Das Lied des Steines. Frank Riemann

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Das Lied des Steines - Frank Riemann

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verrückt geworden wäre und ein unvergleichliches Kunstwerk habe schaffen wollen.

      Und signiert hatte er es auch. Im Wohnzimmer war eine Regalwand umgeworfen worden und auf der hellen Tapete befanden sich seltsame Zeichen. O`Mailey hatte sie sich auf einen Block geschrieben. Oder besser gesagt, er hatte versucht, sie eins zu eins zu übernehmen.

      Seine Notizen lagen vor ihm neben der Kaffeetasse auf dem Tisch. Er blickte darauf, ohne die wenigen anderen Gäste im Cafè und ihre Gespräche wahrzunehmen. Er verstand ihre Bedeutung nicht, denn so etwas hatte er noch nie zuvor gesehen. Und er wusste auch nicht, ob sie überhaupt etwas zu bedeuten hatten.

      Im Wohnzimmer der getöteten Familie nahmen die mit Blut geschriebenen Zeichen die gesamte breite Wand ein. In mehreren Reihen prangte die ungewöhnliche Schrift dort wie eine Botschaft. Im ersten Moment dachte O`Mailey, es würde sich um japanisch handeln, was aber nicht zutraf. Es gab zwar Sequenzen, die japanischen Schriftzeichen ähnelten, doch standen sie nicht für sich alleine, sondern wurden durch seltsame Schnörkel miteinander verbunden, die dem arabischen hätten entsprungen sein können. Auch endete die Schrift nicht am Ende der Zeile, sondern rutschte tiefer und führte in entgegengesetzter Richtung weiter. So zogen sich Bögen und Haken, Schleifen, Kreise und Querstriche in einer ununterbrochenen Linie über die komplette Fläche der Wand.

      Heather schob ihren runden Körper durch den Raum und kam auf O`Mailey zu, in einer Hand eine halbvolle Kaffeekanne. »Willst du noch Kaffee, Henry?«

      Sie stand vor ihm und wartete auf eine Antwort. Weil sie keine bekam und sah, dass seine Tasse noch fast voll war, drehte sie sich um und verschwand wieder hinter der Theke.

      Henry schien zu träumen. Er dachte an das Haus und an die Schriftzeichen, die natürlich keinen Sinn ergaben. In seiner Kindheit hatte es auch oft Ereignisse gegeben, die er nicht verstanden hatte und Eines kam ihm jetzt in den Sinn.

      Er lebte damals mit seiner Mutter in Sydney, in einem Haus, in dem es beinahe nur Frauen gab. Nur ein Mann war permanent anwesend. Die Anderen, die vorbeikamen, gingen schon nach kurzer Zeit wieder. Seine Mutter sagte damals: »Das ist so: Wenn sie gekommen sind, gehen sie wieder.« Dann lachte sie immer, aber Henry verstand nicht, worüber. Er begriff nicht, was sich dort abspielte, und warum er nicht bei ihr sein durfte, wenn die Tür verschlossen war. Erst Jahre später, nach ihrem Tod und nachdem er in ein Waisenhaus kam, wurden ihm die Zusammenhänge klar.

      Eines Tages gab seine Mutter ihm Geld und einen Zettel mit einer Notiz. Er sollte die Straße entlang gehen, bis zur Kreuzung, dann rechts herum bis zur Apotheke und dem Mann das Geld und den Zettel geben.

      Er schlenderte los, blickte auf den Zettel, wusste aber, da er nicht lesen konnte, nicht, was er zu besorgen hatte. Der Apotheker schaute auf das Papier und grinste ihn breit an, als ob er Kenntnis von einem Geheimnis hatte, dass sich Dummkopf O`Mailey nicht erschloss.

      Seine Mutter nannte ihn immer Dummkopf, seinen Namen Henry sollte er erst im Waisenhaus bekommen.

      Der Mann nahm das Geld, stellte ein kleines Päckchen auf den Ladentisch, gab ihm einige Münzen zurück und grinste erneut.

      Dummkopf trödelte zurück, schob sich ein blass gewordenes Bonbon, das er tief unten in seiner Hosentasche gefunden hatte, in den Mund und sah die Szene, an die er sich jetzt in Heather`s Cafè, durch den Anblick des furchtbaren Tatorts und der blutigen Schrift ausgelöst, erinnerte.

      Auf der Straße lag etwas, das Dummkopf nicht sofort erkannte. Auf seinem Hinweg zur Apotheke war es noch nicht dort gewesen, oder er hatte es übersehen. Er ging einige Schritte näher heran und stellte fest, dass es sich um ein überfahrenes Tier handeln musste. Ein Lastwagen musste es erwischt haben, da der Haufen, der dort auf der Straße lag, nicht grade klein und ziemlich zermatscht war. Es war wahrscheinlich ein Hund gewesen, obwohl man den zerstörten Schädel nicht mehr genau erkannte. Das Rückgrat stand seltsam abgewinkelt ab und aus dem aufgeplatzten Kadaver breiteten sich die Innereien auf der Straße aus.

