Das Lied des Steines. Frank Riemann

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Das Lied des Steines - Frank Riemann

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eigentlich getan. Ob der Koch tatsächlich der Täter war, und warum er das getan hatte, oder ob es noch eine andere Person gab, die hinter all dem steckte, oder ob die Sachlage doch noch ganz anders war, lag nicht in seinem Aufgabenbereich. Er hatte alle Spuren gesichert und zur Verarbeitung katalogisiert. Aber er wollte die Kollegen von Zeit zu Zeit über den Stand der Ermittlungen befragen, weil ihn die Tat schockierte aber seltsamerweise auch faszinierte.

      Er fragte sich, warum dies wohl so war?

      Mombasa / Kenia, Montag 26. April, 07:50 Uhr

      Naomi war zu Tode erschrocken. So einen lauten Knall hatte sie noch nie zuvor gehört. Jetzt fiel erneut ein Schuss. Auf dem Fußgängerübergang stürzte ein Mann und blieb mitten auf der Straße liegen. Nun erst bemerkte Naomi, dass Ken nicht mehr neben ihr stand. Auch er lag auf dem Pflaster. Noch ehe sie wusste, was das Alles zu bedeuten hatte, brach an einer Kreuzung in Mombasa an einem gewöhnlichen Montagmorgen die Hölle los. Von nun an war es alles andere, als ein üblicher Morgen.

      Menschen liefen schreiend durcheinander und versuchten, hinter Häuserecken und parkenden Fahrzeugen Schutz zu finden. Ein Zeitungsverkäufer sprang hinter seinen Kiosk in Deckung, ein Obstverkäufer suchte diese hinter seinem Stand.

      Autos bremsten vor dem am Boden liegenden Mann scharf ab, die Fahrer stürzten aus ihren Wagen und liefen zu vermeintlich sicheren Stellen, an denen sich schon zahlreiche andere Leute aufhielten, die sich in Sicherheit gebracht hatten. Innerhalb weniger Sekunden war die Kreuzung wie leer gefegt. Der nächste Schuss erwischte eine flüchtende Frau noch am Bein, bevor sie um eine Ecke biegen konnte und sie humpelte, nachdem sie sich wieder aufgerappelt hatte, in Deckung.

      Der Mann auf der Straße rührte sich nicht mehr. Es bildete sich unter seinem Kopf eine kleine Blutlache, die rasch an Größe zunahm.

      Als Naomi das Blut sah, erinnerte sie sich daran, wie sie sich einmal in den Finger geschnitten hatte und überlegte, dass der Mann am Boden wohl große Schmerzen haben müsse.

      Nachdem sie das entstandene Chaos erschrocken und zugleich fasziniert betrachtet hatte, fiel ihr Ken wieder ein. Er lag auf dem Rücken und blutete aus einer Wunde in der rechten Schulter. Naomi hockte sich neben ihn, sich der Gefahr, in der sie schwebte, nicht bewusst. Sie glaubte, dass auch er Schmerzen haben müsse, verstand aber nicht, warum ihr Freund sich nicht regte und nicht mehr weitergehen wollte. Ihr fielen die Bilder aus dem Fernsehen wieder ein. Da wurde von Toten gesprochen. Sie wusste zwar noch nicht, wie man starb, aber was ein Toter war, das wusste sie schon. Ihre Großmutter war tot, und ihre Mama hatte ihr erklärt, dass sie in den Himmel vorausgegangen sei und nicht mehr zurückkommen werde. Plötzlich hatte sie Angst, Ken könnte auch tot sein und fühlte sich betrogen. Er hatte ihr doch gerade erst versprochen, sie immer zu beschützen. Und jetzt war er tot? Wer sollte ihr nun helfen? Er konnte sie doch nicht einfach so alleine lassen. Sie rüttelte an Ken und begann zu weinen. Noch vor wenigen Augenblicken hatte er ihren Tränenfluss gestoppt. Jetzt wurde ihr Jammern immer lauter, bis sie nur noch seinen Namen rief. Er sollte aufstehen, sie mussten doch zur Schule und er wusste doch, wie die Lehrer Verspätungen hassten. »Ken, komm doch, wir müssen weiter!«

      Der nächste Schuss zerstörte eine Fensterscheibe und sein Echo rollte durch die Straßen. Bis auf eine kleine Verletzung durch Splitter an einer neugierigen Frau, die ihr rundes Gesicht ans Glas gedrückt hatte, gab es dieses Mal keine schwereren Wunden. Der Schrecken durch das krachende Zerbersten des Glases bei denen, die sich in dem kleinen Laden aufhielten, war noch das schlimmste Übel.

      Naomi schrie mittlerweile immer wieder Kens Namen und zerrte an seinem Arm, ohne ihn jedoch vom Fleck zu bewegen. Alle, die sich in Sicherheit gebracht hatten und das sahen, blickten gebannt auf das kleine schreiende Mädchen, aber niemand konnte sich rühren.

