Von Weiten und Zeiten. Josef Mugler

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Von Weiten und Zeiten - Josef Mugler

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im Dreivierteltakt.

      So wächst Schicht um Schicht hinan,

      drauf Gehölz zur Daches Gleiche.

      Stellt euch schnell zum Umtrunk an,

       dass der Segen niemals weiche!

      Die Welt

      Die Welt ist der Ort,

      wo alles und nichts sich berühren,

      unendlich erscheinende Endlichkeit,

      weilendes Weh, blitzende Lust.

      Ist das alles, was der Fall ist?

      Einst im 360er

      Das Fräulein vis-a-vis

      und Regen in der Nacht.

      Ein Strich aus dem Auge

      und rosa der Mund!

      Wir fuhren mit der Straßenbahn

      dahin in Nacht und Licht.

      Und vielleicht war kein Regen

      und vis-a-vis wer anderer.

      Der 360er

      Der 360er war eine Straßenbahn: die Linie 360. Sie war die Verlängerung der Linie 60, die es heute noch gibt, an die südliche Stadtgrenze des ehemaligen Groß-Wien. Die alte Babenberger-Stadt Mödling war bis 1954 „Haupt­stadt“ eines Außenbezirks von Wien: des 25. Wiener Gemeindebezirks. Dorthin konnte man mit dem 360er fahren: zuerst von Mauer aus, einem Dorf oben auf dem Maurer Berg, ab 1883 mit Dampfantrieb bis Perchtolds­dorf und schließlich ab 1887 bis Mödling.

      1954 wurden die äußeren Gemeinden von Groß-Wien dem Bundesland Niederösterreich zugeordnet. Politisch bedeutete dies eine Stärkung des „schwarzen“ Niederös­terreich. Denn in den Umlandgemeinden von Wien hatte die christlich-soziale Österreichische Volkspartei ein treues Wählerpotenzial: in der alteingesessenen Wein­hauerschaft und in den zugezogenen, manchmal „neureichen“ oder im Laufe der Krisen des 20. Jahrhun­derts verarmten „gutbürgerlichen“ Familien. Die Abtren­nung dieser Gemeinden vom „roten“ Wien brachte aller­dings einige Nachteile für die Anbindung der Peripherie dieses Lebensraumes an das Wiener Stadtzentrum. Die Erwartung einer eigenständigeren kulturellen und wirt­schaftlichen Entwicklung erwies sich bald als provinzielle Illusion.

      Für den 360er blieb dieser Eingriff nicht ohne Folgen. Die Endstation der Linie 60 und damit die Umsteigestelle in den 360er wurden 1963 von Mauer nach Rodaun verlegt. Und 1967, am 30. November, kam dann überhaupt das Ende für den 360er. Nachdem man wenige Jahre vorher noch Millionen in die Modernisierung der Strecke und in den Neubau einer Umkehrschleife samt Stationsgebäude in Rodaun investiert hatte, beschloss die Stadt Wien, die Subventionen für die Wiener Straßenbahn im „schwarzen“ Niederösterreich einzustellen. Die betroffe­nen Gemeinden waren nicht bereit, diese Zuschüsse für den Fortbetrieb zu übernehmen. Seither fährt eine Bus­linie die Strecke ab. Die Trasse wurde teilweise für die Anlage einer Durchzugsstraße, der B 13, verwendet. Es gibt nur mehr wenige Stellen, die noch erahnen lassen, dass hier einmal Schienen im Boden lagen. An zwei Stellen sind noch Schienenreste zu sehen: bei der ehemaligen Haltestelle Perchtoldsdorf-Brunnergasse, wo sich auch der Betriebsbahnhof, die Remise, befunden hatte, und bei der Station Brunn-Felsenkeller. Jemand, der den 360er einst tagtäglich selbst benützt hatte, weiß allerdings fast auf den Zentimeter genau, wo zwischen Rodaun und Mödling die Schienen lagen.

      Der 360er war – von außen betrachtet – eine Art Lebe­wesen. Die Menschen lebten entlang der Strecke mit ihm zusammen wie mit einem Haustier. Man hörte ihn kommen, vor allem wenn er die lange, leicht bergauf führende Gerade nach der Trennung von der Trasse der Kaltenleutgebner Bahn hinaufbrauste. Wo er den Damm der Ersten Wiener Hochquellenwasserleitung in Perchtoldsdorf erreichte, musste er sich – wieder mit entsprechendem Getöse – einbremsen. Er: das war ein Triebwagen samt einem oder zwei angehängten Wag­gons. Zuletzt fuhr meist nur noch ein Triebwagen allein. Aber das war schon gewissermaßen am „Sterbebett“ der Linie.

