Die Villa. Jacques Varicourt
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Villa - Jacques Varicourt страница 4
Mir fielen solche Sachen immer dann auf, wenn ich selber anonymer Gast in einer von meinen Lokalitäten war. Carina sagte dann, wenn wir mal, so ohne weiteres, darauf zu sprechen kamen, immer zu mir: „Du belastest dich mit Dingen, von denen du die Finger lassen solltest, denn andere zerbrechen sich längst schon den Kopf darüber, und denen geht es wesentlich schlechter als uns und unseren Kindern, deshalb „denken“ sie für alle, auch für uns. So ist das!“ Trotzdem war mir nicht wohl bei dem Gedanken, dass andere, wer auch immer das sein möge, für mich, sich, den Kopf zerbrachen, denn Entscheidungen wollte ich eigentlich immer noch selber treffen, und nicht treffen lassen, auch wenn das Überlassen von Wichtigkeiten auf andere, eine deutsche Tugend zu sein schien. Als ich irgendwann anfing Tagebuch über meine Rückkehr nach Deutschland zu führen, hätte ich niemals gedacht, dass alles, was mich betraf so rasend schnell vonstatten gehen würde: Das Wiedersehen mit Carina, der Beginn der großen Liebe, geschäftliche Erfolge, anfangs zwei Kinder, später in den Jahren 1925/1927 noch zwei weitere, das Erleben von neuer deutscher Geschichte, die wiederholt in Militarismus und Fanatismus enden würde, ja, ich fühlte förmlich wie nach 1927 etwas in Gange war, doch ich möchte nicht, mit Hinsicht auf meine eigene Beteiligung, schriftlich wie auch gedanklich zu weit in die Zukunft greifen, welche nicht nur Gutes verheißen sollte.
Aber als ein gewisser junger Agitator aus Österreich im Jahre 1923 in München einen Putschversuch unternommen hatte, da spürte man schon so eine gewisse Unzufriedenheit der Menschen, die nach Neuordnung und nach Einigkeit strebte; in ihren Ansätzen allerdings durch die bürgerliche Zunft erheblich behindert, teilweise sogar weggesperrt wurde. Es war das Volk selbst, das die Hebel in Bewegung gesetzt hatte, um diejenigen zu entmächtigen, die sie auch weiterhin quälten, die ihnen nur soviel gestatteten, dass sie nicht an Untergewicht zugrunde gingen, denn das hätte ein zu schlechtes Bild abgegeben, insbesondere für die aufmerksame, ausländische Presse, die die verschiedenen Strömungen in Deutschland mit Argwohn beobachtete. Also kehre ich nun zurück zum Frühjahr 1925 - Max, unser drittes Kind war geboren, zwei Jahre später erfolgte die Geburt von Petra, beides waren gesunde und drollige, dunkelblonde Prachtexemplare, die den ganzen Tag nach Milch schrien und uns alle in den Wahnsinn trieben. Bei jeder einzelnen Geburt von unseren Kindern, kamen meine Mutter und meine Schwester eiligst aus den USA angereist, um die Vervollständigung der Familie kritisch zu begutachten, so war es auch Ende August 1927.
Meine Mutter war mittlerweile neu verheiratet mit einem Amerikaner – Roger. Melanie hingegen hatte ja selber schon zwei Kindern das Leben geschenkt, sie brachte ihre Rasselbande, samt Ehemann, gerne mal über den großen Teich zu uns nach Hamburg mit, um dann von deren überdurchschnittlicher Intelligenz zu schwärmen, anhand von Schulnoten, die allerdings weder ich noch Carina jemals zu sehen bekamen.
„Wir“ konnten die schulischen Leistungen, zumindest von Jochen, der seit Oktober 1926 auf einer staatlichen Schule Zucht und Ordnung lernte, belegen. Wir waren außerdem der Meinung, dass der Unterricht in Deutschland doch sowieso etwas züchtiger und auf einer moralisch höher angelegten Basis funktionierte als in Amerika, welches Jochen im Übrigen durch einen korrekten militärischen Gruß, indem er mit der rechten Hand zackig an die Stirn schlug, bestätigte. Melanie und ihr Mann „Dave“ waren natürlich ganz anderer Ansicht, Dave sprach in einem völlig akzentfreien Deutsch von - veralteter Pädagogik, die einer dringenden Erneuerung bedurfte. Auch meine Mutter, die sich immer schon für weltbürgerlicher als der Weltbürger überhaupt hielt, nahm eine klare progressive Haltung, in Bezug auf den Schulbesuch ihres Enkels, ein. Sie erinnerte an die negativen Einflüsse, denen sie selbst während „Kaisers Zeiten“ ausgesetzt war, und die sie in ihrer Liebe zur Freiheit beeinträchtigt hätten.
