Von Weiten und Zeiten. Josef Mugler

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Von Weiten und Zeiten - Josef Mugler

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markierte. Die Buschlandschaft erzählt, dass menschliches Leben und Treiben hier lange unerwünscht waren. Das Gesträuch ist undurch­dringlich, das Gras hoch und aus den Bäumen ragen verdorrte Äste.

      Endlich tauchen wieder bewirtschaftete Felder und Vorstadthäuschen auf. Der Bahnhof von Břeclav ist größer als der mancher Lan­deshauptstadt, aber grau und abgenutzt wie eine alte Wohnung in einem Abbruchobjekt. Langsam hoppelt der Zug durch das endlose Bahnhofsareal. Industriegeruch füllt die Luft, schwarze Halden zerriebener Kohle schauen über die Bordwände vorbeiziehender Lastwaggons. In der Ferne protzen die neuen Aufschriften westlicher Kon­zerne, die Besitzergreifung verkündend, bis dann das fla­che Land wieder zwischen die Häuserkolonnen einbricht und breiter wird und schließlich die Siedlungen wieder ganz verdrängt.

      Ein Lastwagen wirbelt eine lange Staubfahne auf und zieht sie hinter sich her, wie wenn die staubige Land­straße hier zum Selbstverständnis gehöre. Für die Bahn gibt es neue Gleise und eine neue Oberleitung. Baustellen verlangsamen die Fahrt, die aber bald auf europäisches Eilzugstempo beschleunigt sein wird. Bagger haben schon tiefe Wunden in den Boden gegraben. Eine neue Kulturlandschaft entsteht: Dämme wie mit dem Lineal ge­zogen, Betonpfeiler, die niemand mehr von der Stelle rücken wird, Eisenträger, die silbern vom Zink glänzen, anstatt mit dem rostbraunen Herbstlaub verstecken zu spielen. Schotterhaufen warten darauf, abgetragen und gleichmäßig verteilt zu werden, und in Gräben liegen bunte Rohre und Kabel, deren Farben wohl ihren Inhalt angeben und den Baggern der fernen Zukunft sagen sollen: Hier liege ich, zerstör mich nicht!

      Die Baustellen bringen die Fahrpläne durcheinander. Sie werden von den Fahrplangestaltern und Auskunftgebern ignoriert wie die höhere Gewalt einer Überschwemmung oder eines Erdbebens. Verspätungen sind ein Charakter­zug des Verkehrs, die Bahnhöfe haben auf ihren Ankün­digungstafeln eigene Rubriken dafür vorgesehen. Schließ­lich ist der Reisende froh, gut angekommen zu sein. Was macht da eine kleine Verspätung, meist nicht mehr als ein paar lumpige Prozent der ganzen Fahrzeit?

      Brünn taucht auf, zunächst wie auf einer Bühne an einer Hügelkette sanft angelehnt, auf welche die tief liegende Herbstsonne wie ein Scheinwerfer strahlt. Hohe Masten wölben sich schützend über ein Betriebsgelände und wie­der sperrt ein riesiger Bahnhof sein Maul auf, mit Unkraut und Sträuchern, aus welchen rostende Waggons ragen und sich gegen das Überwachsenwerden gerade noch wehren können. Brünn hat auch breite Straßen und viel unverbautes Gelände an der Peripherie. Die Bahn kommt dicht an das Zentrum heran. Der Dom steht am höchsten Platz und strahlt Standfestigkeit aus gegenüber den stän­dig herein und hinaus polternden Zügen.

      Hier steigen auch Fahrgäste zu. Es gibt noch nicht so viele Autos. Die Bahn hat noch ihren festen Platz im Leben der Men­schen, nicht nur im Nahverkehr. Unheimlich gedul­dige, ja teilnahmslose Gesichter bevölkern die Bahn­steige, abwe­sende Gedanken sind zu lesen, schon am Reiseziel ange­kommen, oder vielleicht noch an dem hängend, was sie gerade verlassen haben. Dazu gesellen sich viele verfal­lende Betriebsgebäude, Zeugen aus einer anderen Zeit, als eine Fabrik noch etwas galt und nicht nur der Markt, dieses unsichtbare und doch allgegenwär­tige Gespenst, das so schnell wieder verschwindet, wenn man es gefasst zu haben glaubt.