      Die Station „Perchtoldsdorf-Wienergasse“ war eine der Ausweichstellen für die ansonsten eingleisig geführte Strecke. Die Garni­turen mussten daher hier über zwei Weichen fahren. Nicht mehr ganz Kind, aber auch noch nicht mit der selbst verordneten Herablassung des Jugendlichen gegenüber Terminen ausgestattet, war man schnell und motiviert genug, ihn noch zu erwischen, wenn man aus der Ferne das Getöse seines Herannahens wahrnahm. Das war der Augenblick der Entscheidung über: in die Schule zu spät kommen oder nicht. Mehr Spielraum ließ der Schulweg nach Mödling nicht. Hatte man ihn noch erwischt, konnte man den Rest getrost ihm allein überlassen. Verspätun­gen gab es nicht. Weshalb auch? Es gab weder stark befahrene Straßen noch neuralgische Kreuzungen entlang seiner Trasse. Alles lief auf die Minute genau ab. An den Ausweichstellen traf er fast immer genau mit dem Gegenzug zusammen. Außer es gab vielleicht gerade ein­mal ein Schneechaos; oder ein besonders schöner Sonn­tag lockte tausende Wiener in den südlichen Wienerwald hinaus. Aber das störte die Schüler nicht. Sonntag war keine Schule.

      An den ersten Schultagen im Gymnasium Mödling baute man auf dringendes Anraten der Eltern noch eine gehö­rige Zeitreserve ein und fuhr etwas früher als notwendig. Aber bald hatte man die Wegzeit im Griff. Es ging bequem auch noch mit dem nächsten Zug. Die Verlässlichkeit des 360ers ließ Zeitreserven entbehrlich erscheinen. Schließ­lich fuhr man auch mit dem letztmöglichen Zug, der das Eintreffen im Klassenzimmer gerade noch mit dem Glockenzeichen für die beginnende erste Schulstunde ermöglichte. Die Strecke von der Endstation bis zur Schule musste man in diesem Fall allerdings wie mit „Sie­ben-Meilen-Stiefeln“ durchschreiten. Was für ein gesun­der Frühsport!

      Jeder Waggon hatte ursprünglich noch einen Schaffner oder eine Schaffnerin. Sie verkauften Fahrscheine und achteten darauf, dass beim Ein- und Aussteigen nichts passierte. Es waren Respektspersonen in Uniformen: Sie waren die Mannschaft der Wiener Verkehrsbetriebe, eines Riesenunternehmens, eigentlich keines Unterneh­mens, sondern eher einer Behörde.

      Am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, wurde bis Mittag nicht gefahren. Da wurde marschiert. Man gehörte zum Kern der Sozialisten, wie die Sozialdemokraten damals in Österreich noch ungeniert hießen, ohne dass daran jemand Anstoß genommen hätte – ein bisschen Häme aus der „anderen Reichshälfte“ vielleicht ausgenommen. Die Belegschaft repräsentierte das „rote Wien“: Man war sozialistisch mit einem sozial-demokratischen und einem kommunistisch-halbdemokratischen „Flügel“: eine öster­reichische Version des Marxismus, dem dadurch die Speerspitze des radikalen welt-revolutionä­ren Kommu­nismus abgestumpft war. Die Wiener Stra­ßenbahner waren einmal Mitglieder einer stadt- und staats­tragenden Insti­tution. Sie waren es, die durch ihre Zurückhaltung Wien mit Wirkung auf ganz Österreich gegen einen General­streik und vielleicht sogar Putsch der radikalen Kommu­nisten im Jahr 1950 verteidigt hatten. Man hatte den Zusammenschluss der marxistischen Linken in Öster­reich, vor allem in dem bis 1955 sowjetisch besetzten Ostösterreich verhindert und damit zur Frei­heit des Lan­des wesentlich beigetragen. Das stärkte das Selbstbe­wusstsein und ließ es aus den blau-roten Unifor­men und unter den Amtskappen hervorströmen. Man war nicht Gelegenheitsarbeiter irgendeines „Mac-Jobs“, sondern man hielt den Betrieb des jungen Staates Öster­reich mit seiner wiedererlangten Freiheit aufrecht.

      Daran dachten die jungen Schülerinnen und Schüler auf ihren Fahrten natürlich

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