Alvine Hoheloh. Amalia Frey

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Alvine Hoheloh - Amalia Frey Alvine Hoheloh - Blaustrumpf

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Zeit zog ins Land, zwei Kaiser hatte das Volk zu Grabe getragen. Ein halbes Jahr nach dem Abtritt des eisernen Kanzlers gebar Dorothea im Hause ihrer Eltern ein dünnes Mädchen, mit dunklem dichten Haupthaar, Haut, deren helles Braun einen Roséstich trug, und mit grotesk langwirkenden Fingern und Beinen. Der schusslige Provinzstandesbeamte mit der gedrungenen Schrift schrieb in die Geburtsurkunde:

      

       Alvine Friederike Hoheloh

      Erst sahen sich die stolzen Eltern um den zweiten Haken zum W betrogen, aber dann fanden sie das V doch sehr hübsch, zumal der Name ihrer Tochter in seiner Originalform schändlich in Mode gekommen war.

      Familie Hoheloh zog mit der ersehnten Prinzessin in ein neues hochherrschaftliches Anwesen im reichen Westen der großen Stadt. Ihr Reichtum und Erfolg waren unermesslich und sie gehörten längst zu den angesehensten Dynastien weit und breit.

      Diese großbürgerliche Tochter – das war seit ihrer Geburt sicher – würde eine Rekordmitgift in eine Ehe bringen.

      

      Aufeinandertreffen

      Mai 1910: Die Worte ihrer geliebten Gönnerin klangen in Alvines Ohren nach, als sie das Café verließ: »Wie schade, ich hätte Sie so gerne studieren gesehen.«

      Sie umklammerte die gelbe Broschüre fester, es sollte ihr letztes Andenken an ihr großes Vorbild sein. Zum Glück hatten sie sich nicht im Bösen getrennt, sogar Albernheiten ausgetauscht und dann hatte sie ihr eine Widmung in ihr Werk hineingeschrieben. Es würde nun ihr Talisman sein: das Buch jener Dame, die hohe Bildung für Frauen in diesem Land möglich gemacht hatte. Wegen ihr eroberten seit zwei Jahren zwar noch wenige, aber dafür sehr vorbildliche Studentinnen die Fakultäten, und ihre guten Noten ließen die männlichen Kommilitonen erblassen.

      Es war zu spüren – ein neuer Wind wehte. Jeder Frau sollte bald das Recht zugesprochen werden, zu entscheiden. Ob sie ihre traditionelle Rolle bekleiden, also unter dem Schutz des männlichen Familienoberhauptes ihre Selbstverantwortung abgeben, oder ob sie mit den Männern Seite an Seite die wirtschaftlichen und politischen Vorgänge des Reiches mitbestimmen wollte.

      Alvine Hoheloh war ein Blaustrumpf. Was ursprünglich als ein abwertender Begriff für ihresgleichen gelten sollte, hatte sie sich zu eigen gemacht. Sie trug blaue Strümpfe und hatte vor, sehr großen merkantilen Erfolg zu erlangen.

      Ihre Gönnerin wusste um die Natur der jungen Kämpferin und hatte ihr ihr vollstes Vertrauen ausgesprochen, all dies zu erreichen, auch ohne ein ökonomisches Fach zu studieren. Dies in ihrem Herzen zu wissen, bekräftigte sie einmal mehr.

      Alvine atmete tief durch und betrat die Straße. Kaum dass sie einige Schritte gelaufen war, meldeten sich die monatlichen Krämpfe von Neuem, was ihre ohnehin schmal gesäte Geduld noch mehr strapazierte. Die Sonne knallte ihr auf den dunklen Schopf, doch sie mochte den riesigen Hut nicht aufsetzen, der ihr von ihrem Vater mitgegeben wurde.

      Alfred Hohelohs Haarwuchs war dünn und so vermochte er zeit seines Lebens nicht nachzuvollziehen, dass seiner Tochter die üppig gewachsene Lockenmähne schon schwer genug wog – noch dazu, wenn sie diese hochsteckte.

      Zwei Damen, ausladend behütet und mit Sonnenschirm, passierten sie und brachen sogleich in aufgeregtes Getuschel aus. Etwa wegen ihrer lohbraunen Haut? Als wäre sie die einzige feine Person, die von Natur aus mit einem dunkleren Teint gesegnet war! Doch ihr ging auf, dass sie sich wohl sich über das lachsfarbene Kleid mit dem Glockenrock und der kleinen Schleppe lustig machten, weil es aus der letzten Saison war. Sie hingegen wirkten in ihren modisch aktuellen Humpelröcken wie Enten!

