Die Dorfbrunners. Helmut Lauschke

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Die Dorfbrunners - Helmut Lauschke

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ohne weitere Verzögerung zu Ende brachte. Der Wirt ging hinter die Theke zurück, als Eckhard Hieronymus seiner Frau die Frage stellte, was wohl die Menschen denken werden, wenn sie den Pfarrer, der hier gerade seinen Dienst begonnen hat, mit dem Schnapsglas in der Hand oder vor dem Munde sehen, und das am Totensonntag. Luise Agnes sah das anders; sie erklärte die Schnapslage als eine wirksame Medizin an einem kalten regnerischen Spätherbsttag, die einer Erkältung mit ihren negativen Folgen vorbeuge. Der Wirt hatte die zwei Schnapsgläser gefüllt, kam und stellte sie auf den Tisch, erst der jungen Frau zur Rechten mit den Worten: „einen Schlesischen Mandelbitter für die gnädige Frau und ein Liegnitzer Hirschwasser für den Herrn Pfarrer.” Dann wünschte der Wirt ein freundliches Prosit. „Können wir die Bestellung aufgeben?“, fragte Luise Agnes. „Selbstverständlich gnädige Frau“, erwiderte der Wirt. Mann und Frau hatten sich bereits abgestimmt, so bestellte Eckhard Hieronymus zweimal Schweinskotelett mit Bratkartoffeln. Die Frage nach dem Gemüse, beantwortete der Wirt mit einem Lächeln, dass es Frischgemüse aus Bohnen, Möhren und Rotkohl sei, überzogen mit einer speziellen Käsesoße nach böhmischer Art. „Wäre es so recht?“, fragte er, um sich zu vergewissern. Luise Agnes nickte mit dem Kopf, der Wirt ging, öffnete die Tür neben der Theke und rief die Bestellung in die Küche, aus der ein aromatischer Fleischgeruch in die Gaststube drang. Eckhard Hieronymus blieb für mehr als eine Minute still. Luise Agnes sah seinem Gesicht und den müden Augen an, dass er in einer anderen Welt war. Sie wollte ihn an den Tisch zurückholen und ermuntern. So fragte sie ihn, ob er zufrieden sei mit dem, was abgelaufen war. „Mit dem Gottesdienst schon, mit dem, was danach kam, weniger“, erwiderte er und rieb sich mit den Zeigefingern über die Augen; worauf Luise Agnes, die sah, dass etwas nicht stimmte, sagte, dass er ihr zu Hause von dem Gespräch in der Sakristei doch berichten möge. Zwei Männer, denen die Haare beim einen ergraut, beim andern ausgefallen waren, betraten die Gaststube und setzten sich an den Fenstertisch. Einer von ihnen schob die kleine Messingplatte mit der schwarzen Aufschrift „reserviert“ mitsamt Ständer zur Seite. Auch sie hatte der Wirt beim Eintreten freundlich begrüßt, aber ein Schnäpschen auf Hauskosten zum Aufwärmen der Gemüter hatte er ihnen nicht angeboten. Es waren Herren, von denen sich Eckhard Hieronymus nur an den glatzköpfigen erinnerte, wie er nach dem Gottesdienst die Kirche verließ, weil er einer der wenigen war, die weder eine Miene zum Gruß verzogen, noch auf seinen Gruß reagierten. Der ältere Mann an der Theke, dessen Jacke vom Regen durchnässt war und der ganze Anzug die Merkmale der ungepflegten Schäbigkeit aufwies, ließ sich von Zeit zu Zeit das Gläschen nachfüllen, schaute unbeirrt auf die halbvollen Regale mit den Getränkeflaschen hinter der Theke und begann, in den Knien weich zu werden, die er mit zunehmender Mühe doch wieder nach hinten durchdrückte und für eine gewisse Zeit durchgedrückt hielt. Der Wirt, mit der feinen Nase, sah das Unglück vorher; er sah es Minuten früher, doch nicht auf die Sekunde genau. Er bot dem Stehgast an der Theke den Stuhl am dritten Tisch an, weil er an den kürzer werdenden Intervallen aus Erfahrung wusste, wann das Einknicken in den Knien komplett und die dazugehörige Person nicht mehr in der Lage sein würde, diese Scharniergelenke aus eigener Kraft nach hinten durchzudrücken. Der Stehgast lehnte das Angebot des Sitzenkönnens mit einer kratzenden Stimme und unberechtigten Empörung ab, blieb stehen und ließ sich das X-te Gläschen füllen. Dem Pfarrer und seiner Frau tat dieser abgleitende Mensch leid, der bereits ein Stadium angetrunken hatte, in dem er sich nicht mehr helfen lassen wollte. Die beiden schauten sich betroffen an, worauf Luise Agnes das Wort „Einsamkeit“ über den Tisch flüsterte und Eckhard Hieronymus sein Mitgefühl an der peinlich bedauernswerten Lage eines kurz vor dem Zusammenbruch Stehenden mit blassem Gesicht über den Tisch zurücknickte. Dann war es soweit. Der Wirt trat aus der Küchentür, strahlte schon den Gästen am Mitteltisch verheißungsvoll entgegen, hielt in beiden Händen die mit Schweinskoteletts, Bratkartoffeln und von einer Käsesoße nach böhmischer Art überzogenem Gemüse gefüllten Teller in Höhe der Bauchvorwölbung, als der Mann vor der Theke die Herrschaft über sich und seine Knie verlor, mit den Händen von der Theke dann wegrutschte, als er im Begriff war, das Schnapsglas, das noch nicht leer getrunken war, auf die Theke zurückzustellen. Das Glas schlug auf den Holzboden und rollte unter den Tischen bis zur Fensterwand. Der knieweich Betrunkene stürzte dem Wirt gegen Bauch und Schürze, dass diesem nach der Heftigkeit des Aufpralls, der ihn in der unvorhergesehenen Sekunde traf, beide Teller aus der Hand fielen und am Boden zerschellten. Der Mann von der Theke rutschte mit dem Kopf am Bauch des Wirtes runter, stürzte krachend zu Boden und röchelte; er lag auf und zwischen den Scherben und den bestellten Gerichten, was sich nun alles im Durcheinander auf dem Boden verteilte. Der Wirt war blass und schien für eine Sekunde die Fassung zu verlieren. Er verlor sie nicht, fasste sich in der zweiten Sekunde, ging mit blassem Gesicht an den mittleren Tisch und entschuldigte sich für den unvorhergesehenen Zwischenfall, der ihn in letzter Sekunde doch unerwartet getroffen hatte. Er versicherte den vollen Ersatz in kürzester Zeit, stieg über den am Boden Liegenden vor der Theke, öffnete die Küchentür und rief mit energischer Stimme: „Noch einmal dasselbe!“, worauf eine dunkelhaarige Frau der mittleren Größe, deren Alter schwer zu schätzen war, mit verschmierter Schürze durch die offene Küchentür in die Gaststube blickte und auf dem Boden die Bescherung mit Mann, Tellerscherben und den verstreuten Gerichten sah. Der Wirt machte sich mit den Männern vom Fenstertisch daran, den Liegenden in einen Nebenraum zu tragen, wo er seinen Rausch ausschlafen sollte. Der Wirt holte noch eine Wolldecke, jene graue Decke mit dem braunen Streifen, wie sie die Soldaten an der Front hatten, um den Stehgast von der Theke, der nun schnarchend im Nebenraum lag, zuzudecken. Nun spendierte der Wirt den Männern vom Fenstertisch, die jetzt an der Theke standen, einen Schnaps auf Kosten des Hauses, für jeden einen Doppelten, den ostpreußischen Bittermann für den Herrn mit der Glatze und für den Herrn mit den wenigen grauen Haaren einen Holstenkorn. Der Wirt hinter der Theke erlaubte sich ebenfalls einen Doppelten, und die drei stießen auf das gemeinsame Wohl an und leerten die Gläser in einem Zug. Die Küchenhilfe, ein Mädchen mit dunklen Haaren von etwa zwanzig, die auch die Tochter des Wirtes hätte sein können, fegte in der Zwischenzeit die Scherben und verschütteten Tellergerichte zusammen und säuberte den Boden mit einem nassen und dann einem ausgewrungenen Scheuerlappen.

