Der Westwald. Lukas S. Kindt

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Der Westwald - Lukas S. Kindt

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durch die graue Nebelwand vor ihm.

      In der Ferne sah er die drei spitzen Türme der Polizeistation geisterhaft wie schwarze, knöchrige Finger einer sehnigen Hand aus dem Nebelsumpf herausragen. Beklommen stellte er jedoch fest, dass nur noch wenige Lichter in dem bewohnten Teil des altehrwürdigen Gebäudes schwach vor sich hinbrannten. Ja, es waren sogar noch viel weniger seit seinem letzten Besuch geworden. Der verwaiste Rest des Gebäudes war hingegen schon seit langer Zeit verdunkelt und abgestorben. Manche Menschen behaupten sogar, der Tod hätte schon seine Finger nach der Station ausgestreckt, bevor die Neperrenten überhaupt aus ihren Höhlen gekrochen waren.

      Müller, der versuchte, diese unguten Gedanken abzuschütteln, setzte sich kurzerhand in Bewegung. Das Reiben seiner starren Polizeiuniform sowie das dumpfe Stapfen der Stiefel auf dem aufgebrochenen Asphalt waren die einzigen Geräusche, die in dieser geisterhaft leeren Umgebung zu hören waren. Müller beschleunigte seinen Schritt. Wenn er den Experten schnell genug fand, konnte er immerhin wieder zurück ins schöne warme Auto. Ansonsten würde er hier draußen erfrieren, oder noch Schlimmeres...

      In der Ferne sah er nämlich schon, wie stöhnende Gestalten mit abgehakten und unnatürlichen Bewegungen, die ihrer tatsächlichen Anatomie spotteten, durch den Nebel krochen. Der Wind, der so schwach wehte, dass er kaum zu spüren war, brachte Müller dabei aus dieser Richtung den Gestank von süßlicher Verwesung und metallischem Blut entgegen. Es gab also keine Zweifel: Es waren Neperrenten und höchstwahrscheinlich auf der Jagd nach Menschen.

      In dem vergeblichen Versuch sich selbst zu ermutigen, griff Müller zum Holster und entsicherte mit vereisten Fingern ungelenk seine Waffe. Es war ihm dabei durchaus klar, dass DAS PROZEDERE einen bewaffneten Angriff auf die Abgrundlinge absolut verbot, auch wenn es in Selbstverteidigung geschah. Neperrenten waren unter dem neuen System nämlich heilig und unverletzlich, niemand durfte sie in ihrer unheiligen Arbeit stören. So wollte es DAS PROZEDERE. Dennoch drang der nervöse Kommissar immer weiter in den unheimlichen Nebel ein. Die hohen Türme der Station rückten dabei langsam aber stetig näher; mittlerweile erkannte er sogar die gigantisch großen Marmorsteine, aus denen das pechschwarze Gebäude errichtet worden war. Ein jeder einzelne von ihnen mochte ein paar Tonnen wiegen. Weiter oben an der Station umhüllten hingegen zahlreiche goldfarbene und sehr elegant geformte Rahmen bunte Milchglasfenster. Es war offensichtlich ein sehr altes und prunkvolles Gebäude; von den Vorfahren erbaut und nun dem Verfall anheimgegeben. So wollte es DAS PROZEDERE.

      Da erspähte Müller vor ihm im Nebel plötzlich einen roten Schein, konnte aber dessen Beschaffenheit und Ursache zunächst nicht genauer erkennen. Als er jedoch näher herangekommen war, erblickte er schließlich überrascht einen hageren Menschen mit schwarzem, ungekämmtem Haar, der auf seinen Knien hockte und angespannt sowie vollkommen weltvergessen in das große Neperrenten-Loch vor der Station hinabstarrte. Seine rote Warnweste strahlte dabei weithin in den Nebel hinaus und mochte weiß Gott was aus den Schatten anlocken. Müller räusperte sich. Angespannt huschte seine Stimme durch die drückende Stille.

      »Hey, Sie! Sie sind doch der Experte? Sind Sie etwa verrückt geworden? Gehen Sie doch von dem Abgrund da weg.«

      Der Experte schien zuerst nicht zu reagieren. Dann jedoch nach einer kurzen Weile tat er genau das Gegenteil von Müllers Anweisung; er beugte sich noch tiefer in das Loch hinab, während seine Hände angestrengt mit einem Pinsel über ein großes Blatt Papier fuhren, dass er zu seiner Seite abgelegt hatte. Er war vollkommen in seiner Arbeit vertieft und mit der Stimme allein konnte man ihn offenbar nicht aus seiner eigenartigen Trance befreien. Deshalb sah Müller keinen anderen Weg: Wütend stapfte der Kommissar zu ihm rüber und gab ihm einen festen Handschlag auf den schütteren Hinterkopf. Doch selbst das brachte ihn nur langsam aus seinem tranceartigen Zustand zurück. Murmelnd schüttelte der Mann mit dem wirren Haar nun seinen Kopf hin und her, zog Müller am Ärmel zu sich herab und sagte mit überbordender Faszination in der Stimme:

      »Da, sieh nur! Sieh nur! Wer hat jemals schon so etwas wundervolles gesehen. Absolut faszinierend!«

      Die Kraft des Fremden war eigentümlich stark. Beinahe ruckartig wurde der junge Polizist zu Boden gerissen. Unter einiger Anstrengung konnte er sich jedoch trotz des stahlharten Griffs keuchend von dem seltsamen Mann wieder losmachen. Aber dann, als er sich gerade wieder aufrichtete und seine Uniform zurecht machen wollte, da sah er es mit eigenen Augen: Da war tatsächlich eine Kirche in dem Abgrund da unten!

