Kirche im freien Fall. Cristina Fabry

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Kirche im freien Fall - Cristina Fabry

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Jugend eine Aneinanderreihung von Vollrausch, schnellen Autobahnfahrten, noch schnellerem Sex, Fußballspielen und Science-Fiction-Filmen verstanden. Alles laut und ungestüm wie junge Hunde. So verhielten sie sich auch sonst: kläfften sich gegenseitig an, mussten ständig ausramboen, wer der Chef des Rudels war, pissten an jeden Baum oder markierten ihr Revier mit Kritzeleien an Möbeln. Jan-Olaf tat sich das mit der Bundeswehr nur seinem Vater zuliebe an – einem Offizier aus tiefster Überzeugung. Hätte er den Wehrdienst verweigert, hätte er das Lebenswerk seines Vaters damit zur unzeitgemäßen Sinnlosigkeit erklärt. Auf die Gefühle seines alten Herrn hatte er Rücksicht genommen, dafür hatte es ihn seine letzte Freundin gekostet. Kerstin hatte erklärt, sie könne als überzeugte Pazifistin nicht mit einem Soldaten zusammen sein. Er hatte das zutiefst bedauert und die Trennung von Carla einen Moment lang bereut. Aber dann erinnerte er sich wieder an Carlas Besserwisserei, ihre Humorlosigkeit, ihr elitäres Gebaren. Vielleicht war Kerstin nur in sein Leben getreten, damit er sich von Carla lösen konnte. Jetzt war er frei und alle Türen standen offen.

      Wenn die Jungs in seiner Stube nur nicht so unendlich blöd gewesen wären. Der Neue war ganz nett. Hatte sich hierher versetzen lassen, weil seine Freundin in Frankfurt studierte. Lutz hieß er, hörte gute Musik, las interessante Bücher und berichtete von tollen Reisen. Über Politik machte er sich auch Gedanken, nur religiös war er nicht, aber ein deutlicher Abstand zu Carlas Frömmigkeit und Kerstins unbeugsamer Selbstgerechtigkeit tat ihm gut. Als beide gleichzeitig Urlaub hatten, unternahmen sie eine Rucksacktour nach Portugal. Nachts unter den Sternen und im Angesicht der tosenden atlantischen Brandung öffnete Lutz sein Herz. Es gab keine Freundin in Frankfurt, auch sonst nirgends, es gab nie eine und würde nie eine geben. Er hatte sich versetzen lassen, weil er an seinem vorherigen Ausbildungsort gemobbt und verprügelt worden war. Nicht nur die Kameraden hatten ihm das Leben schwer gemacht, vor allem die Vorgesetzten, denn einige in der Kaserne kannten Lutz seit der Grundschule und wussten längst, dass er Männer liebte. Beim Bund sah man das nicht gern; schon gar nicht Ende der Achtziger. Und nun konnte Lutz nicht länger verschweigen, dass Jan-Olaf ihm das Herz genommen hatte und dass er das Gefühl hatte, er erwidere seine Gefühle.

      Das tat Jan-Olaf nicht. Aber er war zu anständig, um Lutz brüsk vor den Kopf zu stoßen. „Tut mir leid.“, erwiderte er, „Du bist echt mein bester Freund da in der Kaserne, aber ich liebe Frauen. Mit Männern kann ich das nicht.“

      Lutz zog seufzend die Schultern hoch und ließ sie beim geräuschvollen Ausatmen resigniert fallen.

      Nach dem Urlaub war es zwischen ihnen nie wieder so vertraut und unbefangen.

      3. Lutz brachte den Rest der Bundeswehrzeit unbeschadet hinter sich. Jan-Olaf, der Offizierssohn, schützte ihn. Danach verlor er ihn aus den Augen, auch weil er die Provinz mehr als satt hatte und darum nach Berlin ging, wo es so viel mehr Möglichkeiten gab. Er studierte Wirtschaftswissenschaften, zog in den Wedding und fing endlich an zu leben. Nach zwei Jahren hatte er das Karussell aus Uni, Party, Sex und Drogen gründlich satt, sehnte sich plötzlich nach Ruhe, Solidarität und einer privaten Perspektive. In dieser Zeit lernte er Malte kennen. Klarer Fall von Klemmschwester. Malte gab sich als Hete aus, lebte mit Friederike zusammen, beide studierten Kunstgeschichte und lebten in einer WG mit Lutz' Kommilitonen Jörg und Janine. Die beiden waren total lustig und Malte hatte es auch faustdick hinter den Ohren, darum verstand Lutz auch nicht, was er an der zart besaiteten Friederike fand, die zwar ein hübsches Gesicht und eine grazile Figur hatte, aber immer alles schrecklich ernst nahm und auf die Goldwaage legte, ständig beleidigt war und täglich versuchte, in ihrer WG ein biodynamisches Terrorregime zu errichten.

