Willenbrecher. K.P. Hand

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Willenbrecher - K.P. Hand

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Tom hätte sie das nie zugeben, weshalb sie den Mund hielt.

      »Unsere Abteilung ist überladen, Fatima«, sagte Hermann beinahe entschuldigend zu ihr. »Wir kommen den ganzen Vermisstenfällen gar nicht mehr hinterher. Einen Fall muss ich euch überlassen.«

      »Um was geht es?«, fragte Tom mit seiner kindlichen Naivität. Ein Charakterzug, wegen dem Fatima ihm das ein oder andere Mal schon in die niedlichen Backen gekniffen hatte.

      Natürlich ging es um irgendwas, was sowohl ihr, wie auch Tom an die Nieren gehen würde ...

      »Kommt mit«, forderte Hermann auf.

      Wie Schäfchen ihrem Hirten, folgte sie ihm den Flur entlang.

      »Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen in meinen Augen, verschwand vor einigen Tagen spurlos«, erklärte er über die Schulter.

      Nichts Neues, leider, dachte Fatima.

      Am liebsten hätte sie den Fall sofort abgelehnt. Denn jeder Vermisste in den letzten Monaten war unauffindbar. Fatima wollte nicht, dass dies ihr erster ungelöster Fall wurde.

      »Ich weiß, was ihr jetzt denkt«, sagte Hermann seufzend. »Aber es gibt Abweichungen zu den anderen Fällen.« Er blieb an seiner Bürotür stehen und drehte sich zu ihnen um. »Das Mädchen passt nicht in die üblichen Opferbeschreibungen. Äußerlich schon, aber nicht ihre Lebensumstände. Es verschwanden bisher nur Personen, die keine Familie hatten. Es gab Niemand, der vorschnell nach ihnen suchen würde. Menschen mit Drogenhintergrund. Junkies. Alkoholsüchtige. Seelische Fracks! Doch diese junge Frau wohnte noch Zuhause bei ihrer Familie. Mutter, Vater und älterer Bruder. Ihr Bekanntenkreis ist klein, aber sie hat einen! Sie arbeitete zwar nicht, war aber auf Jobsuche. Sie betreibt eine kostenlose Kunst-Website. Ein kreatives, schüchternes Mädchen. Nie auffällig. Nimmt keine Drogen, geht nicht einmal feiern. Jedenfalls laut ihren Eltern.«

      Fatima runzelte die Stirn und wollte wissen: »Wie alt?«

      »Neunzehn Jahre jung«, antwortete ihr Chef und schüttelte traurig den Kopf. Er riss sich zusammen und berichtete: »Ihre Mutter rief schon in der Nacht an, als sie verschwand. Aber ihr kennt das ja. Wir können nicht nach einer volljährigen Frau die ganze Stadt absuchen, nur weil ihre ängstliche Mutter sich fragt, warum sie drei Stunden später nach Hause kommt.«

      Wenn sie es nur tun könnten, überlegte Fatima traurig. So viele Vermisste hätten gerettet werden können.

      »Nun, jetzt sind drei Tage vorbei und die junge Frau ist noch immer spurlos verschwunden. Laut ihren Eltern, die gerade in meinem Büro sitzen, war sie zu einem Vorstellungsgespräch bei einer Rechtsanwaltsfirma gefahren und danach nicht wieder aufgetaucht.«

      Tom sah bleich aus, als Fatima ihm einen Blick zuwarf.

      »Ich weiß, keiner von euch ist scharf auf einen Fall, der sich nicht aufklären lässt, aber diesmal haben wir eine Chance! Eine geringe, aber immerhin«, munterte Hermann sie auf. »Die anderen Entführten wurden erst nach Wochen, manche erst nach Monaten, als vermisst gemeldet. Das Verschwinden des Mädchens liegt erst wenige Tage zurück. Vielleicht haben der oder die Täter noch nicht alle Spuren beseitigen können.«

      »Und vielleicht kann sich diesmal jemand erinnern, irgendetwas gesehen zu haben«, stimmte Tom zu. »Wir sollten besser gleich an die Arbeit gehen.«

      »Genau.« Hermann nickte. »Also dann ...«

      Er öffnete die Tür und Fatima folgte ihm mit Tom.

