Die Dorfbrunners. Helmut Lauschke

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Die Dorfbrunners - Helmut Lauschke

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einer, der in der Außentür der Sakristei stand, während die beiden anderen Herrn draußen warteten, von einem Anfang sprach, der für alle schwer sein wird. „Dafür brauchen wir die Hilfe Gottes; wenn er uns nur erhören möchte!“ Dieser Herr mit dem ‘Gott Erhören möchte’ schloss hinter sich die Tür, dass nun Küster Krause und Pfarrer Eckhard Hieronymus Dorfbrunner unter sich in der Sakristei waren. Die Tür war noch nicht zu, da legte der Küster los: „Das haben Sie großartig gemacht. Die Menschen waren von ihrer Predigt ergriffen. Sie haben ihnen Mut gemacht, ihnen Grund zur Hoffnung und zum Selbstvertrauen gegeben. Herr Pfarrer, Sie haben nicht nur eine kräftige Stimme, die den letzten Winkel in der Kirche füllt; Sie sprechen Worte, aus denen, wenn ich es so sagen darf, die Urkraft kommt, die bis in die tiefsten Winkel der Herzen geht. Es war die beste Predigt, die ich in meiner Amtszeit als Küster, und das sind immerhin siebzehn Jahre, gehört habe. Wenn Sie so weitermachen, werden Sie jeden Sonntag eine volle Kirche haben. Wie Sie von den Reichen und den Armen gesprochen haben, es ging unter die Haut. Wie sagten Sie doch: es ist die Armut, die den Menschen das Kleid der menschlichen Würde und Scham zerreißt.“ „Das ist richtig“, sagte Eckhard Hieronymus. Küster Krause setzte seine Lobrede fort: „Dann der Satz von den Menschen aus den besseren Kreisen, die sauber gekleidet sind und genug zu essen haben, die das Gesicht der Leutseligkeit aufsetzen; an anderer Stelle sprechen Sie von der gelogenen Betretenheit, von den scheinheiligen Sprücheklopfern; oder ihre Worte vom großen Hirnareal des Verdrängens und Vergessenwollens, und die Spiegelgeschichte! Es hat mich gepackt.

      So klar und deutlich hat hier noch keiner gepredigt; ich will sagen, Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen, die Balken aus den Augen gezogen.“ „Nun ist es genug, Herr Krause“, unterbrach ihn Eckhard Hieronymus, der an seine wartende Frau dachte. „Ich will auch mit dem Lob aufhören. Aber verstehen Sie mich richtig, meine Worte kommen aus dem Herzen!“ „Vielen Dank!“ „Eines möchte ich aus meiner Erfahrung hinzufügen, Sie werden hier keinen leichten Stand haben, denn es gibt Menschen, die ihren Neid nicht beherrschen.“ Dabei nannte Küster Krause keinen Namen, auch wollte Eckhard Hieronymus Dorfbrunner keinen Namen wissen. Er streifte sich den Talar ab, hing ihn über den Bügel und zog sich die Jacke über den wollenen Pullover. Die handgeschriebenen Blätter mit dem Predigttext faltete er der Länge nach und schob sie in die Brusttasche. Sie verließen die Sakristei. Küster Krause verschloss die Tür und begleitete den Pfarrer über den Kirchplatz, wo Luise Agnes stand und wartete. Herr Krause begrüßte die junge Pfarrersfrau mit Frau Pfarrer und gab noch einmal eine kurze Reprise seines Lobes über die Predigt ihres Mannes. Ihr war kalt, und Eckhard Hieronymus beobachtete ein leichtes Zittern an ihr, das sie durch das lange Warten nicht zurückhalten konnte. Der Küster verabschiedete sich von dem Paar, und der Pfarrer nahm seine junge Frau am Arm. „Das hat ja lange gedauert“, sagte Luise Agnes, „ich hatte mich schon gefragt, ob ich vorausgehen soll. Dann dachte ich, doch zu warten, um den Heimweg nach deiner ersten Amtshandlung gemeinsam zu gehen.“ „Das ist lieb von dir, danke“, sagte Eckhard Hieronymus und drückte ihre Hand. Es war kalt, nicht viel über dem Gefrierpunkt. Der Nieselregen setzte ein, ein typischer Totensonntagsregen. Die Wolkenbank lag schwer über der Stadt, deckte sie mit einem grauen Schleier zu. Nur wenige Menschen waren auf den Straßen, die meist in ihre Hauseingänge verschwanden, oder aus den Häusern kamen, die Straße überquerten und in andere Häuser der kurzen Entfernung gingen. Das Pfarrerehepaar legte einen Schritt zu, um sich warmzulaufen. „Deine Predigt hat mir gut gefallen“, sagte Luise Agnes schnellen Schrittes, „auch wenn sie anders war als die geschriebene.“ „Ich weiß auch nicht, wie ich dazu gekommen bin, mich nicht an den geschriebenen Text zu halten“, erwiderte Eckhard Hieronymus, „der Paulustext stand hell vor meinen Augen; der aus sich heraus in meinem Kopf gearbeitet hat, was soviel wurde, dass ich es loswerden musste. Ich fühlte den Druck im Kopf und eine ungewöhnliche Wärme im Herzen. Die Notwendigkeit, ja auch das Verlangen, mich an das Manuskript zu halten, waren verflogen, ich bedurfte der geschriebenen Worte nicht. So sprach ich, wie mir der Schnabel gewachsen war, sprach aus dem Bauch heraus. Die Sätze kamen wie aus einem Quell, ohne dass ich nachdenken und die Sätze in eine rhetorische und satzbauliche Ordnung bringen musste. Das alles hatte mein tiefes Bewusstsein, das sich meinem Willen entzog, bereits getan. Ich musste mich nur darauf konzentrieren, und das war nicht einfach, mit dem Fluss, der von innen kam, Schritt zu halten und mit der Zunge nicht zu stolpern, damit es keine Stauung gab.“ „Nein, eine Stauung gab es nicht, deine Rede war frei und fließend, sie sprach in anschaulichen Bildern von den Menschen der Stadt, ihren Ängsten und Sorgen“, entgegnete Luise Agnes. Sie meinte, dass ihr das mit der Scheinheiligkeit, der gelogenen Betroffenheit, den Falschgesichtern und der Gier nach äußerem Reichtum zwar zugesagt habe; sie könne sich jedoch vorstellen, dass es die Menschen falsch verstehen, die es falsch verstehen wollen. Wenn es auch der Wahrheit entspricht, muss mit Reaktionen, besonders der Leute aus den besseren Kreisen, gerechnet werden, die abfällig, gemein und schädlich sein können. „Jetzt sprichst Du so wie Küster Krause, der meinte, dass ich einen schweren Stand bekommen werde, weil es Menschen gibt, die ihren Neid nicht beherrschen“, setzte Eckhard Hieronymus hinzu und fügte an: „Aber warum soll ich mir den Maulkorb umhängen, wenn mein Herz mir sagt, dass ich die Wahrheit sprechen soll und mich ermahnt, die Wahrheit auszusprechen. Paulus hat doch auch kein Blatt vor den Mund genommen, wenn er den Korinthern den Spiegel vor ihre Gesichter hielt, sie auf ihre Gier, Lüste und Sünden hinwies und sie zur Besserung und einem sittlichen Leben ermahnte. Der Apostel schreckte vor nichts, auch nicht vor den ärgsten Feinden und gemeinsten Verfolgern zurück, wenn es um die Wahrheit und die Botschaft des Herrn geht, um die Liebe, die aufbaut und zur Erkenntnis der Wahrheit führt.“ „Ich weiß, ich weiß!“, versuchte Luise Agnes ihren Mann auf dem wolkenüberhängten Heimweg mit dem feinen Trauerregen im Gedenken der Toten zu trösten.