      Alvine drehte sich zu ihnen um, die sich gerade selbst nach ihr umsahen, und flötete zuckersüß in ihre überraschten Gesichter: »Watschelt eurer eigenen Wege!«

      Eine Droschke brachte sie zur voll befahrenen Friedrichstraße, von wo aus sie das letzte Stück zu Fuß ging, um im dichten Stau der Fahrzeuge nicht ausharren zu müssen. Im Menschengewühl Unter den Linden spürte sie die ordinären Blicke und groben Zoten, die ein Fräulein auf sich zog, wenn es allein unterwegs war. Ihr Magen rebellierte vor Ärger und das verschlimmerte die Unterleibskrämpfe. Sie fragte sich unweigerlich, ob sie wohl mehr oder weniger belästigt werden würde, entspräche ihr Aussehen dem gängigen Schönheitsideal.

      Würde dieses teure Kleid von einer Blondine mit roséfarbener Haut getragen, deren üppige Form durch ein raffiniertes Korsett bestens betont wäre, würde man ihr ehrerbietig begegnen? Vor allem Männer zollten ihr erst Respekt, vielmehr entwickelten sie ein fast romantisches Interesse, sobald sie ihren Namen und von dem damit verbundenen Erbe erfuhren.

      Alvine war darin geübt, trotz ihrer Schmerzen, ein festes Gesicht zu machen und Unflätigkeiten an sich abprallen zu lassen. Sie trug auch heute ihre Nase demonstrativ so hoch, dass kaum einer der Männer sich ernstlich erdreistete, penetrant zu werden.

      Einmal streifte eine Hand fühlbar ihre Hüfte und sogleich trat und traf sie in die richtige Richtung: Ein gedämpftes Japsen erklang, der Stimme nach gehörte es einem von den lüsternen Alten, und Alvine drängelte sich zufrieden davon.

      Wüsste ihr Vater um seine sich bewahrheitete Prophezeiung, würde er ihr sofort wieder verbieten, ohne Gesellschaft das Haus zu verlassen. Ihr war diese lieb gewonnene kleine Freiheit jedoch so teuer, dass sie ihm um nichts auf der Welt davon erzählt hätte. Und Belästigungen mit unauffälligen Tritten und Zwicke zu begegnen, darin war sie geübt, schon bevor sie auf ihrem ersten Ball eine für sie gefährliche Situation hatte abwenden müssen.

      Das Kronprinzenufer erstreckte sich vor ihr, und während sie am Fluss entlangspazierte, erwischte sie eine luftige Brise. Sie genoss den frischen Luftzug, der nur bedingt durch all die Stoffschichten, die ihren Körper bedeckten, drang.

      Als sie die Augen öffnete, erblickte sie die leuchtend rote Haarpracht ihrer besten Freundin, die auf einer Bank saß.

      »Emmi!«

      Wilhelmina Wändler sah von ihrem Buch auf und lächelte sogleich hocherfreut. Sie trug ein – für ihre Verhältnisse – sehr mädchenhaftes Sommerkleid und keinen Hut auf dem Kopf, was gewiss Gift für ihre Haut war. Alvine gehörte jedoch nicht zu diesen Damen, die ihresgleichen gängelten. Wenn Emmi sich verbrennen wollte, so war es allein ihre Entscheidung.

      »Wie hast du dich heute davon gestohlen?«, fragte Alvine, auf einen weiteren Gruß verzichtend und setze sich zu ihr.

      »Ach, der alte Rupprecht«, antwortete die Gefragte abwinkend, »der gibt sich gar keine Mühe mehr, mich aufzuhalten.«

      Alvine nickte wissend.

      Als die beiden Mädchen vierzehn gewesen waren, besuchten sie dasselbe Mädchenpensionat und entdeckten bald schon die tiefe Zuneigung und Verbundenheit zueinander. Während die anderen höheren Töchter Taschentücher bestickten oder sich um einen wohlklingenden Sopran bemühten, ritten Emmi und »Winnie« hosentragend alle Pferde des Stalls müde oder ersannen Theaterstücke, die oftmals an der Grenze des guten Geschmacks einer Dame endeten. Alvine übernahm stets die Rolle eines männlichen Helden. Ihre vollen Locken wurden unter Musketierhüten versteckt oder gar festgeflochten und von ihrem Hemd verdeckt. Da sie von jeher sehr schlank und für ihr Alter groß gewesen war, wirkte es auch auf niemanden befremdlich.

      Nur als sie mit fast 17 Jahren aus den Sommerferien zurückkehrte und ihr elfengleiche Rundungen gewachsen

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