      Eckhard Hieronymus, dem Luise Agnes eine leichte Nervosität anmerkte, weil er mit seinen Gedanken bei dem Gespräch mit den Leuten vom Konsistorium in der Sakristei war, schaute auf die Taschenuhr, ein Erbstück seines Großvaters, Gotthold Arnim Dorfbrunner, der als preußischer Amtsrat in der Bezirksverwaltung Breslau einen hohen Posten bekleidete und auf unerklärliche Weise, die Menschen sprachen von einem Herzversagen aufgrund der chronischen Überlastung, dann gestorben war, als der Enkelsohn am Schlussexamen angekommen war, aber die letzte Hürde noch nicht genommen hatte. „Es ist schon dreiviertelzwei“, bemerkte er leise und schaute durch die Gaststube, las auf einem kleinen Wandanschlag über der Tür zur Küche „Hansabier, das mögen wir“, fand aber keinen Punkt, wo er seinen Blick hätte aufhängen können. „Jetzt müssen wir Geduld haben“, sagte Luise Agnes. Der Satz tat seine Wirkung, denn nun hielt der Wirt wieder zwei Teller in den Händen, als er aus der Küche kam. Er schritt auf den Mitteltisch zu und stellte die Teller, auf denen die Bratkartoffeln noch dampften, zwischen die bereits ausgelegten Bestecke mit der Gabel auf der dreieckig gefalteten Papierserviette links und dem Messer rechts. „Ich wünsche ihnen einen guten Appetit.“ Der Wirt erkundigte sich nach den Getränkewünschen zum Essen und brachte zwei volle Gläser mit vom Fass gezapftem Hansabier nach. Es war ihre Sitte, vor dem Essen zu beten. Nun taten es der Pfarrer und seine Frau, ohne ein Wort zu sprechen, jeder für sich. Als wären sie eineiige Zwillinge, was sie nicht sein konnten, legte jeder seine rechte Hand über seine linke. Luise Agnes schloss für die kurze Andacht ihre Augen, doch Eckhard Hieronymus hielt sie offen, der hatte seine Augen am Vormittag des Totensonntags schon genug geschlossen, als er die Gebete in der Kirche sprach. Es schmeckte beiden, denn beide hatten einen großen Appetit. Das Hansabier vom Fass, auch das schmeckte zum Essen. Nun entspannten sich die Gesichtszüge des jungen Pfarrers, und die Nervosität wich der Zufriedenheit eines sich füllenden Magens. Denn auch in der Geistlichkeit spielen die Gaumendinge und Zustände des Magens eine so kleine Rolle nicht. „Sieh doch“, sagte Luise Agnes erregt, als sie über den Fenstertisch durchs Fenster auf die Straße blickte, „da geht doch Herr Braunfelder in Damenbegleitung.“ Eckhard Hieronymus drehte den Kopf zum Fenster und sah nur noch von hinten einen untersetzten Mann in schwarzem Mantel mit schwarzem Schirm auf der Straße gehen. Rechts von ihm ging eine Frau, die um einen halben Kopf

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