Das letzte Schuljahr. Wilfried Baumannn

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Das letzte Schuljahr - Wilfried Baumannn

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ihn zukommen würde.

      Frau Sanam sagte ihm klipp und klar:

      „Ich lehne diese Fahrt in die BRD ab. Es ist ja bloß deine Tante.“

      „Ich bestehe aber trotzdem auf einer Fahrt dorthin!“

      „Gut, ich werde deinen Antrag mit meiner Ablehnung an die Abteilung weiterleiten.“

      Müller wusste nicht, dass Schuldirektoren angewiesen wurden, grundsätzlich befristete Ausreiseanträge in den Westen abzulehnen.

      Müller hatte einen Kloß im Hals und das dämliche Gefühl des Schuldigseins, das er kaum überwinden konnte, als er in der Abteilung Volksbildung vorsprach. Das Gespräch dort verlief wie ein Verhör.

      „Wissen Sie überhaupt, in was für ein Land Sie da fahren wollen, Kollege Müller?“

      Das hatte er schon einmal vor Jahren gehört.

      „Sagen Sie mal, Ihre Tante, was ist denn das für eine? Sind Sie überhaupt mit ihr verwandt? Wann war sie denn das letzte Mal in der Deutschen Demokratischen Republik? … Waaas? 1958? Vor dreißig Jahren? Na, da können Sie doch nicht behaupten, Sie hätten noch innige Verbindungen mit ihr!“

      „Mit ihren 70 Jahren damals konnte sie eben nicht mehr so viel herumreisen.“

      „Warum sind Sie dann nicht selbst dorthin gefahren?“

      In dem Augenblick hätte er dem Vertreter der Abteilung Volksbildung wer weiß was antun können. In seinen Gedanken wurde er ausfallend; es brüllte in ihm: ’Du altes Arschloch weißt doch selbst, dass eure verfluchte Mauer mich daran gehindert hat!!!’

      Müller zwang sich zur Ruhe. Am Freitag sollte über seinen Antrag entschieden werden. Diesen Vertreter hatte er schon einmal als besonders scharfen Genossen in der Schule erlebt, nachdem eine Kollegin es gewagt hatte, einen ständigen Ausreiseantrag in die Bundesrepublik zu stellen, das heißt, sie wollte dorthin umziehen – nicht nur verreisen. Vor versammeltem Kollegium wurde die Lehrerin heruntergeputzt und anschließend vor ihrer fristlosen Entlassung noch das Gedicht von Brecht „Der Klassenfeind“ durch den Vertreter rezitiert. Ragnit, der einer Blockpartei angehörte, musste eine Stellungnahme von Seiten des Kollegiums abgeben. Müller beneidete ihn nicht, war dann aber doch erstaunt, dass sie noch einigermaßen verträglich war. Er sagte lediglich, dass er ihren Schritt nicht versteht und er selbst ihn auch nie unternehmen würde.

      Er denkt, dass sich auch seine Kollegen dem anschließen.

      Dieser ach so linientreue hartgesottene Genosse wurde einige Monate später unehrenhaft entlassen, weil er Gelder unterschlagen hatte.

      Als er nach dem entscheidenden Freitag in der Abteilung Volksbildung vorsprach, überreichten sie ihm ein Schreiben, das die Erlaubnis enthielt, ausreisen zu dürfen. Grund zum Jubeln gab es aber immer noch nicht. Jetzt musste er zur Volkspolizei. Wieder wurden Fragen nach ganz persönlichen Dingen gestellt. Es war peinlich und erniedrigend. Wieder kam in Müller dieses Schuldgefühl, etwas ganz Schlimmes zu tun, hoch. Endlich, endlich gaben sie ihm den offiziellen Antragsvordruck für die befristete Ausreise in das Ausland, den er sofort auszufüllen hatte. Er trug die Adresse seiner Tante ein, den Grund seiner Reise und gab den Antrag zusammen mit der Geburtsurkundenkopie und der Lebendmeldung vom Einwohnermeldeamt seiner Tante sowie zwei Passbilder für den Reisepass ab. Kurz vor den Herbstferien sollte er sich dann wieder melden.

      Aus diesen Erfahrungen heraus nahm sich Müller vor, bei einer Befragung über seine Schülerin Regina nur günstig für sie zu sprechen.

      Bis zu den Herbstferien waren aber an der Schule noch die hektischsten Tage zu überstehen: die Vorbereitung und die Wahl des Klassenelternaktivs und der FDJ-Leitung.