      Sie gingen doch nicht gleich nach Hause, sondern kehrten in das Gasthaus, Zum Schlesischen Krug, ein, um dort das Mittagessen einzunehmen. Es war bereits ein Uhr mittags. Die kleine, von der Einschmelzung verschont gebliebene Glocke machte, wie eine hohe Kinderstimme, den Einuhrschlag, als die beiden die Speisekarte mit den aufgeführten drei Gerichten und ihre Preise aufmerksam studierten, die hinter einem verschlossenen Glasdeckel links neben der Gasthaustür ausgehängt war. Von den drei Tischen waren zwei frei, auf dem dritten, einem Fenstertisch, stand aufrecht eine kleine quadratische, in einen dunklen Holzständer eingedrückte Messingplatte mit der schwarz eingelassenen Aufschrift ‘reserviert’. Eckhard Hieronymus Dorfbrunner und seine junge Frau wurden vom Wirt mit Bauch und blauer Schürze freundlich begrüßt, obwohl sie das erste Mal in das Gasthaus einkehrten und dem Wirt vorher nicht begegnet waren. Der Wirt mit der feinen Nase, wie sie allen Wirten zugeschrieben wird, wusste, um wen es sich bei den Mittagsgästen handelte, und sprach sie, als Eckhard Hieronymus noch die Außenklinke in der Hand hatte, mit „Guten Tag Herr Pfarrer!, guten Tag gnädige Frau!“ an. Sie setzten sich an den mittleren Tisch, der dem Fenstertisch am nächsten stand. An der alten Holztheke stand ein älterer Mann, an dessen dunklem Anzug der Hauch von Schäbigkeit haftete, und vor sich ein Schnapsglas stehen hatte, das er in regelmäßigen Abständen zum Mund führte und nachfüllen ließ. Die beiden am Tisch verschafften sich die erste Orientierung. Der Wirt, ein Herr in den mittleren Jahren, mit langem Backenbart und großen Ohren, trat an den Tisch. Er lächelte den Gästen ins Gesicht, erst der jungen Frau, dann dem jungen Herrn Pfarrer. Er wollte die Gäste, und noch mehr ihr Kommen, ehren und bot ihnen ein Willkommens-Schnäpschen zum, wie er sagte, Aufwärmen der Gemüter an. Dabei ließ er nicht ungesagt, dass diese Runde ein Geschenk des Hauses sei und auf seine Kosten gehe. Während die beiden sich, ob verblüfft oder erschrocken ansahen, sei dahingestellt, über das Prinzip des alkoholischen Genusses nachzudenken begannen, offerierte der Wirt mit den entsprechenden Erklärungen die verschiedenen Marken und Geschmacksrichtungen, vom Holstenkorn, über den ostpreußischen Bittermann bis zum schlesischen Mandelbitter und Liegnitzer Hirschwasser. „Warum nicht“, meinte Luise Agnes, die sich Hände und Wangen warm rieb, „ich könnte schon einen Aufwärmer gebrauchen“, und mit Blick auf ihren, noch unentschlossenen Mann, „das kommt ja nicht jeden Tag vor.“ „Da darf ich ihnen den Schlesischen Mandelbitter empfehlen; der hat ein erfrischendes Aroma und ist nicht zu stark“, schlug der Wirt vor. „Gut, dann will ich den Mandelbitter probieren“, erwiderte Luise Agnes. „Sehr wohl, gnädige Frau, der wird ihnen gut tun!“ Der Wirt wandte sich dem Herrn zu: „Und ihnen, Herr Pfarrer, wenn ich einen Vorschlag machen darf, würde ich das Liegnitzer

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