Reise - Begleitung. Jürgen H. Ruhr

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Reise - Begleitung - Jürgen H. Ruhr

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so musste sie spätestens jetzt wach werden. Ich war mir sicher: ihr war etwas passiert. Vielleicht im Schlaf erstickt. Oder von der Bettkante gerutscht und jetzt lag sie hilflos da, streckte dem Klopfer an der Tür hilfesuchend ihre Arme oder nur einen, wenn der andere gebrochen war, entgegen.

      Klingel und Klopfen wechselten sich jetzt ab. Dann hielt ich es nicht mehr aus: „Chrissi!“, schrie ich aus Leibeskräften, „mach die Tür auf. Ich bin es, Jonathan. Chrissi! Chrissi!“

      Die Tür öffnete sich nicht, dafür ging aber die von gegenüber auf und die alte Nachbarin stand dort. Beide Fäuste in die Hüften gestemmt, blökte sie mich an: „Sind sie wahnsinnig? Was brüllen sie denn so im Hausflur herum?“

      Ich drehte mich um. „Chris..., also Frau Weru öffnet nicht!“

      Jetzt tippte sich die Nachbarin an die Stirn. „Natürlich nicht, sie ist ja auch nicht zu Hause. Sie ist doch zu irgendwelchen Bekannten oder Verwandten gefahren.“ Dann musterte sie mich von oben bis unten: „Sie sind doch der Mieter über ihr - ihr Freund. Wissen sie denn nichts davon?“

      Ich schüttelte den Kopf und spürte, wie mein Gesicht rot wurde. Warum hatte mir Christine aber auch nichts davon erzählt? Ich klingelte noch einmal abschließend, dann ging ich achselzuckend zu meiner Wohnung. Die Nachbarin tippte sich erneut an die Stirn. Ob die sich nie Sorgen um jemanden machte? Dafür waren Freunde doch da.

      Und was fing ich jetzt mit dem angebrochenen Tag an? Es war noch nicht einmal Mittagszeit. Eigentlich müsste ich jetzt Holger Hewa beschatten. Ob ich vielleicht doch zum Schwimmbad fahren sollte? Ich könnte mich ja mit einem Schal und einer Mütze tarnen und so in das Bad gelangen. Rein private Observation. Dann aber erinnerte ich mich daran, dass HH ja angeblich keine Freundin hatte. Obwohl - HH, also Hansestadt Hamburg und das Rotlichtviertel ...

      Nach langem Hin und Her überlegte ich mir, einen Spaziergang zu machen. Bei dem herrlichen Wetter wollte ich hier nicht in der Wohnung herumhocken, das war einfach nicht meine Art. Ich erkor das Schloss Wickrath zu meinem Ziel aus. Dort könnte ich auch eine Kleinigkeit zu mir nehmen, vielleicht sogar frühstücken. Die Idee gefiel mir und so machte ich mich nur allzu bald auf den Weg. An Chrissis Tür schlich ich leise vorbei - um ja nicht wieder die Nachbarin auf mich aufmerksam zu machen - und verkniff mir, noch einmal zu klingeln.

      Die Sonne brannte und schon nach wenigen Metern bereute ich, keine Mütze angezogen zu haben. Oder einen Hut. Dabei bin ich nicht wirklich der Huttyp. Obwohl mir natürlich als Privatdetektiv so ein Schlapphut bestimmt gut zu Gesicht stehen würde. Ich beschloss, mir in den nächsten Tagen einen zuzulegen. Wenn sich die Gelegenheit ergab. Befand sich in Rheydt eigentlich ein Hutgeschäft? Oder bekam man so etwas auch im Kaufhaus? Nun, ich würde es herausfinden. Nicht umsonst war ich ja der Privatdetektiv Jonathan Lärpers. Und Personenschützer und Bodyguard und Kampfschullehrer und ...

      Die Plakate wiesen mir den Weg: ‚Knospen und Genussfest in Wickrath. Der Gewerbekreis lädt ein’ Dazu einige Fotos von glücklich grinsenden Menschen. Nun, das war doch etwas! Wo fand das statt? Ah ja, in der Innenstadt von Wickrath. Nicht mehr weit zu Fuß. Rasch änderte ich meine Pläne. Das Schloss lief mir nicht davon. Jetzt aber lockte das ‚Genussfest’ mehr. Allein schon der genüssliche Gedanke an ein ‚Genussfest’ weckte in mir den Wunsch auf Genuss. Ich durchquerte schnellen Schrittes den Schlosspark und landete kurze Zeit später auf dem Marktplatz. Die Menschen drängelten sich zwischen Ständen und Verkaufspavillons. An allen Ecken und Enden stand jemand und stopfte sich vor der vorbeiziehenden Menschenmenge Essen in den Mund. Ich lächelte. Hier kostete eine Mahlzeit im Stehen mehr als ein komplettes Essen in einem Restaurant. Wehmütig dachte ich an Curry - Erwin, der mir im Laufe der Jahre ein echter Freund geworden war. In seiner kleinen Frittenbude stimmten Preis und Leistung. Und natürlich der Service. Erwin hatte immer ein offenes Ohr und eine helfende Hand für mich.

