"Die Stunde des Jaguars". Jens Petersen

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nach ihrem Tod zu Göttern mutierten. Die rituelle Hauptstraße, der sogenannte Totenweg, führte schnurgerade auf die Mondpyramide zu und endete auf deren Spitze. Das wäre genau da, wo ich jetzt liege. In Verbindung gebracht wurde diese Spitze mit der Milchstraße. Bin immer mehr gespannt, wie die Show weitergeht. Zum Glück bin ich ja im 20.Jahrhundert. Das alles kann also nur eine symbolische Zeremonie, eine historische Nachahmung sein.)

      Inzwischen waren noch einige Adlerkrieger hinzugetreten, die andere kostümierte Kriegerkaste der Azteken.

      (Wer sind alle diese Leute? Wer inszeniert diese Show? Und wieso gerade ich?) Soweit er es überblicken konnte, standen inzwischen hier auf der Plattform der Mondpyramide mindestens ein Dutzend Männer herum.

      (Teotihuacan muss so etwas wie die Heilige Stadt der Tolteken gewesen sein, die Stätte ihrer höchsten Rituale. Die Ansichten der Altertumswissenschaftler, wie ich gelesen habe, gehen allerdings auseinander. Manche meinten Teotihuacan wäre der Ort einer noch früheren Kultur. Die Indianer jedenfalls identifizieren es mit den Tolteken, für sie die große, alte Leitkultur. Der Name deren Herkunftslandes ist nur in Aufzeichnungen überliefert. Wie bei so manchen alten Sprachen, bestehen alle Worte im Prinzip aus drei Radikalen, in diesem Fall A, T und L. Das hätte irgendwas mit Wasser zu tun, habe ich gelesen. Es hieß auch, dass ihre Hauptstadt auf Wasser gebaut war. Wie das ausgesprochen wurde, wusste kein Mensch mehr, nicht mal die Leute von Tollan, die heute noch Tolteken genannt wurden. Sie glaubten, ihre Vorfahren waren von jenseits des Meeres gekommen, von einem Land welches sie, wie man vermutet, At-Tollan nannten. Klingt verdächtig nach Atlantis, zumal das „is“ vermutlich von den Griechen angehängt wurde.)

      Während Dave noch in solchen Vorstellungen schwelgte, waren weitere dazu gekommen, deren harte, bleiche Gesichter nicht gerade freundlich aussahen. Sie fielen auf durch ihr wirres, zerzaustes Haar. Lange Umhänge trugen sie, die ungepflegt aussahen. Beim Näherkommen sah man deutlich die großen, rotbraunen Flecken darauf, die wie getrocknetes Blut wirkten. Obendrein umgab sie auch noch ein abstoßender Geruch.

      (Teotihuacan war doch bekannt als friedfertig,)

      beschwichtigte Dave sich selbst.

      (Keine Mauern wurden bei Ausgrabungen hier gefunden, keine Waffen. Der höchste Gott war kein finsterer, bedrohlicher wie bei den späteren Azteken. Es war der Regengott Tlaloc, auch Herr über Tlaloccin, das Paradies. König war der ebenso friedfertige wie fortschrittliche Quetzalcoatl, der später auch zum Gott wurde.)

      Dave grübelte so vor sich hin.

      (Es muss eine großartige Kultur gewesen sein, eine Zeit der Reifung, des Lernens und der Forschung.)

      Sagte er sich noch, als er bereits vier von den stinkenden Männern, offenbar Priester, heran treten sah. Sie lösten die Anderen ab und drückten mit Macht jeder einen Arm oder einen Fuß von ihm nach unten. Gänzlich durchgebogen und bewegungsunfähig lag er jetzt stramm über den kalten Stein gespannt.

      Wieso fiel es ihm gerade jetzt erst ein?

      (In der Spätzeit, hatte doch der finstere Texcatlipoca den lichten Quetzalcoatl verdrängt. Dieser, ebenfalls später zum Gott gewordene, aber zu einem grausamen, religiösen Fanatiker, der die Menschenopfer einführte. Diese Opfer wurden stets auf die oberste Plattform einer Pyramide gebracht und auf einen abgerundeten Stein gelegt, der ihre Rippen etwas weiten sollte. Arme und Beine wurden von vier Priestern festgehalten. Ein Oberpriester schnitt sodann mit einem Obsidianmesser die Brust auf und riss das Herz heraus. Das wurde den Göttern oder der Sonne geopfert und der noch zuckende Leichnam vom Tempel herunter geworfen.