Als Carina ihr daraufhin sagte, dass es doch an jedem Menschen selbst liege, was unabhängig von der Schulzeit, aus ihm werden würde, entgegnete ihr meine weltbürgerliche Mutter ziemlich hart: „Das habe ich ja auch anfangs, und später noch sehr viel mehr, bei „dir“ gesehen, wie du dich aufgeführt hast, als du „nur“ das Hausmädchen in „unserer“ Villa warst, von einem reaktionären Flittchen hast „du“ dich doch damals kaum unterschieden - erziehungsbedingt eben. Dir fehlte die schulische Grundlage einer optimalen und ausgewogenen, völkerverbindenden Freiheitsstruktur, die es einem jeden Menschen ermöglichen sollte, unabhängig und frei von Zwängen zu wählen. Ja, und wenn ich mich recht entsinne, wurdest du uns doch: Durch irgend so eine kirchliche, verkalkte, dem Mittelalter entsprungene Organisation für Hausmädchen empfohlen, und wir haben „dich“ aus „Mitleid“ in unser Haus aufgenommen, oder irre ich mich da etwa?“
Carina streckte ihr, nach dieser Attacke, die Zunge weit entgegen. Meine Mutter verzog jedoch keine Miene, sie blickte zu Melanie, Melanie jedoch hatte keine Lust mehr auf Streit, sie entschärfte die angespannte Lage am Kaffeetisch, indem sie die zur Neige gehende Schwarzwälderkirschtorte ausdrücklich lobte und sagte: „Das gibt es in Amerika zum Beispiel noch nicht so richtig zu kaufen, jedenfalls nicht in der Qualität.“
Und somit war fürs Erste Ruhe.
Der Nachmittag verlief unerwartet angenehm, und verglichen mit anderen Nachmittagen – friedlich, das Thema verlorener Krieg wurde zum Beispiel völlig außer Acht gelassen, man wollte keine, noch offenen Wunden, mit dem Salz der Schadenfreude auspinseln. Besonders hielten sich die amerikanischen Ehemänner von Mutter und Schwester zurück, sie plauderten mehr, als dass sie sich ernsthaft mit mir oder mit Carina unterhielten, allgemeines Geschwätz, nichts Wichtiges: Hollywood-Stummfilmstars, der Broadway, erste Anzeichen eines bevorstehenden, eventuellen Börsen-Crashs, das waren die Themen, aber alles eben auf eine sehr lockere Art, die ich als harmlos und nett einstufte, ebenso beurteilte Carina die beiden soliden und gestandenen Männer: Roger Gould und Dave Finney. Beide liebten ihre deutschen Frauen aufrichtig und mit einer geschickten Hand, um Schreiereien und Pöbeleien, von vornherein zu vermeiden, denn Mutter und Tochter hatten die Fähigkeit, durch enorme Gesprächslautstärke, aus dem Stegreif heraus, ihre direkte Umgebung, wenn sich beide in Debatten „unterlegen“ fühlten, oder „verhedderten“, die Betroffenen die ihnen als zu „überlegen“ erschienen, in Angst und Schrecken zu versetzen; gezielte Einschüchterung auf unterstem Niveau nennt man so etwas, glaube ich zumindest? Einerseits verfügten beide, wenn man es auf die Lautstärke beschränkte, über ein angeborenes Talent, andererseits war es der Wunsch nach großer, innerlicher Befreiung, wenn die äußeren, zum Teil, vordiktierten Zwänge und Verordnungen, einengend und züchtigend wirkten; also behalfen sich Mutter wie auch Tochter mit „Geschrei“ im weitesten Sinne, insbesondere in Momenten der Not. Ohnmachtsanfälle, Übelkeit und eine gewisse naive Hingabe zum speziellen europäischen Weltuntergangssyndrom waren mit inbegriffen, wenn es darum ging, das letzte Wort zu haben, und sei es auch noch so verkehrt. Ich kannte diese Dinge zur Genüge von früher, auch Carina waren sie nicht entgangen, nur der puritanische Roger machte den Eindruck, dass er in seiner Frau immer wieder neue Abwandlungen eines Drachen entdeckte. Melanies Ehemann „Dave“, der in seiner etwas schrulligen Darstellung so mancher Fakten, seine Erfüllung gefunden zu haben schien, war gar nicht erst daran interessiert, seine Ehefrau in direkten Augenschein zu nehmen, Dave hatte sich offensichtlich mit der Tatsache abgefunden, dass Mutter wie auch Tochter, zwei impulsive Zeiterscheinungen waren, denen man besser aus dem Weg geht, in Phasen der Streiterei.
Und so rückte der Tag der Abreise des Besuches aus Amerika immer näher. Nach zweieinhalb Wochen, mit allen Höhen und Tiefen zog es die vier samt