Das letzte Schuljahr. Wilfried Baumannn

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Das letzte Schuljahr - Wilfried Baumannn

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Disziplinarverfahren ließ sie aufmerken:

      „Am 14.10.1987 äußerte Kollege Müller, die Schüler hätten im Deutschunterricht schon die Nase voll vom Honeckerbesuch, da wollte er nicht auch noch damit anfangen (im Unterricht wurde das Kommuniqué behandelt = Aussagen der Schüler).“

      Der Schulrat erkundigte sich, wer in Müllers Klasse Deutsch unterrichtet und legte nach der Auskunft das Schriftstück zu den Akten.

      Müller rettete nur eine Laryngitis vor dem drohenden Nervenzusammenbruch. Er verlor die Stimme, blieb über zehn Tage zu Hause und fand sein Selbstvertrauen wieder. Der Direktorin ging er ab diesem Zeitpunkt aus dem Wege, sobald er sie sah. So hatte er das vorangegangene Schuljahr überstanden.

      ***

      Sie sang noch immer das Lob des Sozialismus. Wann ist dieser PR (Pädagogischer Rat – eine Art Konferenz, in der wichtige Fragen des Schulbetriebes besprochen wurden) nur endlich zu Ende? Müller wollte in seinem Raum noch etwas in Ordnung bringen.

      Die Direktorin, Frau Sanam, beendete ihre Seiten langen Ausführungen und zeigte all ihren Lehrern einen grünlichen Hefter.

      „Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen die politische Arbeit in unseren Klassen verbessern. Deshalb wird jetzt regelmäßig im Fach des Klassenleiters dieser Hefter zu finden sein. Hier tragen Sie ein, über welche aktuellen Themen Sie mit der Klasse gesprochen haben. Erledigen Sie diese Aufgabe gewissenhaft, und schreiben Sie alle Äußerungen der Schüler auf, damit man sehen kann, wie in der Klasse schwerpunktmäßig an der politisch-ideologischen Haltung weiter gearbeitet werden muss.

      Denken Sie an die Grundwahrheiten des Sozialismus, die den Schülern zu vermitteln sind. Sie sind ja im Schuljahresarbeitsplan der Schule ausgewiesen.

      Eine weitere Aufgabe der Klassenleiter besteht darin, für ihre Klasse eine Gefährdetenkartei zu erstellen. In ihr werden leistungsschwache, asoziale, in ihrer ideologischen Haltung labile und religiös gebundene Schüler erfasst. Kollegen, es geht um die optimale Entwicklung eines jeden Schülers unserer Schule. Optimal entwickelt kann er aber nur werden, wenn die ganze Persönlichkeit des Schülers und seine Lebensumwelt bekannt sind.

      In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen ein erfolgreiches Schuljahr 1988/89.“

      Die Kollegen klatschten Beifall. Müller und einige wenige hielten sich zurück.

      Was hatte sie da soeben gesagt? Die Meinungen der Schüler sollten genauestens aufgeschrieben werden? Und wie war das mit der Gefährdetenkartei?

      Nein, Horst Müller, du wirst nicht zum - mit Verlaub - Anscheißer deiner dir anvertrauten Kinder. Auf diese Kartei wird er nur den Namen von Dörte Seefeld schreiben. Sie ist ein Heimkind, vom Elternhaus vernachlässigt. Um sie musste er sich sozial und bei Bedarf mit Unterstützung der Jugendhilfe-Heimerziehung kümmern.

      Auf keinen Fall wollte er aber seinen Jens Schüttel aufschreiben, dessen Eltern aufrechte Christen waren. Er wollte doch diesem Jungen nicht den Besuch der Erweiterten Oberschule verbauen, nur weil er nicht die offizielle Parteiideologie vertrat, aber mit seinen Klassenkameraden oft feinfühliger als viele Genossenkinder umging.

      Ihn ärgerte es schon lange, besonders aber seit der Geschichte mit Kathrin Paulin, dass die politisch-ideologische Einstellung für die Delegierung zur EOS eine wichtige Rolle spielte.

      Wann hatte die DDR den letzten Nobelpreisträger, oder wurde überhaupt je ein DDR-Wissenschaftler mit dieser hohen Auszeichnung gewürdigt? In den Schlüsselpositionen und Leitungen saß die Partei. Was ökonomischer und wissenschaftlicher Fortschritt war, bestimmte die Partei, und die wiederum war an die Beschlüsse des vorangegangenen Parteitages der SED gebunden. Das war Gesetz und verbindlich im Lande. Dem ordneten sich auch die Blockparteien, die Betriebe, Akademien, Schulen, kurz das gesamte gesellschaftliche Leben unter.