      Quetzalcoatl musste fliehen. Wie es hieß, nach Tlapallan, dem Land der Morgenröte, jenseits des Meeres. Das Volk tröstete sich mit der Weissagung, er würde eines Tages wiederkommen, über das Meer und mit ihm wieder glücklichere Zeiten. Was für ein katastrophaler Irrtum, dass man ausgerechnet Cortez für ihn hielt! Nun ja, das alles ist Geschichte oder auch Mythologie. - Die Gegenwart ist da beruhigender, jedenfalls was diese Performance hier betrifft.)

      Er wollte, seine Freunde und Kommilitonen aus LA könnten ihn hier sehen, lenkte er sich selber ab. Oder besser noch, einer von ihnen würde das alles mit seiner Videokamera aufnehmen. Das würde ihm doch sonst niemand glauben.

      Ungeachtet aller Faszination beschlich ihn dennoch der Gedanke:

      (Wer könnte solch eine Show veranlasst haben und zu welchem Zweck? Auch hätte ich gern gewusst, wie lange das noch dauert.)

      Allmählich drang ihm nämlich die Kälte in die Knochen von dem harten Stein unter seinem Rücken. Selbst seine Hochstimmung, endlich auf den Spuren Castanedas zu wandeln, hatte erste Bedenkenrisse bekommen. Diese eisernen Griffe an seinen Gelenken von den Händen der im bleichen Mondlicht noch farbloser Wirkenden mit ihren ausgemergelten Gesichtern ließen bei ihm doch ein Gefühl der Hilflosigkeit aufkommen. Die Gewissheit des Ausgeliefertseins begann die noch so aufregenden Phantasien zu unterwandern. Nur den Kopf konnte er noch bewegen. Durch die rasch dahin ziehenden Wolken brach immer wieder Mondlicht hervor, beleuchtete die Seiten der großen Sonnenpyramide rechts gegenüber und ließ jetzt deren Schlangenköpfe erkennen.

      Doch dieser Blick wurde abrupt versperrt durch eine neu hinzutretende, dunkle Gestalt, ähnlich den vier Ungepflegten, so penetrant riechenden. Nur die Augen waren noch starrer. Reicher Kopfschmuck aus Federn umgab das unbewegte Gesicht. Alle anderen sah David ehrfurchtsvoll zur Seite treten, außer denen, die seine Glieder weiterhin fest umklammert niederdrückten. Der Neue musste wohl so etwas wie der Oberpriester sein. Ganz nahe herangetreten, erhob er sich wie eine Statue direkt über Dave, die herrischen Gesichtszüge im bleichen Mondlicht erstarrt. Pathetisch begann er einen Text zu rezitieren, in einer Sprache die Dave noch nie gehört hatte. Ihm fiel nur die mehrfache Wiederholung ganzer Passagen auf.

      (Ist es die magische Wirkung dieser Worte, die mich lähmt oder ist es die immer mehr in meinen Körper herein kriechende Kälte?)

      Als die Rezitation geendet hatte, und Dave sich gerade fragte, was nun wohl noch kommen könnte, oder ob damit das mittlerweile doch recht willkommene Ende der Performance erreicht sei, riss der mit einer raschen Bewegung Daves Hemd auf. Sodann drückte er mit der linken Hand schwer auf seine Brust und erhob mit der Rechten ein Obsidianmesser.

      Schlagartig brach für Dave die ganze Konstruktion abenteuerlicher Fantasien zusammen. Betäubende Erkenntnis überfiel ihn, die ganze Zeit einer Illusion aufgesessen zu sein. Unfassbar, was im Sekundenbruchteil das Bewusstsein überfliegen kann. Alle diese Bilder tauchten vor Dave auf, von den Tausenden Geschlachteter auf den Opfersteinen der Tempel. Wie ihnen die Brust mit dem Obsidianmesser aufgeschnitten wurde, das Herz herausgerissen, um es den Göttern zu darzubieten und die noch zuckenden Leichname die steile Pyramide hinunter gestoßen wurden.

      Nur kurz sträubte er sich noch die Realität wahrzunehmen, bevor lähmendes Grauen ihn überwältigte.

      „Neiiin!!!“

      Konnte er gerade noch schreien, bevor ihm eine Hand den Mund zudrückte und alles schwarz wurde.

      Wie flackernd schob sich eine vage Einblendung kurz in sein Bewusstsein. Er war wieder, oder noch immer in der Hütte. Aber nicht vor dem Tisch und dem Obsidianstein sitzend sondern auf der Matte am Boden liegend. Beißender Rauch umgab ihn dort. Viel zu groß und zu nah über ihm war dieses Gesicht, das einer steinernen Statue, einer sehr alten, gemeißelt in vorkolumbianischer Zeit. Es war auch das Gesicht Juans, und doch war es etwas ganz anderes.

      Entschieden zu kurz und bruchstückhaft war diese Vision, um sich deutlich zu manifestieren, bevor ihn wieder die völlige Schwärze verschlang.

      Das Erste was er sah, als er wieder

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