Die Villa. Jacques Varicourt

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Die Villa - Jacques Varicourt

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mit ihr ins Bett, ich hatte meine deutschen Werte und Prinzipien, auf die sich „auch“ Carina, ohne jeden Zweifel, verlassen konnte. Dass Melissa an einem Sommertag, in der Nähe unserer Villa mit ein paar Freundinnen, zu später Stunde „nackend“ in der Elbe gebadet hatte, dessen unweigerlicher Zeuge ich gewesen bin, das war purer Zufall gewesen, klärte ich Carina auf. „Die Mädchen hatten ein wenig Spaß mit sich selber, das ist doch keine Tragödie, das ist doch völlig normal," sagte ich zu meiner schnaubenden Ehefrau die mir dennoch nicht glaubte. Sie hatte nämlich von „Frau“ Rösser erfahren, dass „ich“, an jenem Abend, als die jungen Frauen sich etwas abkühlten in den Fluten des Flusses, gar nicht weit entfernt auf einer ganz bestimmten Bank saß, und sehr genüsslich das lustige Treiben der Frauen, und der später noch hinzugekommenen, ebenso jungen Männer, ganz entspannt beobachtet hätte. Ich wurde somit zu einem Voyeur abgestempelt, der im Laufe des amourösen Abends, sich selber mit hinzugesellte, um seine Liebesphantasien zu befriedigen. Aber, hiermit unterstellte man mir zu viel, man überschätzte mich, denn ich habe zwar zugeschaut, und mich sicherlich über so viel Freizügigkeit amüsiert, aber ins Geschehen eingegriffen, aktiv, nein, das hatte ich nicht. Ich weiß noch wie sich die Frauen liebten, bevor die Männer eintrafen; wie später Männer und Frauen den natürlichen Liebesakt vollzogen im fahlen Licht der, letzten noch verbliebenen Sonnenstrahlen; ferner erinnerte ich mich aber auch noch: Wie ein paar Männer einander liebten, welches für mich, etwas absolut Neues war, es war kein Sodom und Gomorrha, aber es ging hoch her. Schuld war die Temperatur, die ein heißer Sommer mit sich bringt, so dass die Hormone ein Kribbeln erzeugen. Doch Trotz meiner lyrischen Darstellung des Abends, der anscheinend von Frau Rösser ganz anders interpretiert worden war, blieb Carina misstrauisch; und dass sie (Carina) anscheinend eine heftige Affäre mit Albert hatte, jenen Fakt ließ sie völlig außer Acht, er war für sie gegenstandslos geworden, aber, unsere Ehe war dennoch angeknackst. Wir gestanden uns Freiheiten zu, zu welchen wir vorher, vor all diesen Beobachtungen von Frau Rösser, die uns offensichtlich gegeneinander ausspielen wollte, nicht in der Lage waren. Ich übersah Carinas kleine Affäre mit Albert, und sie tolerierte mein Verhältnis mit Melissa, eben der lieben Kinderchen wegen.

      Und auch Frau (Elisabeth) Rösser sagte mir einmal, dass sie es als „wunderbar“ empfinde, mit welcher Selbstverständlichkeit „wir“ unsere Ehe führen. Sie nannte es: „Modern“, und sie fügte hinzu, „dass wir uns aus dem idiotischen Gerede von anderen nichts machen sollten, denn sie hätte für alles Verständnis und würde schweigen wie ein Grab.“ Ob das nun wahr war, oder auch nicht, was Frau Rösser mir da erzählte, ich blieb vorsichtig ihr gegenüber, denn sie war alles andere als zurückhaltend, wenn es darum ging: Sich mit dem Leben ihrer Nachbarn zu beschäftigen, ebenso ihr Ehemann. Der Tratsch muss beiden angeboren gewesen sein, sie konnten es einfach nicht lassen, andauernd, irgendwelche Gerüchte und Beobachtungen, die sie überhaupt nichts angingen an andere weiterzuerzählen, und das, immer in leicht abgewandelter und überspitzter Form, so dass der, oder die Betroffenen in Streit und Schreiereien verfielen. Erst dann fühlten Frau und Herr Rösser so etwas wie Befriedigung, die, das Schnittlauch in der Suppe ihrer eigenen Sexualität bildete, wenn abends ihr Mann, der stramme preußische Oberst, wie irre über sie herfiel, um ihr zu zeigen, zu welcher Potenz der deutsche Soldat noch in der Lage war, trotz der Schmach und der Niederlage des ersten Weltkrieges. Die Soldatenehre weilte unbewusst über „allem“, was der deutschen Frau, sofern sie mit einem deutschen Soldaten verheiratet war, der den ersten Weltkrieg miterlebt hatte. Ja, diese Form der Ehre hing wie eine Straßenlaterne bei Nacht über dem „Fest“ der unzerstörbaren Liebe und leuchtete den Weg der Liebenden geradewegs in Richtung einer neuen Zeit, die schon klammheimlich angebrochen war. Hitlers Mannen hatten längst erkannt, wie es um die Zukunft des geschlagenen Deutschlands stand, wie sehr der Eispickel der Enttäuschung in die Herzen derer eingedrungen war, die sich nicht mit der Tatsache abfinden konnten, dass das kaiserliche Reich, mit all seiner ehemaligen Blüte, für immer, dahin geschieden war, weil die Deutschen dem fatalen Ruf nach einer stabilisierenden Demokratie folgen wollten, auch wenn der Deutsche andere Gedanken entwickelte, die nach einer trivialen Genugtuung verlangten. Ich war ein überzeugter Nationalist, weniger Faschist, vom ersten Tage an als der Nationalsozialismus aufflammte. Ja, „ich“ wollte jemanden wie Hitler, ich wollte keine Parteien mehr die das Volk gegeneinander aufhetzten, um einen ausweglosen Konflikt auf höchster Ebene zu lösen der zu nichts führt, als zu einer gewissenlosen, peinlichen Allgemein-Veränderung, der ohnehin schon: Desolaten Weimarer Republik, die sich zu einem Gespenst, zu einem aufgeweichten Schwamm ohne Inhalt hinbewegte.