      »Frau und Herr Lorenz?«, sprach Hermann das Ehepaar an, das vor seinem Schriebtisch saß.

      Die Frau weinte in ein Taschentuch, während ihr Mann ihr tröstend über den Rücken strich; er wirkte sehr verärgert. Aber wer konnte es ihm verübeln? Erst nach drei Tagen glaubte man ihm, dass seine Tochter verschleppt worden war.

      Der Mann war klein und stämmig, ebenso würde Fatima seine Frau beschrieben. Er hatte kurz geschorene, blonde Haare und seine aufgelöste Frau dunkelbraune, schulterlange Wellen. Ihre Haut war südländlich dunkel, während ihr Mann einen typisch deutschen Hautfarbton aufwies. Sie trugen beide legere Kleidung, Jeans, einfarbige Pullover und schwarze Wollmäntel. Ein durchschnittliches Paar. Nicht arm aber auch nicht wohlhabend. Entführung um eine Geldsumme erpressen zu wollen, konnte man also ausschließen.

      »Darf ich Ihnen Kommissarin Ünal und ihren Kollegen Kommissar Aab vorstellen?« Herman streckte den Arm nach Fatima aus.

      Fatima und Tom stellten sich in das Blickfeld der beiden. Die Frau sah nicht auf, der Mann nickte ihnen grimmig zu.

      »Die beiden werden die Ermittlungen leiten«, verkündete Hermann.

      Nun sah Frau Lorenz doch auf und blickte Fatima in die Augen. »Bitte«, flehte sie inständig, »bitte, finden Sie unsere Tochter.«

      Fatima wollte etwas erwidern, doch da versprach Tom schon: »Wir werden alles Erdenkliche tun, um Ihre Tochter zu finden. Sie haben mein Wort. Aber jetzt erzählen Sie und doch bitte erst einmal, was genau passiert ist.«

      »Wie oft sollen wir das denn noch erzählen?«, beschwerte sich Herr Lorenz.

      Fatima lehnte sich gegen Hermanns Schreibtisch und sagte: »Vielleicht ist Ihnen ja noch etwas eingefallen, was Sie meinem Vorgesetzten noch nicht erzählt haben.«

      Frau Lorenz begann alles noch einmal harrgenau zu erklären, während Ihr Mann nur ärgerlich den Kopf schüttelte.

      Fatima konnte es ihm nachfühlen, aber diese Prozedur war einfach wichtig. Es konnte nämlich wirklich sein, das ein wichtiges Detail vergessen wurde.

      Nachdem sie geendet hatte, fragte Tom: »Frau Lorenz, können Sie mir Name und Adresse der Firma nennen, bei der Ihre Tochter sich vorstellen wollte?«

      »Hier!« Herr Lorenz zog einen Zeitungsausschnitt aus seiner Manteltasche und reichte das zusammengefaltete Papier an Tom weiter. »Die Anzeige stand in der Zeitung, ich habe sie rot umkreist.«

      »Wir haben dort angerufen und gefragt, ob Mona dort gewesen war«, berichtete Frau Lorenz, musste aber abbrechen, als der nächste Weinkrampf sie schüttelte.

      »Der Sekretär musste erst in den Akten nachsehen, aber er bestätigte uns, das Mona bei dem Vorstellungsgespräch war«, erzählte der Vater weiter. »Er sagte, sie habe das Gebäude gegen Achtzehn Uhr verlassen.«

      »Als sie um Zwanzig Uhr nicht Zuhause war, machte ich mir Sorgen. Ich rief bei ihrem Freund an, aber dort war sie auch nicht«, erklärte Frau Lorenz.

      »Bei anderen Freunden war sie auch nicht zu finden«, berichtete der Vater.

      Fatima nahm sich einen Stift und einen Zettel vom Schreibtisch ihres Chefs. »Können Sie mir Telefonnummer, Adresse und den vollen Namen des Freundes ihrer Tochter nennen?«

      Frau Lorenz sah sie überrascht an, doch ihr Mann gab die Daten ohne zu zögern heraus.

      »Danke«, sagte Fatima knapp.

      »War es das dann jetzt? Suchen Sie jetzt endlich nach ihr?«

      »Ja, Herr Lorenz«, versprach Tom.

      »Dann würde ich meine Frau jetzt gerne erst einmal zurück nach Hause bringen.«

      Das

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