Die Villa. Jacques Varicourt

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Die Villa - Jacques Varicourt

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Besonderes, nichts Wichtiges, aber, ich sah die Rössers von jenem Tag mit anderen Augen. Dass er jetzt öfters mal, bei Problemen, zur Buddel griff, dass er und auch sie, im Frühling 1937 zum Spanferkel-Grill-Abend am Strand einluden, all das, wirkte auf mich faszinierend, ich staunte über so viel moralische Umkehr, die wirklich einzigartig war, nie zuvor war mir dergleichen widerfahren. Und nach einem triumphalen Mahl, nach einem Besäufnis aller erster Quantität und Qualität, nach Musik und Tanz, nach einem Rausch mit reichlich Leidenschaft, nach all diesen Dingen fiel mir eine Märchenfee auf, eine blonde neunzehnjährige, traumhaft schöne, von der Natur reich an Oberweite ausgestattete gottgleiche Gestalt. Sie trug einen durchsichtigen Hauch von Nichts, sie lächelte mit einem Blick der mich anzog und betörte, ich war beschenkt durch den Antlitz dieser Schönheit, die am Morgen nach der Feierlichkeit auf mich zu kam, direkt am Elbstrand, wo ich auf einer Decke genächtigt hatte, umgeben von Schnapsleichen und anderen Individuen, die im Traume durch die Welt des Frühlings geisterten.

      Und während die anderen noch schliefen, ging ich mit der unbekannten Schönheit in die Büsche, sie war ein ehemaliges BDM-Mädel aus der hiesigen Führerelite stellte sich heraus, sie war ferner eine Schulfreundin meines Sohnes, „er“ hatte sie mit auf die Fete gebracht, die in totaler Bewusstlosigkeit endete. Als wir uns in die Büsche gemacht hatten, küssten wir uns, sie glühte Feuer und Flamme, sie war ekstatisch, sie war eine Frau voller Leidenschaft und Hingabe, das machte sich besonders während des unendlichen langen Geschlechtsverkehrs mit ihr deutlich, denn sie wollte richtig genommen werden, keine Spur von Liebe oder gar Zärtlichkeit, nein, nur harter Geschlechtsverkehr pur. Sie war durch und durch versaut, sie hatte Erfahrung, denn als ich in sie eingedrungen war, spürte ich keinerlei Widerstand, im doppelten Sinne, ganz im Gegenteil, sie wirkte sehr abgebrüht, sie wusste worauf es ankam, sie konnte ganz gut mit Männern, ja, sie war ehrgeizig und setzte ihre weiblichen Reize gezielt ein, eigenartigerweise gefiel mir das, obwohl sie ja, von der moralisch geprägten Zeit damals, viel zu jung für mich war. Britta, so hieß sie, hatte durch ihren jugendlichen Charme, ihre Mädchenhaftigkeit und der damit verbundenen Frische die sie versprühte „alles“, was mich in höchste Höhen entschwinden ließ. Ich war verliebt bis über beide Ohren. Sie wurde meine heimliche Mätresse, meine absolute Nummer eins; Melissa war ja ins Ausland geflüchtet, Carina trieb es allem Anschein nach auch weiterhin mit Albert, warum also sollte ich mir nicht auch etwas Süßes gönnen? Unsere Liaison war von Anfang an unsagbar schön und beruhte auf gegenseitige sexuelle Lust, wir trafen uns in Pensionen, in Hotels, - bei mir zu Hause nur, wenn Carina mit Albert und den Kindern nicht da war, ja, dann ging es hoch her. Jochen, mein Ältester ahnte, was mit mir und Britta los war, aber er verpetzte mich nicht, er ließ es zu, weil er selber die Freiheit der Lust liebte, er wechselte häufig seine Freundinnen, er war mir in vielerlei Hinsicht am ähnlichsten. Meine Ehe mit Carina existierte nur noch auf dem Papier, aber wir alle „wahrten“ den Schein nach außen hin, Carina kam ihren ehelichen Pflichten längst schon nicht mehr nach, mir war das zwar egal, aber sie war halt immer noch eine begehrenswerte Frau mit einem erschlagenden und aufreizenden Gang, der jeden männlichen Konkurrenten, das Blut ins Schwengelchen schießen ließ, sie war auf ihre Art genauso gierig wie alle anderen auch, und sie machte, was sie wollte. Albert, der König der Scheinheiligen, ließ sich nie etwas anmerken, er machte seine Arbeit, er war immer zuverlässig, er war immer sehr pünktlich, er war immer ausgeglichen und im Grunde genommen der bessere Vater - verglichen mit mir. Ich hatte damals wirklich viel zu tun, aber ich brauchte den Ausgleich der Entspannung, und diesen Ausgleich verschaffte mir Britta, ihre Eltern tappten bezüglich unserer Romanze im Dunkeln, wir verbargen geschickt die Zuneigung, welche das Geflecht der Liebe bildete, die uns lange verbinden sollte. Ich war für Britta: Vater, Bruder, Geliebter und nicht zu vergessen der großzügige Geldgeber, der ihr Freiheiten ermöglichte, die sie wiederum durch ihre unvergleichbare Hingabe ausglich, aber wir hatten trotzdem jede Menge Spaß, denn so ein bisschen Heimlichtuerei tut wahnsinnig gut, obwohl man „mich“ wegen Verführung von „noch nicht ganz Volljährigen“ hätte drankriegen können, aber Britta war das alles egal, und ich hatte mich, wenn ich mal ganz ehrlich bin, von „ihr“ im Übrigen verführen lassen, und war ihr nun total verfallen. Wie, besser gefragt, „wo“ sollte das alles bloß enden?