      Es dauerte nicht einmal ein halbes Jahr, da zog er mit Malte zusammen. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte sich alles gut und richtig an. Hätte er Malte einer liebenswerten Person mit Kontaktschwierigkeiten ausgespannt, hätte er vielleicht ein schlechtes Gewissen gehabt, aber nicht gegenüber der unsäglichen Friederike. Heimlich nannte er sie immer F-F-F-Friederike, die frierende, friedensverachtende, frigide Friederike, weil sie ständig in ultradicken Strickpullis durch die Wohnung schlich und sich blass und hohlwangig bei fröstelnd hochgezogenen Schultern über die Oberarme strich, mit jedem Schritt und jedem Wort Zwietracht säte, sich beklagte, stichelte, lästerte und dabei so schmallippig, blutleer und leidenschaftslos im Weg herumstand wie ein ungeliebtes Erbmöbelstück, das mehr Rechte besitzt als sein gegenwärtiger Eigentümer, ein Bleiberecht über Generationen trotz minimalsten praktischen oder ästhetischen Nutzens.

      Er hatte Malte aus der Hölle geholt und ans Licht gehoben, das tat ihm nicht Leid. F-F-F-Friederike würde schon jemand Neues finden und wenn nicht, umso besser für die Menschheit.

      4. Es war kaum zu ertragen, die Wohnung mit einem glücklichen Paar zu teilen, wenn man selbst gerade verlassen worden war. Janines hysterische Lustschreie waren ihr schon vorher auf die Nerven gegangen. Für dieses demonstrative Hört-alle-her- ich-habe-Sex-und-zwar-richtig hatte Friederike nur Verachtung übrig. Wie gut, dass schon bald das Auslandssemester in Pisa anstand. In der Zwischenzeit würde ein Erasmus-Student in ihr Zimmer ziehen – oder vielleicht auch zuerst in Maltes altes Zimmer, noch zahlte er die Miete, da Lutz ihn kostenlos bei sich unterbrachte, bis sie etwas Größeres für ihre gemeinsame Zukunft gefunden hatten.

      Ein paar Wochen später rollte Friederike im österreichischen Sechserabteil durch die Alpen, bewunderte die gigantischen Bergmassive mit den weißen Gipfeln, die satten grünen Almwiesen, die idyllischen Holzhütten an steilen Hängen und wurde das Gefühl nicht los, keine Luft zu bekommen. Wenn sie in dieser verdichteten, düsteren, beengten Berglandschaft leben müsste, würde sie ersticken. Sogar als sie den Brennerpass überquert hatte und sich links und rechts die Obstplantagen erstreckten, empfand sie sich als Flüchtende, als seien die Berge selbst ihre Bedränger, die einfach nicht von ihr abließen, sie bis nach Italien verfolgten und ihr die Luft zum Atmen nahmen.

      Nach Verona wurde es besser und als sie endlich in den weichen Hügeln der Toskana ankam, empfand sie nichts als Vorfreude und uneingeschränkte Zustimmung.

      Es dauerte etwa eine Woche, bis sie angeregte Gespräche führen konnte, aber als sie das endlich geschafft hatte, war sie ein anderer Mensch. Zwischen den Lehrveranstaltungen und abends in den Bars gab es überall Gespräche, und den deutschen Erasmus-Studierenden ging sie konsequent aus dem Weg, jetzt war sie in Pisa, wollte eins werden mit der italienischen Lebensweise, die Sprache lernen, aufgehen in der toskanischen Campus-Gemeinde.

      Ihr Vorhaben gelang. Und nicht nur das: über Weihnachten hatte sie der lebenslustigste Kommilitone von allen zu seiner Familie nach Belforte all'Isauro, einem winzigen Nest in den Marken eingeladen. Sie unternahmen lange Spaziergänge durch schneebedeckte Hügel und weiß glitzernde Wälder, aßen Fagiano arrosto, die Vögel hatte der Großvater selbst geschossen und auch wenn die örtlichen Konventionen eine gemeinsame Zeit im Bett von Unverheirateten verbaten, passierte es irgendwann im größten Tohuwabohu, als Gennaro sie heimlich ins Gästezimmer entführte und damit anfing, seinen weichen Mund in die warme Grube zwischen Hals und Schulter zu drücken. Es waren nur Küsse und ein Augenblick intensivster Körperkontakt, aber aufregender als jeder nackte Sex, den sie bisher erlebt hatte. Sie mussten nichts überstürzen, sie würden in drei Tagen nach Pisa zurückkehren und alles nachholen, was sie bisher versäumt hatten.

      Als das Semester im Februar zu Ende ging, hatten sie alles geregelt und Gennaro begleitete Friederike nach Berlin – zunächst für ein Auslandssemester, aber das Leben meinte es gut mit ihnen, es würde wohl mehr daraus.

      5. Auch nach drei Monaten war es Gennaro nicht gelungen, Berlin liebenswert zu finden: zu rüde die Umgangsformen, zu lieblos und abgewandt. In der deutschen Umgebung wurde sogar Friederike eine von den „Crucchi“, den Scheißdeutschen von denen sie sich in Italien so deutlich unterschieden hatte. Aber hier war sie plötzlich genauso übellaunig, regelwütig und kleinkariert wie der Rest dieses von der Sonne vernachlässigten Volkes. Obwohl es gerade Sommer war und die dunkelste Zeit des Jahres noch vor ihm lag, fühlte Gennaro, wie die allgemeine Depression sich allmählich

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