      Wir, die Geschlagenen, die Weltverbrecher, wir, wir alle brauchten eine Neuordnung, die politisch, besonders auf Deutschland bezogen funktionieren sollte. Ja, wir brauchten einen eigenen Weg, ohne Vorbehalte, der trotz der Schuld, trotz der Blindheit, trotz des Mangels an Bewältigung, trotz der bürgerlichen Entziehung ihrer Verantwortung, sich zu einem System entwickelte, welches aus dem Vergangenen gelernt hatte. Denn die Machtentfaltung war nur der Anfang einer längst überfälligen Zwistigkeit zwischen den Europäischen Staaten gewesen, die sich abreagieren wollten. Es war nichts weiter als simple Kraftmeierei gewesen, die allerdings Millionen Tote forderte und zu verantworten hatte. Durch Hitler schien diese Zeit in Vergessenheit geraten zu sein, weil er anders argumentierte, weil er andere Mittel anwendete, weil er moderner an die aktuellen Probleme heran trat. Er ließ die Aktualität für sich selber sprechen, ohne auf deren Veteranen ein schlechtes Wort kommen zu lassen, denn sie brauchten keine Hinweise, sie brauchten ein neues, aggressives Sprachrohr, welches sie für sich nutzten, wenn nicht sogar einzubeziehen wussten, so war mein Eindruck, als ich Adolf Hitler in Berlin zum ersten Mal sprechen hörte. Ich verstand nicht, was er sagte, aber ich spürte die Kraft, die Entschlossenheit, die erregende Leidenschaft für die große Sache die er zu formulieren gefunden hatte. Ich war begeistert, ich war hypnotisiert und ich war fasziniert, mit welcher Überzeugung dieser Mann die Massen mobilisierte und auf seine Seite zog, ohne jemanden zu zwingen. Er war es der die Befehle gab, die uns alle mit auf eine Reise durch die Vergangenheit und der gerade erst gebildeten Zukunft nahmen, die die Deutschen, und mich auch, zu einem Übermenschen erhoben. Ich, Carina, ja selbst der gelegentlich verunsicherte Albert, der sich zwischen den Kommunisten und den Nationalsozialisten anfangs nur schwer entscheiden konnte, wir wurden allesamt stolze Parteimitglieder der NSDAP. Dass Hitlers großartige Thesen die Juden ausgrenzte, das wurde, auch von mir, mit etwas Sorge getragen, aber dann doch für richtig und notwendig empfunden, schließlich drehte es sich um unser Vaterland. Meine Geliebte Melissa, eine Halbjüdin, sah „mich“ so um 1930 mehrfach mit den kritischen Augen einer Vordenkerin an. Sie verstand nicht warum ich Parteimitglied wurde, warum ich für die Nazis spendete, warum ich in Hitler den Heilsbringer sah, Melissa liebte mich zwar, aber sie begann sich so ganz allmählich von mir abzuwenden. Ich für meinen Teil verstand selber auch nicht so ganz: Warum es plötzlich gerne gesehen wurde, dass man jüdische Geschäfte meiden sollte. Unser Schuster und Freund Herr Goldmann war auch nicht anders als wir, obwohl er Jude war, er war ein sehr fleißiger, freundlicher Mensch, der niemanden etwas zu leide getan hatte, dennoch galt er, aufgrund der politischen Entwicklung, von heut auf morgen als „Feind“, der die saubere deutsche Rasse, durch Vermischung mit seinem Blut - entweihen könnte. Häuser in denen Juden wohnten wurden mit dem Davidstern verunstaltet, Kaufhäuser wurden demoliert, all das passte mir eigentlich nicht, auch Carina fand das übertrieben und zum Davonlaufen. Wir behielten also unsere jüdischen Freunde - trotzdem, auch wenn der Blockwart uns immer wieder vor solchen Menschen, mit ihren blutschänderischen Absichten und eigentlichen Zielen warnte. Der Jude war plötzlich an allem Übel schuld, er wurde karikiert, geschlagen, gedemütigt und es lag die Vermutung nahe, dass man das Judentum gänzlich beseitigen wollte, eben aus den genannten Gründen. Ich muss zugeben, dass ich mehr als häufig die Augen verschloss, denn ich wollte der Wahrheit nicht ins Auge sehen, meine damalige Naivität ließ mir keinen Raum für eine objektive Einschätzung der Verhältnisse. Mir war es wichtiger, dass nun ein Mann wie Hitler endlich, und ein für alle Mal, zu Methoden griff die von Dauer waren, die Absicherung und einen Neubeginn verheißen sollten. Leni Riefenstahls Film, „Triumph des Willens“, welcher nach Hitlers Machtergreifung in ganz Deutschland gezeigt wurde, dieser Parteifilm brachte mich zu der Entscheidung, dass nun alles so war, wie es sein sollte. Deutschland befand sich in einem Aufbau, in einem radikalen Umbruch, man konnte die neue Zeit hautnah miterleben. Und wir, die so ziemlich von Anfang an dabei waren, wir jubelten begeistert mit, wann auch immer jemand

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