Das letzte Schuljahr. Wilfried Baumannn

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Das letzte Schuljahr - Wilfried Baumannn

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weil die Partei für sie dachte.

      Ohne religiöses Zeremoniell schien sie aber nicht auszukommen. Kinder erhielten ihren Namen in einer feierlichen Veranstaltung. Sie wurden Erwachsene durch die Jugendweihe in der 8. Klasse. Dafür wurden im Schuljahr mit den Teilnehmern interessante Veranstaltungen durchgeführt. Sie besuchten die Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen bei Oranienburg, machten Exkursionen zu Großbauten des Sozialismus, oder was der noch gnädigerweise aus den Zeiten des Kapitalismus erhalten hatte, wie Krupps Schiffshebewerk Niederfinow, besichtigten Volkseigene Betriebe und bewunderten die CAD/CAM-Anlage, die nach den Worten des Betriebsdirektors gerade nicht arbeitete, weil das Rohmaterial fehlte. Dafür sahen sie aber die Maschinen aus den 30er Jahren, auf denen noch die Aufschrift AEG gut zu lesen war, in treuer Zuverlässigkeit ihre Arbeit verrichten.

      Nach dem Besuch in einem Forschungsbetrieb, mit modernsten Produktionsanlagen, hatte es Müller besonders schwer, die Schüler von den Vorzügen des Sozialismus zu überzeugen, weil er es einfach nicht konnte.

      Schon als sie im Klubraum des Kombinates saßen, meckerte die Direktorin des Werkes, weil die Schüler nicht in FDJ-Kleidung erschienen waren. Dann pries sie die modernen Produkte des Betriebes, die Weltniveau besäßen. Zuletzt schwärmte sie von der neuen Farbspritzanlage, die sie aus der Bundesrepublik bezogen hatten. Sie wäre vollautomatisch und schütze die Gesundheit der Werktätigen, wie sie sich ausdrückte. Vor der Farbspritzanlage angekommen, konnten sie die Vorteile mit eigenen Augen betrachten. Ein Arbeiter besprühte ohne Schutzmaske das hergestellte Produkt mit Farbe. Die Automatik funktionierte irgendwie nicht.

      Bei der Jugendweihefeier war dann die Welt wieder in Ordnung. Festlich gekleidet schritten die jungen Damen und Herren zum Klange feierlicher Musik in den großen Saal.

      Alle Erwachsenen, auch die Lehrer, hatten sich ihnen zu Ehren von den Plätzen erhoben. Ein würdiges Kulturprogramm erhöhte den feierlichen Eindruck.

      Der Festredner sang das Lob des Sozialismus und des später ganz gewiss folgenden Kommunismus, den er ja leider nicht mehr erleben könne, da er schon zu alt dafür sei.

      „Aber ihr, meine lieben Freunde, seid dazu berufen, diese neue Gesellschaftsordnung aufzubauen und zu gestalten.“

      Dann kam das Gelöbnis. Durch das Vorangegangene richtig eingestimmt, gelobten sie, alles für den Aufbau des Sozialismus zu tun, der Deutschen Demokratischen Republik treu zu sein, Freundschaft mit der Sowjetunion und den mit ihr brüderlich verbundenen Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft zu pflegen und so weiter.

      Der Höhepunkt des Festaktes folgte in der feierlichen Aufrufung der Namen. Jeder erhielt eine Urkunde und ein Buch, das dem Inhalt der Jugendstunden entsprach. Thälmannpioniere mit roten Halstüchern überreichten Rosen. Nun waren sie in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufgenommen worden und verließen in feierlicher Prozession den Saal mit der Untermalung festlicher Musik.

      Außer einer Schülerin waren alle aus Müllers Klasse zur Jugendweihe gegangen. Horst war verpflichtet, mit den Eltern des Mädchens zu sprechen. Dort hatte er ein gutes Gespräch über den christlichen Glauben.

      „Ich verspreche Ihnen“, sagte Müller bei der Beendigung des Elternbesuches, „von meiner Seite wird Ihre Tochter Kerstin keine Schwierigkeiten bekommen.“

      Kerstin nahm sogar an vielen Exkursionen im Rahmen der Jugendweihe teil. Selbst der damaligen Direktorin fiel der Satz in der Zeugnisbeurteilung „Kerstin nahm an Veranstaltungen der Jugendweihe teil“ nicht auf und zeichnete das Zeugnis ab. Kein Betrieb wäre auf den Gedanken gekommen, dass sie die eigentliche Jugendweihe nicht empfangen hatte. Auf Grund dessen wurde sie bei einer Bewerbung auch nicht benachteiligt.