      Der nächste Schuss traf Naomi am linken Ohr, riss sie herum und verursachte ihr einen schlimmen brennenden Schmerz. Jetzt schien sie zu verstehen, was passiert war. Sie krabbelte zurück zu Ken und weinte herzzerreißend.

      Nun endlich löste sich in einem etwa dreißig jährigen Mann die angestaute Spannung, er verließ seine Deckung und rannte auf das kleine Mädchen zu. Der Schweiß glitzerte auf seiner dunklen Haut. Er hatte die knapp fünfzig Meter schnell zurückgelegt, bekam aber Naomi nicht sofort zu fassen, da sie sich wehrte und lieber bei Ken bleiben wollte. Schroff riss er sie an sich und wollte umkehren. Jetzt kreischte und zappelte und schrie sie um Hilfe. Ken hatte doch versprochen, ihr zu helfen. Wo war nun seine Hilfe, jetzt, da sie sie brauchte?

      Mit der sich windenden Naomi unter dem Arm kam der Mann nicht mehr so schnell vorwärts. Der nächste Schuss traf ihn an der Ferse des linken Fußes. Er wurde herumgewirbelt, behielt aber durch Glück und Dank einer immensen Kraftanstrengung das Gleichgewicht, blieb auf den Beinen und stolperte um die rettende Hausecke, hinter der man ihm das Mädchen sofort abnahm.

      Vom Zeitpunkt des ersten Schusses bis jetzt waren keine fünf Minuten vergangen. Nun waren auch Sirenen zu hören, die aus allen Richtungen näher kamen und immer lauter wurden, bis vier Streifenwagen die Zugangsstraßen zur Kreuzung blockierten, die Sirenen abstellten und die Besatzungen hinter ihren Wagen Schutz suchten. Die sich drehenden roten und blauen Alarmlichter hatten sie angelassen; sie spiegelten sich zuckend in den umliegenden Fensterscheiben.

      Der nächste Schuss traf den Scheinwerfer eines Streifenwagens ohne jemanden zu verletzen.

      Die Menschen, die von der Kreuzung geflüchtet waren, hatten sich eigentlich nicht darum gekümmert, woher die Schüsse kamen. Alles, was sie wollten, war sich in Sicherheit zu bringen. Die Polizisten, die mit ihren Waffen im Anschlag über Kofferräume und Motorhauben lugten, nahmen den erst halbfertigen Neubau an der nordöstlichen Ecke der Kreuzung Koinage Road und Narok Road ins Visier.

      Als der nächste Schuss fiel, erwiderten die Polizisten das Feuer auf eine der oberen Etagen, deren Fensteröffnungen noch ohne Scheiben auf die Kreuzung herunter gähnten. Von einem Schützen war nichts zu sehen, geschweige denn, dass er getroffen wurde. Einige Geschosse trafen das Mauerwerk, Querschläger pfiffen. Einer davon traf eine Straßenlaterne, ein anderer bohrte sich in einen Baum, und wiederum ein anderer den Zeitungskiosk, was dem Verkäufer zeigte, dass seine Reaktion richtig gewesen war.

      Nachdem die Polizisten das Feuer mangels eines eindeutigen Ziels eingestellt hatten und der Klang der Schüsse in den Ohren aller Anwesenden verhallt war, wurden erneut Sirenen lauter. Es mussten sich etliche Einsatzwagen von Polizei und Rettungsdienst nähern. Einer der Streifenbeamten vor Ort hatte über Funk Verstärkung angefordert und nach seinem knappen Bericht waren nun weitere Streifenwagen, ein Sonderkommando, Scharfschützen und Rettungswagen unterwegs.

      Die Streifenwagen sperrten die Zufahrtsstraßen weiträumig ab und hielten Fußgänger zurück. Die Besatzungen klärten sie über die Notwendigkeit auf, Umwege in Kauf zu nehmen und verwehrten ihnen den Durchgang, gaben den Grund dafür aber nicht an, um zu verhindern, dass noch mehr Schaulustige die Einsatzkräfte behinderten. Dennoch hatten sich an den eilig errichteten Absperrungen bereits Gruppen Neugieriger zusammengefunden. Schüsse und Sirenen hatten die Sensationshungrigen angelockt.

      Andere Polizisten sorgten dafür, dass alle sich noch im Gefahrenbereich befindlichen Personen in weiter hinten liegende sichere Areale gebracht wurden. Einige leisteten Erste Hilfe bei den Verletzten, andere nahmen Zeugenaussagen auf. Die Rettungswagen blieben zwischen der ersten und der zweiten Absperrung, ihre Besatzungen nahmen Verletzte entgegen und behandelten sie. Der Frau, die am Bein getroffen worden war, wurde ein Druckverband angelegt. Naomis Ohr hatte aufgehört zu bluten, es wurde nur noch gesäubert und desinfiziert. Die Verletzung des Mannes, der sie gerettet hatte, war komplizierter. Im Gegensatz zu der Frau, bei der das Entfernen

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