      Das Loch, an dem die beiden knieten und an dessen Boden sich die Kirche befand, besaß dabei einen Umfang von ganzen 50 Metern; in den steilen, äußeren Felswänden des Abgrunds fraßen sich hunderte und aberhunderte von weiteren kleinen Tunneleingängen hinein und ließen somit ein gigantisches Netz unter der Stadt vermuten.

      Niemand wusste genau, wie groß das Neperrenten-Reich unter der Erde eigentlich war. Das interessierte Müller jedoch in diesem Moment nicht einmal. Mit der gleichen Faszination in den Augen wie der rotgekleidete Experte starrte er nun in das Loch zum bizarren Gottesbau hinunter.

      Die Kirche im Abgrund war im gotischen Stil gehalten, mit dem typisch spitzen Turm und halbbogenförmigen Buntglasfenstern. Jedoch stimmte - trotz aller offenkundigen Verwandtheit zu den Kirchen der Menschen - etwas nicht mit ihr. Irgendetwas war anders... falsch. Als Müller endlich erkannte, was ihm bei dem Anblick dieses Baus so sehr Unbehagen bereitete, lief ein kaltes Grausen über seinen Rücken hinunter.

      »Sehen Sie nur, Herr Polizist. Sie wollen so sein wie wir. Sie ahmen uns nach!«

      Das heisere Lachen des Experten schallte über den ganzen Vorplatz der Station. Müller schüttelte jedoch nur den Kopf und antwortete:

      »Nein, sie verspotten uns.«

      Daraufhin stand er auf und zog den sich widerstrebenden Experten hektisch mit sich. »Kommen Sie! Wir müssen zurück zum Auto, oder mein Kollege fährt ohne uns los. Und Sie wollen doch sicherlich nicht hier alleine herumwandern. Vor allem wenn es bald Nacht wird.«

      Der Experte brummte unzufrieden vor sich hin, ansonsten gab er jedoch auf dem Weg Ruhe. Nach ungefähr einer verstrichenen Minute sah Müller also endlich erleichtert die Scheinwerfer ihres Polizeiwagens. Der kurze Ausflug in den Nebel war ihm selbst so lang wie eine kleine Ewigkeit vorgekommen.

      Da stieg auch Kollege Schulz aus dem Auto und grüßte Müller mit einem kurzen Nicken, den Experten würdigte er hingegen keines Blickes. Ja, er schien sogar irgendwie angefressen zu sein. Seine leichte Ungeduld verratend stapften die Stiefel des Alten auf dem Boden. Der junge Kommissar beschäftigte sich jedoch nicht weiter mit den Kapriolen seines Vorgesetzten. Er war einfach nur froh, dem düsteren Nebel aufs Neue entkommen zu sein. Nachdem sie sich also kurz zugenickt haben, stiegen die beiden Polizisten endlich mit ihrem neuen Schützling wieder in den Wagen und fuhren los; weiter hinein in das Leichentuch, das nun die ganze Welt bedeckte.

      Verlassene Straßen, düstere zusammengebrochene Häuser und Menschen mit leerem Blick und Sinn zogen für eine Weile an ihnen vorbei. Müller fragte sich bei diesem Anblick, wie viele Menschen es überhaupt noch geben mochte. Die Zeitungen berichteten natürlich dazu nichts, aber er selbst ging anhand seiner eigenen Beobachtungen davon aus, dass die Neperrenten mittlerweile die Hälfte der Bevölkerung verschlungen hatten. Gestern hatte ihm seine Frau noch berichtet, dass ihre einstmals blühende Nachbarschaft seit neuestens komplett leer stände, bis auf eine alte und schon fast blinde Frau namens Elsa, die im Haus gegenüber wohnte. Müllers Ehefrau schickte auch ihre beiden Kinder gar nicht mehr zur Schule. Es war nämlich viel zu gefährlich mittlerweile... zumindest ihrer Meinung nach. Müller selbst hatte zwar dagegen protestiert, aber er war sich nicht sicher, ob er ihr nicht doch zustimmen sollte. Zwar besagte nämlich DAS PROZEDERE eine Schulpflicht bis zum Ende, aber andererseits konnte man mittlerweile schon am helllichten Tage gleich neben ihrem Haus in viel zu regelmäßigen Abständen Neperrentengeheule hören. Bei diesen Gedanken nahm sich Müller deshalb auch vor, so

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