Das letzte Schuljahr. Wilfried Baumannn

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das letzte Schuljahr - Wilfried Baumannn страница 17

Автор:
Серия:
Издательство:
Das letzte Schuljahr - Wilfried Baumannn

Скачать книгу

wir!“ zu sein.

      Er verwandelte den Satz gern in „Non scholae, sed vitae doci! Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lehre ich!“

      Die Beerdigung seines Schwiegervaters brachte ihn ganz aus dem zeitlichen Konzept. Die Direktorin wollte ihn gar nicht beurlauben.

      „Das ist doch noch nicht einmal dein richtiger Vater. Wer soll denn da deinen Unterricht hier übernehmen? Ich finde dein Verhalten unkollegial.“

      Erst der Einspruch der Gewerkschaftsvorsitzenden der Schule, Jutta Mofang, dass in einem solchen Falle eine Freistellung vom Unterricht gestattet war, ermöglichte die Hinfahrt.

      Er war kaum wieder zurückgekommen, da keifte Frau Sanam ihn im Sekretariat in Gegenwart anderer Kollegen an:

      „Was ist denn das für eine Schlamperei, Horst? Der Klassenleiterplan ist noch nicht abgegeben worden! Wie soll ich da meine Analysen schaffen?“

      Auf die seelische Verfassung, in der sich Müller befand, nahm sie keinerlei Rücksicht. Sie nannte ihm den Termin „übermorgen“ und verschwand in ihrem Zimmer.

      Müller arbeitete die ganze Nacht an diesem Plan. Zu berücksichtigen waren der Schuljahresarbeitsplan, der zentrale FDJ-Auftrag, die Vorhaben des Elternaktivs, die Planung der Termine für das Klassenkollektiv, Erziehungsmaßnahmen für Problemschüler, kurz ein Wust an Arbeit, die bewältigt werden musste. Aber das war noch nicht alles. Irgendwie musste er auch noch seinen Unterricht vorbereiten.

      Müller erhielt von der Chefin den Plan mit der Bemerkung zurück, sie fände ihn hundsmiserabel. Im vergangenen Schuljahr hatte er der aus dem Amt geschiedenen Direktorin einen ähnlichen Plan vorgelegt und war sogar auf dem Pädagogischen Rat (PR) dafür vor allen Kollegen gelobt worden.

      Frau Sanam wollte mit ihm ein Klassenleitergespräch führen. Müller vergaß diesen Termin völlig. Er war nervlich am Boden. Der Verzicht auf den Erholungsurlaub und das ganze Drum und Dran um den Tod seines Schwiegervaters hätten eine Krankschreibung begründet. Horst Müller wollte aber nicht fehlen. Er wollte nicht andere Kollegen mit Überstunden in seinen Fächern überlasten. Außerdem wusste er, dass er trotz methodischer Hinweise und Themenangaben für den Vertretungslehrer den Stoff erfahrungsgemäß trotzdem nacharbeiten musste.

      Die Chefin setzte ihm ständig zu. Ausgerechnet jetzt musste sich nun auch noch die Fachberaterin anmelden und wollte bei ihm vierzehn Tage lang hospitieren. Er dachte: Jetzt läuft nichts mehr bei mir. Bei der FDJ-Leitungswahl wollte die Genossin Direktor Sanam unbedingt dabei sein. Die Wahl wurde eine Katastrophe. Nichts klappte. Müller selbst empfand die ganze Geschichte als Farce.

      Es gab keine Politinformation, keine politische Diskussion, sondern nur das Gerangel um die Funktionärsposten. Die Mädchen seiner Klasse waren hier eifriger, die Jungen reservierter. Schließlich hatte sich die neue FDJ-Leitung der Klasse etabliert, die Hände wurden zur Abstimmung gehoben. Fertig.

      Fertig gemacht wurde aber Müller von der Direktorin. Er sollte zur GOL-Wahl (Wahl der Grundorganisationsleitung der FDJ) erscheinen, damit er sich darüber Wissen aneignete, wie eine Wahlversammlung richtig verlaufen musste.

      An diesem Tage aber feierte seine Mutter in Potsdam ihren 70. Geburtstag, zu dem viele Verwandte und Bekannte von weither kamen, die er schon lange nicht mehr gesehen hatte und auch so bald nicht wiedertreffen würde.

