Final - Tanz. Jürgen Ruhr
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„Sofort gnädige Frau. Darf ich sie etwas fragen?“
„Das haben sie doch gerade schon. Aber fragen sie, fragen sie.“
Ich reichte ihr das Glas, das sie in einem Zug leerte. „Unterrichten sie noch? Hier in der Tanzschule?“
Sie hielt mir das Glas hin. „Bitte füllen sie noch einmal nach, junger Mann. Was sie für merkwürdige Fragen stellen ... Natürlich unterrichte ich noch. Warum denn nicht? Haben sie eigentlich jemals tanzen gelernt, die Leidenschaft empfunden, die ein Tango in ihnen entfachen kann? Oder ihre Partnerin liebevoll beim Rumba im Rhythmus geführt? Leider hat die Jugend ja heute ganz andere Dinge im Kopf, aber es gibt sie noch: die Tänzer mit Herzblut. Schauen sie.“ Madame Routon machte einige Tanzschritte rückwärts, drehte sich und stieß mit Sergio zusammen, der gerade in großen Sprüngen vor dem Spiegel hin und her hetzte. Klirrend fiel das Glas zu Boden und Sergio quiekte entsetzt auf.
„Herrgöttchen, Madame! Sie bringen uns ja beide um. Sie müssen sich aber von der Bühne fernhalten, sonst breche ich die Veranstaltung ab.“
Etwas Besseres hätte mir kaum passieren können.
Birgit, hilfsbereit wie immer, sammelte die großen Scherben ein und fragte dann Madame Routon etwas, das ich aber nicht verstehen konnte. Die Madame verließ den Raum und kam kurze Zeit später mit einem Eimer, Lappen und Handfeger samt Kehrblech wieder zurück.
„Geben sie mir ein neues Glas“, forderte sie mich auf, dann wandte Madame sich an Birgit: „Danke Kind. Sie können gleich die Zuschauer einlassen, aber überprüfen sie die Eintrittskarten. Wer keine vorweisen kann, muss mit Bargeld bezahlen. Hundertzwanzig Euro, merken sie sich das!“
Sergio überprüfte derweil die Unglücksstelle auf Glassplitter, schien aber mit Birgits Reinigungsarbeiten zufrieden zu sein. Schließlich trippelte er vor dem Spiegel wieder auf und ab.
Als die ersten Zuschauer in den Raum strömten, regelte Madame Routon die Lautstärke der Musikanlage herunter und ließ sich von mir ein Glas Sekt einschenken. Sergio zog sich derweil diskret in den Nebenraum zurück, bis zu seinem großen Auftritt dauerte es nicht mehr allzu lange.
Nach und nach nahmen exakt neun Personen auf den Klappstühlen Platz. Ich hoffte, dass Sergio bald mit seinem Tanz beginnen würde und nicht doch noch jemand verspätet eintrudelte. Bis jetzt wäre ich der Sieger unserer kleinen Wette.
Jekaterina Krynow blickte auf ihre Armbanduhr und trat die Zigarette mit einem Fuß aus. Dann stellte sie sich vor den Spiegel und klatschte in die Hände. Als Ruhe eintrat, begrüßte sie die Zuschauer: „Herzlich Willkommen, meine Damen und Herren. Ich freue mich, sie zu unserer Veranstaltung ‚Tanz des Flamingos‘ so zahlreich begrüßen zu dürfen. Ich kann ihnen versprechen, dass sie einer außergewöhnlichen Darbietung beiwohnen werden. Der große Künstler Sergio Palyska hat für dieses besondere Ereignis auf die Verlängerung seines Vertrages an der Deutschen Oper am Rhein verzichtet, um sich einen Jugendtraum erfüllen zu können. Sergio Palyska wurde als Sohn georgischer Auswanderer am zweiundzwanzigsten Februar Neunzehnhundertvierundachtzig in Münster geboren. Schon als Kind begeisterte er sich für den Tanz und damit verbundene Ausdrucksformen. Dank einem Freund der Familie, der sein Talent erkannte und ihn förderte, erhielt Sergio schon mit drei Jahren Tanzunterricht und wechselte mit sechs Jahren an die Ballettschule der Deutschen Oper am Rhein. Sergio erlernte den Tanz unter dem berühmten Ballettdirektor Neyusa Restabrunya.“
Irgendwie kam mir der Text bekannt vor. Da sie deutsch sprach, fragte ich mich, ob die Zuschauer sie überhaupt verstehen konnten. Ich betrachtete die Leute und versuchte aus ihrer Mimik etwas zu erkennen. Es handelte sich um durchweg ältere Menschen, wobei die Frauen eindeutig in der Mehrzahl waren. Ein ziemlich korpulenter Mann mit Glatze popelte ungeniert in der Nase und betrachtete dann seinen Fund ausgiebig.