      Nirgends präsentieren sich die Hüllen von Lokomotiven so rostig wie auf den Abstellgleisen hier. Sie scheinen nicht begreifen zu wollen, dass das Zeitalter der Furcht einflößenden Kolosse dem Zeitalter der Verkleinerung durch Elektrik und Elektronik gewichen ist. Dann plötzlich ein Durchblick auf einen Platz in der Vorstadt mit einem Exemplar der schönsten, saubersten, flottesten Straßen­bahn! So prallen alte und neue Zeiten aufeinander. Neues nistet sich ein in das rostende Chaos, unaufhaltsam, lang­sam, aber beschleunigend.

      Hinter Brünn führt die Trasse der Bahn bald in ein Tal, das man altmodisch als lieblich beschreiben könnte. Ein sanf­ter Einschnitt in eine Hügelkette, Häuser, die sich bald zu Dörfern zusammendrängen, sich bald vereinzelt an einen Hang schmiegen, Felder und Wiesen, wo der Talgrund breit genug dafür ist – und immer bunteres, dunkleres Herbstlaub zeugt von rauerem Klima. Fischteiche, Fried­höfe, Gartenhütten, Obstgärten, Hühnerställe und ein­same Fabrikanlagen ergeben eine kuriose Mischung der Spuren menschlichen Treibens. Fernsehantennen, die meisten hoch wie Spinnennetze auf den Dächern, aber auch schon Schüsseln, die in den Weltraum hinaus­schauen können und von dort die irdischen Geschichten im Land verteilen.

      Kurim, Tišnov und andere Kleinstädte, auf die der Reisende vom erhöhten Bahndamm hinunterschaut, kommen und gehen. Dazwischen drücken sich viele kleinste Dörfer in Talschneisen zusammen, fast genauso wie im Wie­nerwald. Manchmal erscheint auch ein Bahnhof, der zu keinem Dorf zu gehören scheint, aber die glei­chen verrosteten Waggons am Gebüschrand beherbergt wie sei­ne großen Brüder. Immer öfter verschwindet die Sonne hinter den Hügeln, wie wenn sie mit den Reisen­den spielen wollte, und auf einmal bleibt sie ganz verbor­gen.

      Jetzt kommt die Zeit der Lichter, der Laternen, der Auto­scheinwerfer, die ihre Arbeitsschicht antreten. Am Fens­terplatz wird es erst recht verwirrend. Denn Durchblick auf die Landschaft und narrende Spiegelungen im Fenster wechseln einander in kurzen Rhythmen ab. Bald erliegt der Reisende dem tollen Treiben und blendet sich aus, die Augen schließend, sie bei jedem neuen Geräusch wieder aufschlagend, dem Abenteuer wiedergewonnener Aus­sicht nachjagend, wieder zurückfallend in unruhiges Da­hindämmern, bis die Lichter der Großstadt das Ende der Reise ankündigen.

      Von den Weiten

      Aufbruch

      Bin losgerannt,

      weil mein Verstand

      in Moll und Dur

      Neues erfuhr.

      Hat über Nacht

      Schnee gebracht.

      Löschte die Spur

      nach letzter Fuhr.

      Kam in das Land,

      so unbekannt,

      hab dich gesucht

      und dir geflucht.

      Hier ungeahnt,

      weisend dich fand.

      Zagendem Blut

      wuchs neuer Mut.

      Aus dunkler Nacht

      rief mich mit Macht

      dein sanfter Kuss

      zum guten Schluss.

      Auf Wanderschaft

      Der Wald droht immer dunkler

      und dornig das Gestrüpp.

      Wo führt der Weg, den ich gewählt

      mit all der Zuversicht der Jugend?

      Ich sehe ihn nur hinter mir.

      Geleite mich zurück zur Gabel!

      Dort will ich nochmals wähnen,

      ob nicht der andere taugte,

      wo in der Ferne die Zitronen blühn,

      im dunklen

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