Das letzte Schuljahr. Wilfried Baumannn

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Das letzte Schuljahr - Wilfried Baumannn

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Fahnen wurden im Gänsemarsch von der dafür auserwählten Kindergruppe feierlich herbei getragen und nach dem Kommando „Heißt Flagge!“ am Mast hochgezogen.

      „Pioniere! Achtung! Stillgestanden! Ich begrüße euch mit dem Pioniergruß: Für Frieden und Sozialismus seid bereit!“

      Hier bei den Kleinen zeigte sich noch etwas Begeisterung bei der Antwort:

      „Immer bereit!“

      Dabei stachen sie sich mit dem ausgestreckten Daumen in die Haare und zeigten die Handinnenfläche dem Appellabnahmegremium auf der breiten Eingangstreppe der Neubauschule.

      „FDJler! Achtung! Stillgestanden! Ich begrüße euch mit dem Gruß der Freien Deutschen Jugend: Freundschaft!“

      Ein vielstimmiges Echo, mal kurz oder absichtlich lang gezogen, untermalt von den tiefen nachpuberalen Tönen der Jungen der oberen Klassen, folgte:

      „F-F-rreundschaaaaftttt!“

      Darauf folgten dann immer das unvermeidliche Schülergelächter und die grimmigen Blicke der nach Ordnung heischenden Pädagogen.

      „Ich bitte um die Meldung der Gruppenratsvorsitzenden und der FDJ-Sekretäre!“

      Die gewählten Funktionäre eilten nach vorne, um die Anzahl der zum Appell erschienenen Mitschüler ihrer Klasse zu melden.

      „Pioniere und FDJler! Achtung! Stillgestanden! Zur Meldung an den Genossen Direktor die Augen geradeaus! --- Genossin Direktor! Ich melde, 721 Schüler der A.-P.-Oberschule sind zum Appell anlässlich des Weltfriedenstages und des Schuljahresbeginns angetreten!“

      Genossin Sanam trat ans Mikrofon:

      „Danke! Damit erkläre ich den Appell für eröffnet!“

      Nun kam Tammis Auftritt. Tammi war Musik- und Klassenlehrerin in der 3a. Ihren Kindern im Pionierdress sah man die Aufregung an. Unter ihrer Akkordeonbegleitung sangen sie „Wie und wann, wie und wann geht die Arbeit gut voran?“ und „Fröhlich sein und singen, stolz das blaue Halstuch tragen.“

      Dafür, dass die Kinder während der Ferien keine Gelegenheit hatten, gemeinsam zu üben, singen sie recht gut, sagte sich Müller. Tammi freute sich, als er ihr das später mitteilte, denn die Direktorin würdigte diese Leistung mit keinem Wort. Der Applaus war mäßig, vielleicht auch deshalb, weil der Straßenlärm von der Kreuzung oft die Deutlichkeit des Gesanges verschluckte. Einige Rezitationen sollten die positive Einstimmung in das neue Schuljahr heben. Ein weiteres Lied beendete den kulturellen Teil.

      Die Minuten der Direktorin folgten nun. Zuerst kam die „Rotlichtbestrahlung“ in Form des Lobes der friedlichen Außenpolitik der UdSSR, der DDR und der sozialistischen Bruderstaaten. Sie nannte konkrete Ereignisse, die während der Ferien in der internationalen Szene geschehen waren und Gegenstand der Politinformation in der ersten Unterrichtsstunde sein sollten. Müller war bei seinen Urlaubserlebnissen in Rumänien.

      Dann sprach sie über die schulischen Aufgaben des kommenden Schuljahres 1988/89 und ermahnte die Schüler zu fleißigem Lernen, da das den Sozialismus stärken würde, zumal auch die DDR im nächsten Jahr ihren 40. Geburtstag feiern würde.

      Zuletzt kam wieder die helle Stimme der Pionierleiterin:

      „Pioniere und FDJler! Stillgestanden! Wir beenden unseren Appell mit dem Pioniergruß: Für Frieden und Sozialismus seid bereit!“

      „Immer bereit!“

      „Und dem Gruß der FDJ: Freundschaft!“

      „F-F-rreundschaaaafttt!“

      „Ich bitte die Klassenleiter, ihre Klassen zu übernehmen.“

      Der Appell war vorüber. Endlich!!!