      Müller traf sich deshalb in der ersten Woche nach dem Schulbeginn mit seinem Elteraktiv, dem sich auch das der Parallelklasse zugesellte. Das hatte er mit der anderen Klassenlehrerin so vereinbart.

      Auf diese Art konnten sie konstruktiv die Abschlussfeier am Schuljahresende vorbereiten und bereits jetzt wichtige Aufgaben verteilen, die eine Organisation der Räumlichkeiten, das Essen, die kulturelle Umrahmung, die finanzielle Frage, die Disco und anderes betrafen.

      Die Frage des Raumes, in dem die Feier stattfinden sollte, war schon geklärt worden. Eine Mutter arbeitete als Leiterin einer HO-Gaststätte (Handelsorganisation der DDR), die über einen für diesen Anlass würdigen Saal verfügte. Sie wollte sich auch um das leibliche Wohl kümmern. Ein Kollege hatte einmal Müller zugeflüstert:

      „Wer als Klassenlehrer die Möglichkeiten seiner Eltern nicht nutzt, ist selbst daran schuld.“

      Der Saal sollte die Schule nichts kosten. Trotzdem musste sechs bis acht Wochen vorher der Vertrag abgeschlossen werden. Bis zum 30. Juni 1989 sollten alle Gelder für das Buffet, die Getränke und andere Kosten von den Eltern eingezahlt sein. Man dachte so an 15,-- bis 20,-- Mark.

      Über die Disco gab es immer noch die Debatte, ob es viel oder wenig Westmusik sein sollte. Müller zog es vor zu schweigen.

      „Wie steht das denn eigentlich mit den Gästen, die aus der BRD anreisen? Wie viele Gäste erlauben wir überhaupt pro Elternteil?“, erkundigte sich eine Mutter.

      Bei der Jugendweihefeier im großen Saal eines Betriebes war vor zwei Jahren extra darauf hingewiesen worden, dass der Zutritt für Westbürger nicht gestattet sei. In der Gaststätte war das aber kein Thema. Die Anzahl der Personen musste nur aus Kapazitätsgründen eingeschränkt werden.

      Nach der Klärung der gemeinsamen Fragen trennten sich die Elternaktive wieder.

      Müller musste nun herausfinden, wer im neuen Schuljahr von den Eltern im Aktiv mitarbeiten wollte. Auch das war schnell erledigt, da es wieder die bewährten Mitglieder vieler Schuljahre waren. Durch den Vater einer neuen Schülerin hatte er nun zwei Genosseneltern im Aktiv, was eine Forderung des Schuljahresarbeitsplanes erfüllte. Kein Elternaktiv an der Schule ohne Genossen, und wo ein Genosse war, war auch die Partei und manchmal auch etwas mehr. Aber das sollte Müller im Laufe des Schuljahres selbst erfahren. Zu diesem Zeitpunkt war er zunächst einmal froh, willige Eltern gefunden zu haben, die gemeinsam mit ihm die anstehenden Aufgaben und Probleme lösen wollten.

      Der neu hinzugekommene Vater erkundigte sich, ob Regina Morose noch FDJ-Sekretär bliebe, da es ja wohl untragbar wäre, wenn die Tochter eines republikflüchtigen Arztes weiterhin diese Funktion ausübte. Müller entgegnete, Regina sei die gewählte Vertreterin der FDJ-Gruppe der Klasse, und nur sie könnte jemanden von einer Funktion abberufen. Außerdem sei ja am Ende des Monats FDJ-Leitungswahl, die über den neuen FDJ-Sekretär befinden wird. Einen Tag nach dieser Sitzung wurde der Schule vom amtierenden Schulrat mitgeteilt, dass der EOS-Antrag für Regina Morose gegenstandslos geworden sei.

      „Wissen Sie, Herr Müller, ich nehme das ganz gelassen, da ich damit schon gerechnet habe“, reagierte Regina auf diese Information.

      Dann rannte sie hinaus, und Müller hörte sie schluchzen.

      „Ach, wenn ich dir nur helfen könnte, Mädchen“, dachte er sich. Ihm fiel der Begriff einer vergangenen Zeit ein: Sippenhaft! Auf keinen Fall durfte sie in der Klasse oder von Lehrern diskriminiert werden.

      Genau eine Woche später war nach dem Unterricht die FDJ-Aktivtagung. Alle leitenden Funktionäre der Klassen 9 bis 10 sowie die Mitglieder der GOL (Grundorganisationsleitung der FDJ), die Klassenleiter und der Direktor nahmen obligatorisch an dieser Sitzung teil. Die Schüler der achten Klasse waren im September noch

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