      Ja, Müller hing an seinen Schülern, auch wenn er sich hin und wieder über sie ärgern musste. Aber das war normal.

      Um 14.00 Uhr des nächsten Tages kamen Dirk Amigo, der Dicke, wie sie ihn nannten, Claudia Schöpke, Regina Morose, beides zuverlässige und fleißige Schülerinnen und Jens Mespil, der Pilot werden wollte.

      „Wissen Sie, dass der Vater von Regina im Westen geblieben ist?“

      „Nein, Dirk, Reginas Vater hat doch vor kurzem noch eine hohe staatliche Auszeichnung erhalten. Das verstehe ich nicht.“

      „Ja, er sollte da wohl zu irgendeinem Kongress fahren und blieb gleich in der BRD (Bundesrepublik Deutschland). Als Regina aus Moskau kam, wartete sie vergeblich auf ihren Vater.“

      Müller war erschüttert. Vor einem Jahr hatte sich der anerkannte Arzt von seiner seit Jahren nervenkranken Frau getrennt und die alleinige Erziehung seiner drei Kinder übernommen. Er kam auch oft zur Schule und arbeitete im Elternaktiv der Klasse seines älteren Sohnes mit. Die Kinder besaßen bei allen Lehrern einen guten Ruf und wurden auch von ihren Mitschülern geachtet. Regina war die FDJ-Sekretärin seiner Klasse und von der Schule mit einer Fahrt nach Moskau ausgezeichnet worden, die im Rahmen einer Schülerdelegation möglich war.

      „Regina, was nun?“

      „Meine große Schwester wird ihr Studium fortsetzen. Mein Bruder will unbedingt in den Westen, und ich weiß es noch nicht.“

      „Wie können wir euch helfen?“

      „Wir kommen schon zurecht. Opa hilft uns dabei.“

      Müller verstand den Vater nicht. Wie konnte er nur seine Kinder und Patienten im Stich lassen?

      „Du bleibst doch weiter unser FDJ-Sekretär?“

      „Ich weiß nicht, in der Situation …„, zuckte sie mit den Schultern.

      Müller wollte die Wunde nicht noch größer machen und rief:

      „So, Leute, dann wollen wir uns einmal um die Bücher kümmern!“

      Sie kamen beim Hinaufschleppen aus dem Keller in den 3. Stock ins Schwitzen. Dann sortierten sie die Lehrbücher nach der an die Tafel geschriebenen Reihenfolge.

      Zum Dank durften sie sich die neuesten Exemplare heraussuchen und schon mit nach Hause nehmen.

      Sie plauderten nach der Arbeit noch etwas über ihre Ferienerlebnisse. Dirk war in Berlin geblieben und hatte zwei Wochen in einem Betrieb Geld verdienen können. Er wollte für einen Computer sparen.

      Claudia war Helferin in einem Betriebsferienlager an der Ostsee und hatte eine Kindergruppe betreut.

      Jens war mit seinen Eltern in Bulgarien gewesen.

      Als Müller von seinen Erlebnissen in Rumänien berichtete, bestätigte Jens Ähnliches. Sie waren mit dem Auto auf der Transitstrecke durch das Land gefahren.

      Die Ferien gingen nun rapide dem Ende zu. Die Schule konnte beginnen.

      Für Müller bedeutete dieses Schuljahr mit seiner Abschlussklasse viel Arbeit. Er dachte mit Bangen an das Verfassen und Schreiben der Beurteilungen, da sie über das Schicksal seiner Schüler entscheiden konnten.

      Vor allem musste er darauf achten, von Anfang an einen Leistungsabfall in seiner Klasse zu verhindern. Er kannte seine schwachen Kandidaten. Es war nötig, ihnen immer wieder Mut zu machen und Auswege zu zeigen, wenn sie einmal versagten. Vielleicht ließen sich auch wieder, wie in den unteren Klassen, Lernpatenschaften der Schüler organisieren.

      Ganz besonders musste er sich um Dörte Seefeld

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