      Dummkopf wurde übel, er verschluckte sein Bonbon und hustete es wieder aus. Aber aus irgendeinem Grund konnte er seine Augen nicht von der leblosen Masse abwenden. Dann geschah etwas, was er überhaupt nicht verstand.

      Ein Junge, der größer und älter war als er selber, ging mit einem langen Stock in der Hand auf das tote Tier zu und blieb davor stehen. Er stocherte und rührte mit seinem Stab in dem Fleischklumpen herum und zog blutige rote Striche auf die Fahrbahn. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos. Es zeigte weder Trauer, Ärger, Schadenfreude noch Ekel.

      Dummkopf fragte sich, was er dort tat. Suchte er etwas?

      »Warum taten Menschen das, was im Haus der Familie Nillensson geschehen war?«, fragte sich Henry O`Mailey in Heathers Cafè.

      Er nahm einen großen Schluck Kaffee. Er war kalt geworden und schmeckte widerlich. Sein Gebäck hatte er nicht angerührt, beim Gedanken daran wurde ihm übel. Er legte zwei Dollar auf den Tisch, steckte seinen Notizblock ein, stand auf und verließ das Cafè.

      »Mann«, sagte Heather zu den drei Müllmännern, die auf ihrer Tour immer eine Pause bei ihr einlegten, »schlecht gelaunt ist der ja meistens, aber man kann sich noch halbwegs vernünftig mit ihm unterhalten. So habe ich ihn ja noch nie erlebt.« Die Drei nickten gelangweilt und ließen sich von ihr Kaffee nachschenken.

      O`Mailey schloss seinen Mantel und stellte den Kragen hoch. Die ganz warmen Tage waren vorbei, es ging allmählich auf den australischen Winter zu. Die Temperaturen würden dann in Südaustralien um die zehn Grad Plus zwar noch zu ertragen sein, aber er mochte dieses ungemütliche Wetter nicht. Jetzt waren es ungefähr vierzehn Grad Celsius und es begann ganz leicht zu regnen, was seiner Stimmung auch nicht gut tat. In diesem Teil des Kontinents regnete es hauptsächlich im Frühling, also von September bis Dezember; dass Ausläufer pazifischer Zyklone Regenfronten an Land trieben, war im April eher selten.

      Henry stieg in seinen Käfer, startete den Motor, schaltete die Scheibenwischer ein, die schon älter waren und die Windschutzscheibe mehr schlecht als recht vom Regen befreiten. Die Feuchtigkeit machte dem Vergaser zu schaffen und so ruckelte der Wagen durch die Straßen.

      Das, was die Nachbarn dem Inspector erzählt hatten, brachte ihn nicht weiter. Kent Nillensson sei ein ausgeglichener liebenswürdiger Familienvater gewesen. Er selber fiel ja sowieso als Verdächtiger aus, da sein Kopf und seine Füße nun mehr als 187 cm voneinander getrennt waren. Nein, man könne sich auch nicht vorstellen, dass er Feinde gehabt hätte, und von einem Familienangehörigen, der ein eventuell vorhandenes Vermögen erben würde, wusste man auch nichts. O`Mailey hatte inzwischen Kenntnis, dass es kein Vermögen gab. Die Nillenssons hatten zwar ganz gut gelebt, waren aber ganz gewiss nicht reich. Und die Angehörigen waren auch nicht so zahlreich. Kent Nillenssons Eltern waren vor vielen Jahren aus Skandinavien, genauer gesagt, aus Schweden, eingewandert. Sie waren bei einem Verkehrsunfall in Sydney ums Leben gekommen als Kent zwanzig war, und er war ein Einzelkind. Von seiner Frau Maria lebten noch die Mutter und eine Schwester in Brisbane im Bundesstaat Queensland. Dieser Familienzweig hatte spanische Vorfahren, und die beiden kamen als Täter so gut wie nicht in Frage.

      Henry war auf dem Weg zur Werbeagentur, in der Kent Nillensson gearbeitet und deren Adresse er von einem Nachbarn bekommen hatte, um dort vielleicht etwas in Erfahrung zu bringen. Der Wind trieb den Regen von Osten, vom Pazifik her, über die Stadt. Seine Magenschmerzen traten wieder auf, er verzog das Gesicht, kratzte sich am Kinn und überlegte, was er bis jetzt zusammen hatte.

      Nichts!

      Bis jetzt hatte er noch keinen konkreten Hinweis, der ihm weiterhalf. Die einzige Spur waren die am Tatort gefundenen Fingerabdrücke. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, dass diese ihn weiterbringen würden, denn wer schlachtete

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