      Die Gedanken an Erwins Fritten- und Wurstangebote ließen meinen Magen knurren und als ich plötzlich etwas mit Wurst und Fritten erblickte, beschloss ich mir ein kleines Essen zu gönnen. Mitten in der Einkaufsstraße befand sich nämlich ein winziger mobiler Verkaufsstand mit Pommes und Wurst. ‚Echte Berliner Currywurst’ stand da. Entgegen kam mir, dass noch kein einziger Kunde davor stand. So brauchte ich wenigstens nicht lange zu warten.

      „Einmal Currywurst, bitte“, orderte ich und suchte den Preis auf der kleinen Anschlagtafel. Auch der war in Ordnung. „Normal, scharf oder sehr scharf?“, fragte mich die Verkäuferin. Eine Frage, die sich bei einem Jonathan Lärpers doch eigentlich von selbst verbietet. Normal? Naja. Scharf? Hahaha. „Natürlich sehr scharf“, entschied ich und blickte die Verkäuferin lächelnd an. Eigentlich ganz nett, die Kleine.

      „Haben sie denn schon einmal ‚sehr scharf’ gegessen? Die ist nämlich ‚sehr scharf’, wirklich!“

      Machte sie sich jetzt Gedanken um mich? Natürlich hatte ich schon einmal sehr scharfe Currywurst gegessen. Curry - Erwin lachte dann immer, streute die doppelte bis dreifache Menge Currypulver über die Wurst und sagte regelmäßig: „Natürlich wieder sehr scharf, für den Spezialdetektiven Lärpers.“ Daran musste ich jetzt denken und lächelte in seliger Erinnerung.

      „Warum grinsen sie so? Haben sie denn wirklich schon einmal unsere ‚sehr scharfe’ Wurst gegessen?

      Ich winkte ab. Was sollte dieses Herumgerede; war ich der Kunde oder nicht? „Nun machen sie schon, bevor ich verhungere.“

      Sie nickte: „Pommes oder Brot dazu?“ - „Nein, danke, nur die Wurst.“ - „Ich würde aber Brot empfehlen.“

      Bald reichte es mir. Bekam ich nun endlich meine Wurst oder nicht? Aber die Verkäuferin schien nun verstanden zu haben und würzte. Ziemlich zurückhaltend, wie mir schien; Curry - Erwin war da großzügiger. Aber ich hielt mich mit Kritik zurück, sonst würde ich am Ende vielleicht nie meine Wurst bekommen. Endlich nahm ich die kleine Schale entgegen.

      „Wirklich kein Brot?“

      Ich hielt es nicht für notwendig, darauf zu antworten.

      Die ersten zwei Wurststücke schlang ich heißhungrig hinunter, beim dritten Stück lief es siedend heiß durch meinen Körper. Mein Mund brannte, mein Hals brannte. Der Magen rebellierte und vor Tränen erkannte ich alles nur noch verschwommen. Was war mit mir geschehen? Brannte die Wurst vielleicht? Hatte man mir brennendes Öl in den Rachen geschüttet?

      Lächelnd sah mich die Verkäuferin an: „Gut nicht? Und auch wirklich scharf. Aber das ist ja noch gar nichts. Wir verkaufen hier die Würste bis Schärfegrad vier, also so fünfzigtausend bis hunderttausend Scoville. In unserer Niederlassung in Berlin können sie Currywürste sogar mit bis über zwei Millionen Scoville kaufen.“ Sie lachte. „Aber die dürfen sie dann nur ab Achtzehn und auf eigene Gefahr essen.“ Sie blickte mich besorgt an. Es schien mir, als würden meine Augen aus dem Gesicht quellen.

      „Ist ihnen nicht gut? Sie haben doch gesagt, dass sie scharfes Essen gewohnt sind.“

      „Wasser“, krächzte ich, „Wasser.“

      Sie kramte eine Flasche mit Drehverschluss hervor. „Kalt oder warm?“, fragte sie dann und hielt die Flasche in für mich unerreichbare Ferne.

      „Egal, egal. Nur schnell“, meine Worte klangen wie ein einziges Hauchen. Die Schale mit der Wurst lag mittlerweile vor meinen Füßen am Boden. Beide Schuhe waren mit roter Currysoße bekleckert. Ich fächelte mir Luft zu und atmete hechelnd.

      „Wasser bitte.“ - „Also ich würde ja an ihrer Stelle lieber etwas Brot essen. Das lindert den Schmerz besser!“

      Ich schüttelte den Kopf: „Wasser, schnell.“

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