      Müller ging mit seiner Klasse in das Schulgebäude und schloss den Klassenraum auf. Da waren sie also wieder, seine Lieben. Es fehlte niemand. Sie standen an ihren Plätzen. Regina, die FDJ-Sekretärin meldete in strammer Haltung:

      „FDJler stillgestanden! Herr Müller, ich melde, die Schüler der Klasse 10b zum Unterricht bereit! Es fehlt keiner!“

      „Danke, nehmt Platz!“ antwortete Müller, den das Zeremoniell nervte. Aber es war vom Pädagogischen Rat (PR) in Abstimmung mit den Pionieren und FDJlern beschlossen worden.

      Nun ging es also in das letzte entscheidende Jahr. Müller fühlte sich gut erholt und glaubte, mit Elan allen Aufgaben gewachsen zu sein.

      „Die Politinformation werden wir im Anschluss an unsere organisatorischen Dinge erledigen“, sabotierte er die Anordnung der Direktorin.

      Er entschied sich deshalb anders, weil er der Meinung war, die gute Organisation der Lernarbeit wäre wichtiger für das Vorankommen der Schüler als der ganze andere Kram. Außerdem konnte er als Geschichtslehrer aktuelle Ereignisse besser in Konsistenz mit dem zu behandelnden Stoff bringen.

      Er diktierte nach der Bucherfassung den neuen Stundenplan, sprach über die Aufgaben des neuen Schuljahres und über feststehende Termine der schriftlichen Prüfungen und Möglichkeiten einer effektiven Vorbereitung darauf.

      Das Problem Regina sprach er bewusst nicht an. Er wollte nicht, dass dieses Mädchen wegen der Flucht ihres Vaters in den Westen diskriminiert wird. Er war sogar dafür, dass sie ihren beantragten EOS-Platz erhalten sollte. Bis zur Wahl der neuen FDJ-Leitung sollte sie auch noch FDJ-Sekretär bleiben.

      Die Erledigung der organisatorischen Fragen ermöglichte keine Zeit mehr für die Politinformation, und darüber war nun Müller gar nicht traurig.

      Das Schuljahr lief für Müller verfassungsmäßig günstiger an als das Vorjahr. Den Klassenleiterplan konnte er schon vorfristig abgeben. Er hatte ihn kürzer und konzentrierter nach der Vorgabe des Arbeitsplanes der Chefin geschrieben und bekam ihn sogar mit einer anerkennenden Bemerkung zurück.

      Er kontrollierte ständig die Lernarbeit seiner Schüler, hospitierte bei in seiner Klasse unterrichtenden Kollegen, um schwache Schüler zu beobachten und gleich helfend einzuschreiten.

      Im Jahr zuvor gab es häufige Klagen von Fachlehrern über unerledigte Hausaufgaben. Deshalb verglich er auch die Hausaufgabenhefte, die jeder Schüler führen musste, mit den eingetragenen Hausaufgaben der Lehrer im Klassenbuch. Schließlich sollten seine Schüler sicher die Prüfungen bestehen.

      Besonders die Jungen hatten mit der Ordnung zu kämpfen. Aber allmählich gewöhnten sie sich daran.

      Die Hausaufgaben wurden gewissenhafter angefertigt und die Leistungen verbesserten sich.

      Selbst Dörtes schlechte Lernergebnisse des Vorjahres gerieten in Vergessenheit.

      Nur Regina ließ nach. Sie hatte zusammen mit ihrem Bruder einen Ausreiseantrag gestellt. Sie wollte nun doch zu ihrem Vater übersiedeln.

      Müller selbst hatte Anfang September eine Einladung aus dem Schwarzwald zum 96. Geburtstag seiner Tante bekommen.

      Nach über zwanzig Jahren Mauer waren die Reisermöglichkeiten zu Verwandten ersten Grades in den Westen bei wichtigen Familienangelegenheiten etwas gelockert worden. Das betraf die leiblichen Eltern, Geschwister, Onkel, Tanten und deren Kinder.

      Er

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