      Er hatte nur zwei Stunden Unterricht und wollte gleich zur Mutter fahren. Weil er es aber versäumt hatte, sich vorher zu entschuldigen, wurde er gezwungen, Stunden in der Schule zu verbringen, da ihm die Chefin die Abwesenheit bei dieser „überaus wichtigen“ FDJ-Veranstaltung nicht gestatten wollte. Erregt erwiderte er:

      „Was geschieht, wenn ich trotzdem gehe?“

      Er verließ die Versammlung nach einer halben Stunde, um noch den Sputnik, so nannten die Berliner den Zug, der wegen der Mauer im Süden rund um Westberlin nach Potsdam fuhr, zu erreichen. Es war nachmittags um 16.30 Uhr.

      Am nächsten Tag wurde er auf der Treppe vor Schülern gemaßregelt und ihm lauthals ein Disziplinarverfahren angedroht.

      „Warum lässt du dich nicht krankschreiben?“, fragte ihn Kopf schüttelnd Frau Mofang.

      „Ich will doch die Kollegen nicht belasten. Wenn ich nur unterrichten könnte. Aber dieses sinnlose Drumherum, das mir seit dem Tod von Schwiegervater immer hirnrissiger vorkommt …“

      Nun kam auch noch das Ereignis. Die Ehrenkompanie der Bundeswehr spielte Honeckers Delegation in Bonn die Nationalhymne der DDR vor, die noch nicht einmal mehr gesungen werden durfte, weil der Text von einem geeinten Deutschland sprach. Die Genossen wurden nicht müde, ihre Genugtuung dazu zu äußern. Das musste in allen Klassen ganz groß herausgehoben werden. Die Behandlung des Kommuniqués zu diesem Besuch wurde zum Pflichtstoff in jeder Klasse erklärt. Um die ganze Sache auf die Spitze zu treiben, sollten die Klassenleiter in einer Dienstberatung vom Echo ihrer Klasse auf den Honeckerbesuch berichten.

      Müllers Klasse stöhnte, als er das Thema ansprechen wollte:

      „Herr Müller, wir haben im Deutschunterricht so viel darüber gesprochen, dass wir die Nase voll haben.“

      Ihn interessierte der Honeckerbesuch in der Bundesrepublik auch herzlich wenig. Der fuhr in der Welt umher, aber den Bewohnern seines Landes machte er Schwierigkeiten, wenn sie in andere Länder reisen wollten, in NSW-Staaten, in das Nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet, wie sie das im Parteijargon nannten.

      „Das kann ich verstehen“, sagte er und legte das geforderte Thema ad acta. Die Deutschlehrerin seiner Klasse hieß aber Frau Sanam. So war der Konflikt schon vorprogrammiert. Ausgerechnet er sollte nun auch noch über das Echo in seiner Klasse sprechen und konnte es natürlich nicht.

      Wieder wurde er von ihr zur Rede gestellt in einem Ton, der das Herz zum Frieren bringen konnte. Er wiederholte als Entschuldigung die Worte seiner Schüler.

      Er nannte aber bewusst keine Namen.

      Nun dachte die Chefin, genug gegen ihn in der Hand zu haben, um ihn von der Schule zu entfernen. Bedauerlich für sie, dass es noch die Hürde der Gewerkschaft gab. Müller musste vor die SGL des FDGB (Schulgewerkschaftsleitung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, der einzig zugelassenen Gewerkschaft der DDR). Er erzählte dort, wer weiß zum wievielten Male, dass er den Tod seines Schwiegervaters nicht verwinden konnte, und er bisher zu keiner inneren Sammlung gefunden hatte. Sein Arzt wollte ihn schon krankschreiben. Er aber mochte auf keinen Fall seine Kollegen mit Vertretungsstunden belasten.

      Damit schien die Angelegenheit erledigt zu sein, denn die Kollegen der Gewerkschaft zeigten Verständnis für diese Situation. Genossin Sanam war höchst unzufrieden, besonders mit der Jutta Mofang. Anstatt Müller fertig zu machen, stellte sie sich noch auf dessen Seite? Trotzdem sollte der Bericht über Müller in die Abteilung Volksbildung gehen. Dort konnte der Schulrat dann das verzerrte Bild über Müller zur Kenntnis nehmen:

      „Im August informierte mich Kollege Müller, dass sein Schwiegervater schwer erkrankte“ … „Seinen Klassenleiterplan stellte Müller erst nach mehrmaliger Aufforderung fertig. In Vorbereitung der FDJ-Wahlen fand in seiner Klasse keine Leitungssitzung statt. Die Wahl entsprach in keinster Weise der Wahlordnung. Umso wichtiger war es, dass Kollege Müller der Einladung der SGL (Schulinterne Abkürzung für die Schulgruppenleitung der FDJ) zur Wahl folgte, um sich Sachkenntnis über Ablauf einer Wahl anzueignen …“

      Müller hatte nicht zum ersten Mal eine Klasse. Dies war seine vierte in 23 Dienstjahren.

Скачать книгу