Jeka fuhr fort und kam zum Ende ihrer Rede: „Und jetzt ist er hier bei ihnen: Sergio Palyska. Der König der Körperbeherrschung, der Meister des Tanzes, der Star der Deutschen Oper am Rhein. Sergio Palyska.“
Sie eilte zu dem Plattenspieler und drehte die Lautstärke des Gerätes wieder hoch. Das nervtötende Flötengedudel erklang und Sergio sprang vor den Spiegel. Er verbeugte sich kurz, dann begann er mit seinem ‚Tanz des Flamingos‘.
Birgit gesellte sich wieder zu mir und ich zeigte lächelnd auf die Zuschauer. „Die Wette habe dann wohl ich gewonnen.“
„Warten wir ab“, entgegnete sie. „Vielleicht verirrt sich ja noch jemand hierhin. Oder ein Pärchen, dann sieht es schon ganz anders aus. Traurig ist nur, dass nicht einer der Leute dort seine Karte gekauft hatte. Ich habe nur Freikarten zu sehen bekommen.“
„Dann bin ich ja mal gespannt, wie es in London sein wird. Ich glaube, was Sergio hier macht ist eigentlich mehr eine Urlaubsreise mit Alibifunktion.“
Birgit überlegte. „Tja, vielleicht hast du ja Recht. Es sieht nicht so aus, als hätte seine Frau das Ganze ernsthaft geplant. Ich bin gespannt, welche Überraschungen diese ‚Tournee‘ noch für uns bereithält.“
Ich wollte meiner Kollegin gerade zustimmen, als vier maskierte Männer in den Saal stürmten. Sie hielten Pistolen in den Händen, die ich unschwer als russische Makarow IZ-70 identifizierte. Die Zuschauer kreischten laut auf und Sergio, der sich mitten im Sprung verwirrt umsah, prallte gegen den Spiegel und fiel zu Boden.
Die Männer handelten blitzschnell und es war zu erkennen, dass sie sich genauestens abgesprochen hatten. Meine Hand zuckte zum Schulterhalfter, dann erinnerte ich mich daran, dass wir ja unbewaffnet waren. Ein Mann zielte mit seiner Pistole auf die Zuschauer, der andere wandte sich Sergio zu. Zwei Männer kamen auf Birgit und mich zu und zielten dabei mit den Pistolen direkt auf unsere Köpfe. „Auf Boden, sofort“, befahl einer in schlechtem Deutsch. Dem Akzent nach musste es sich um russische Männer handeln, oder zumindest kamen sie aus Osteuropa. Rumänen, Bulgaren oder Polen. Mein Gefühl sagte mir aber, dass es sich hier um Russen handelte. „Los, dawai, dawai!“ Ich blickte in die Mündung der Waffe. Die Männer blieben in einem Abstand stehen, der es uns unmöglich machte, sie anzugreifen, bevor sie schießen konnten. Birgit und ich legten uns nebeneinander auf den Boden.
„Verdammte Scheiße“, zischte sie. „Das ist jetzt gar nicht lustig.“
„Sprechen nicht!“, herrschte uns einer der Männer an.
Der ganze Spuk dauerte nicht länger als zwei Minuten, dann waren die Gangster wieder verschwunden. Und mit ihnen Sergio.
Im Tanzsaal herrschte ein heilloses Chaos, Madame Routon war auf einem der Klappsessel zitternd zusammengesunken und weinte haltlos. Die neun Zuschauer drängten zum Ausgang, rempelten einander an und jeder wollte der erste sein, der das Haus verließ. Obwohl jetzt ja keine Gefahr mehr bestand. Jeka Krynow stand kreidebleich neben dem Schallplattenspieler und blickte auf einen Zettel in ihrer Hand.
Ich trat zu ihr. „Was haben sie da?“, fragte ich und sie reichte mir den Zettel. Ich überflog die Sätze, die in krakeliger Handschrift darauf standen. In schlechtem Deutsch forderten die Entführer ein Lösegeld von zwei Millionen Dollar. Und keine Polizei, sonst wäre Sergio tot.
Das Geld sollte bis zwölf Uhr am folgenden Tag zur Verfügung stehen. Man würde Jeka bei Zeiten auf ihrem Handy anrufen.
„Verdammt, es war ihre Aufgabe Sergio zu beschützen“, schrie sie mich hysterisch an. „Das alles ist nur ihre Schuld! Dafür mache ich sie verantwortlich, ich werde sie verklagen!“
Ich