      Jeder, vom Kindergartenkind bis zum Rentner, wusste, was er zu tun und zu lassen hatte. Für jeden Bereich gab es Direktiven. Weil jeder Bürger um seine Aufgaben wusste, fühlte er sich, wenn er angepasst war, in dem System geborgen wie ein Kind bei seinen Eltern. Die Partei bestimmte seinen Lebensweg, auch wenn er nicht Genosse war. Da er gewöhnlich keine Möglichkeit hatte, in NSW-Ländern (NSW - Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet, d.h.: alle Länder, die nicht dem sozialistischem Blocksystem angehörten) Vergleiche anzustellen, glaubte der Durchschnittsbürger trotz häufigen Ärgers über fehlende Konsumgüter letztendlich an den Sieg des Sozialismus. Stolz wurde er Aktivist der sozialistischen Arbeit, erhielt als Lehrer für jedes vollendete Dienstjahrzehnt die Pestalozzimedaille zuerst in Bronze, dann in Silber und zuletzt in Gold.

      Müller besaß die in Bronze und in Silber. Eine kleine Geldprämie hing auch noch daran, Applaus der Kollegen und meist ein Strauß roter Nelken.

      Zum 30. Jahrestag der Gründung der DDR hatten sie ihn sogar zum Aktivisten geschlagen. Krokus hatte ihm die Urkunde überreicht, der Physik- und Mathematiklehrer und damalige stellvertretende Direktor.

      Müller wunderte sich, dass dieser Kollege den Posten als Parteiloser erhalten hatte. Gerade Krokus nahm beim Parteilehrjahr, das jeder Kollege, ob Genosse oder nicht, zu besuchen hatte, kein Blatt vor den Mund. Es war köstlich zu beobachten, wie die Parteireferenten ins Schwitzen gerieten, wenn Krokus mit Zahlen und Fakten über die wirtschaftliche Lage jonglierte.

      Woher hatte er nur immer diese Informationen? Oder war das Ganze nur ein großer Bluff?

      Auf jeden Fall war seine Anwesenheit immer die Würze des Parteilehrjahres.

      Die Richtlinie der Partei erhielten die Schüler durch ihre Kinder- und Jugendorganisation. Am 1. September wurde des Weltfriedenstages gedacht, der mit dem obligatorischen Appell und einer Politinformation eingeleitet wurde. Dann folgten im gleichen Monat die Wahlen für die Pionier- und FDJ-Leitungen der einzelnen Klassen und dann für das Klassenelternaktiv (KEA). Mit den Kindern musste ein Kampfprogramm nach dem Pionier- oder FDJ-Auftrag erarbeitet werden. Die Erwachsenen richteten sich nach dem Plan des KEA.

      Im September wurde auch der Opfer des Faschismus gedacht. An der Demonstration zur Würdigung dieses Tages nahm Müller regelmäßig teil. Er wollte die Schrecken des Krieges nicht noch einmal miterleben.

      Zum Jahrestag der Namensgebung der Schule mussten wieder Lieder einstudiert werden. Die Schule trug den Namen eines Antifaschisten, der als kommunistischer Widerstandskämpfer in Plötzensee hingerichtet worden war. Wo aber lag Plötzensee? In aufopferungsvoller Arbeit, manchmal bis spät in die Nacht hinein, hatte der Genosse Kurt Mofang in seiner Werkstatt die Buchstaben des Namens geschmiedet und über dem Haupteingang der Schule angebracht.

      Für das Pfingsttreffen der FDJ in Berlin sollte jede Klasse mindestens 50.- Mark sammeln und sich auch schon jetzt auf den 40. Jahrestag der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik vorbereiten.

      Es gab laufend Gedenktage und Anlässe, welche die Leute auf Trab hielten.

      Müller nahm sich vor, im Jahre 1992 auf jeden Fall mit seinen von ihm dann aktuell unterrichteten Schülern den 1000. Geburtstag des Guido von Arezzo zu begehen, des Lehrers einer italienischen Klosterschule, der durch die von ihm entwickelte Methode des Blattsingens die heute übliche Notenschrift erfunden hatte.

      Schon aus Opposition reizte ihn so eine Gedenkfeier, weil für die Parteileute - den Eindruck entnahm er jedenfalls ihren Äußerungen - Christen oft Personen mit beschränktem Horizont waren. Wer konnte angesichts der wissenschaftlichen Lehren des Marxismus/Leninismus noch an so einen Quatsch glauben? Die Partei hatte eben immer Recht, auch wenn sie

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