      Sauerkraut und Würstchen

      Carina, meine beiden jüngsten Kinder, dann Albert, Familie Rösser, überhaupt alle, schienen mich, als meine Liebe zu Britta offensichtlich war, plötzlich zu meiden, man nahm mich nur noch so hin, man erwartete nichts mehr von mir, ich wurde zum Sündenbock erklärt und in eine Ecke gestellt die mir nicht als angemessen erschien, denn ich war anderes gewöhnt. Es war, als die Einsamkeit mein Herz verdüsterte - Britta, die mir über die Zeit der seelischen Trennung zu meinen Nächsten hinweg half, indem sie durch ihre Schönheit alle Zweifel und Hindernisse in der Luft auflöste. Britta war kein Vergleich zu Carina - da war zu viel Unterschiedliches, deshalb führte ich diese Affäre hauchdünn an meiner eigentlichen Ehe geschickt vorbei, denn in Carinas Augen hatte „ich“ unsere Ehe zerstört. Ja, ich war durch meine Restaurants, durch meinen Erfolg als Geschäftsmann, durch meine unzähligen Abenteuer zu einem miesen Zuhälter und zu einer Un-Person verdonnert worden, die den regelmäßigen Ablauf eines normalen Tages alleine schon durch seine Anwesenheit als solches beeinträchtigte. So kam die Zeit in der ich mich wie ausgestoßen fühlte, man legte auf meine Gegenwart „keinen“, oder nur noch sehr wenig Wert. Die Kinder, also, meine Kinder, hatten sich mit Ausnahme von Jochen und Birgit, auf Carinas sowie Alberts Seite geschlagen, man war grundsätzlich gegen mich, man strafte mich, man warf mir abfällige Blicke zu, indem man selbst noch hinter meinem Rücken, irgendetwas Unschönes herumtratschte. Eine Versöhnung innerhalb meines eigenen Hauses schien in ungreifbare Nähe entschwunden zu sein. Selbst wenn es Sauerkraut und Würstchen gab - das Familienessen schlecht hin, herrschte Uneinigkeit, es herrschte eine Anti-Stimmung, die alles Freundliche und Herzliche sofort im Ansatz erstickte. Es waren sonderbare Vorzeichen auf etwas, was nur schwer zu beschreiben geht, denn, der Sommer 1937 hatte so eine bleierne Schwermut mit sich gebracht, die auf das Gemüt drückte, ich hätte, rückblickend, glücklicher sein müssen, aber ich war es nicht, ich hatte irgendwie meine Stellung innerhalb der Familie verloren; Britta und die Parteiabende mit der NSDAP bildeten meine neue Familie.

      Gelegentlich traf ich mich natürlich mit meinen getreuen Geschäftsführern, oder ich zog auch gerne mal alleine durch die Kneipen der Konkurrenz, aber mir fehlte dennoch etwas Bestimmtes. Britta spürte ganz deutlich, dass es mir an einer Sache mangelte, aber sie verhielt sich passiv, sie befürchtete ein Ende unserer Beziehung, würde sie zu sehr in meiner Privatsphäre herumstochern. Das Problem war, dass ich niemanden vertraute, wahrscheinlich aufgrund der Erziehung meiner weltbürgerlichen Mutter; mein Freundeskreis, welcher nie auffallend groß gewesen war, war auf die Nachbarschaft mit Herrn Rösser und die eher flüchtige Bekanntschaft mit dem eifrigen Schulmediziner Herrn Doktor Feldermann reduziert. Innerhalb der Partei, der zum Teil ungewöhnlich fanatischen Genossen, war niemand jemals bei mir zu Hause gewesen - es ergab sich einfach nicht, ferner wurde ich aufgrund meiner geschäftlichen Tätigkeiten, die einige viele zum gnadenlosen Naserümpfen veranlasste, als für nicht-politik-tauglich angesehen. War die Partei zu aller Anfang auch über jedes Parteimitglied hoch erfreut, so sortierte sie mittlerweile die Spreu vom Weizen, die Partei war zu einem Apparat geworden, der sich strikt an die Linie der Vorgaben hielt, um glaubwürdig zu erscheinen, und um so etwas wie eine kontinuierliche Allgegenwärtigkeit zu demonstrieren. Mich hatte das nie gestört als die Partei sich in der Entwicklung befand, schließlich hatte Hitler erstaunliche Erfolge vorzuweisen, aber so im Laufe der Zeit wurde ich nachdenklich, ich war zwar überzeugt von der Richtigkeit des Faschismus, im damaligen Stadium, in all seiner Macht und seiner Verbreitung – Europa weit, dennoch irritierten mich gewisse hochrangige Leute, in ihren Auslebungen, in ihren Prinzipien und Ansprüchen, vor allem, wenn sie als Gäste, in zivil gekleidet, innerhalb von einen meiner Lokalitäten, sich so gaben, wie sie wohl wirklich waren, nämlich: laut, primitiv, peinlich und total besoffen.

      Es gab und gibt immer Unterschiede in der Gesellschaft. Die Reichen werden immer auf die Armen herabblicken, es wird immer Führer und Führungsbedürftige geben, es wird auch immer Ungerechtigkeiten geben - da sollte sich niemand etwas vormachen, aber, im Faschismus, hatten Eitelkeiten

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