugeborene mit den Worten empfing:

      „Du wirst Leid, Missgeschick und Ekel sehen, kennen und kosten lernen. An die Stätte fortwährender Trauer und Trübsal bist du gekommen, wo sich der Schmerz erhebt, wo es zum Erbarmen ist.“

      Religiöse Menschenopfer gab es nun nicht mehr, dafür die Inquisition. Darüber hinaus einen Klerus, der sich noch über Generationen derart anmaßend und raffgierig gebar, dass er zur Seuche für das Land wurde. Bis unter Präsident Juarez, Mexico das einzige christliche Land war, in dem die Kirche verboten wurde. Mittlerweile ist sie wieder erlaubt, aber mit einer Reihe von Einschränkungen, vor allem was das Auftreten ihrer Statthalter in der Öffentlichkeit und in der Politik betrifft. Zug um Zug hatten eine Revolution nach der anderen erst die Befreiung von der Spanischen Krone und dann allmählich bessere Verhältnisse für die Bevölkerung erstritten.

      Kulturell bildete sich diese einmalige Symbiose zwischen den hier gewachsenen indianischen Kulturen und der importierten abendländisch–spanischen.

      In derlei Gedanken versunken stand Cuevas immer noch vor dem Gelände des einstigen Templo Mayor, als eine Gruppe nordamerikanischer Touristinnen dieses verließ. Er bekam gerade noch mit, wie der einheimische Reiseführer versuchte, den empörten Gringas die einst zelebrierten Menschenopfer zu verdeutlichen.

      „Sie müssen verstehen, meine Damen, die Götter verlangten so etwas.“

      Das ging Cueveas denn doch gewaltig gegen den Strich.

      (Da ist er also schon wieder, dieser selbstzerstörerische, religiöse Wahn. Das sollte man nicht unwidersprochen so stehen lassen.)

      „Verzeihen Sie, wenn ich mich einmische“,

      redete er sie auf Englisch an.

      „Ich glaube, ich kann es den Damen besser verdeutlichen. Gewiss werden einige von Ihnen eine Katze haben?“

      „Oh, ja“,

      beteuerten mehrere.

      „Und gewiss haben Sie schon erlebt, wie ihre Katze Ihnen manchmal einen erlegten Singvogel, sozusagen als Morgengabe, auf die Fußmatte legt?“

      „Ja, leider, wir sind jedes Mal ganz unglücklich und wissen gar nicht, wie wir es dem Tier abgewöhnen können.“

      „Am liebsten würde ich ihr in diesem Moment den armen Vogel um die Ohren hauen“,

      entrüstete sich Eine.

      „Sehen Sie, meine Damen, jetzt wissen Sie in etwa, wie sich Götter über Opfer freuen!“

      Er drehte sich um und ließ die Touristinnen samt Reiseführer mit offenem Mund zurück.

      Der Regierungspalast nahm die ganze östliche Längsseite des Zocalo ein. Er hatte aber nur einen Eingang, genau in der Mitte. Zu um 15 Uhr war Cuevas geordert, stellte sich aber lieber eine Viertelstunde früher ein. Die Wache am Eingang prüfte seinen Ausweis und suchte in dem dicken Buch mit den Terminen.

      „Cuevas, Cuevas, Alfonso Cuevas?“

      „Ja.“

      „Da steht es, Sie sollen Sich um 15 Uhr bei Comandante Ibañez einstellen. Ich schreib’ ihnen auf diesem Zettel die Zimmernummer auf.”

      Im weiten Innenhof blieb er wie elektrisiert stehen. Hier war es vor ihm, im Original. Der kleine Ausschnitt auf einem Druck hatte ihn bereits so fasziniert. Das große Wandgemälde, auf dem Diego Rivera in leuchtenden Farben die Geschichte seines Landes erzählte, eindringlicher als Worte es vermögen. Als Cuevas die üppige Darstellung des alten Tenochtitlan betrachtete, spürte er es stärker denn zuvor, den indianischen Teil seiner Herkunft, und eine schwere Traurigkeit senkte sich auf ihn. (Ich darf nicht zu spät kommen),

      sagte er, um sich davon loszureißen.

      Nach recht kurzer Wartezeit wurde er hereingebeten. Hinter dem Schreibtisch saß ein älterer Uniformierter.

      „Comisario Cuevas, ich sehe hier, Sie Sind unverheiratet?“

      „Ja.“

      „Keine Kinder?“

      „Nein.“

      „Auch nicht aus unehelicher oder vergangener Beziehung?“

      „Nein.“

      „Sind Sie verlobt oder planen Sie in absehbarer Zeit eine Eheschließung?“

      „Nichts dergleichen.“

      (Was sollen ausgerechnet all diese familiären Fragen?)

      „Wen haben Sie für die Zeit Ihrer

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