Kirche im freien Fall. Cristina Fabry

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kirche im freien Fall - Cristina Fabry страница 6

Автор:
Серия:
Издательство:
Kirche im freien Fall - Cristina Fabry

Скачать книгу

für ein Scheißtraum. Sie träumte nie von Hannes, da gab es nichts zu verdrängen, das sich im Schlaf Bahn brechen musste. Und jetzt so ein gruseliger Schwachsinn. Hannes als Gekreuzigter und sie selbst als Maria Magdalena. Dabei wollte ihn niemand kreuzigen, er opferte sich nicht, er ging nur einfach fort, würde munter weiter leben.

      Und er ließ auch kein Chaos zurück, hatte allen, die seine Aufgaben übernehmen sollten, seine Unterstützung zukommen lassen. Trotzdem würde er eine große Lücke hinterlassen, riesige Fußstapfen, in denen niemand sicher und zielgenau gehen konnte so wie er. Aber so war das mit den Heilsbringern, Supermenschen, Nächstenliebemultiplikatoren: sie hatten viel zu geben, trösteten, heilten, retteten, bauten auf, machten es allen schön und hinterließen Stabilität, Orientierung, liebe Erinnerungen, Stärkung, Wärme, Licht und jede Menge Schmerz und Traurigkeit, wenn sie ihr Wirkungsfeld verließen. Ihre Nachfolger hatten es schwer, aber sie teilten es unter sich auf.

      Und dann brach doch das Chaos aus. Obwohl längst abgesprochen war, dass Larissa sein wichtigstes Ressort übernehmen sollte, kam plötzlich Konrad aus der Deckung der chronisch desinteressierten Tatenlosigkeit und brachte einen anderen Kandidaten ins Spiel. Er würde Till ansprechen und sie ahnte, wie er dazu kam. Mit Larissa hatte Konrad Stress, und außerdem beherrschte sie sein Arbeitsgebiet besser als er. Das wurmte ihn.

      Der karrieregeile Till würde nicht einen Moment zögern, die Chance ergreifen, die Ressortleitung übernehmen, wenn man ihn ließ. Und man würde ihn lassen, denn er war ein Meister der Selbstinszenierung, der es verstand, sich zu verkaufen. Die Arbeit hinter den Kulissen überließ er gern den anderen. Er würde sie alle instrumentalisieren, um seine Projekte umzusetzen und sich damit ein dickes Brett für den nächsten Karrieresprung zu sichern.

      Larissa dagegen tat, was getan werden musste, hielt den Mitarbeitenden den Rücken frei, hielt sich selbst im Hintergrund, stärkte, unterstützte beratend, gab Impulse, äußerte Bedenken. Etwa so, wie Hannes es auch gehalten hatte.

      Nach dem Chaos saß sie vor diesem schmucklosen Schreibtisch und fragte sich, ab welchem Punkt es falsch gelaufen war. Wäre sie etwas schneller gewesen, hätte es nur einen Toten gegeben und sie wäre womöglich davon gekommen. Egal, welchen von beiden sie sich zuerst vorgeknöpft hätte, es hätte das Ableben des anderen überflüssig gemacht, nur rechtzeitig hätte sie handeln müssen. Hatte sie aber nicht.

      Um zu verhindern, dass Konrad sein Anliegen überhaupt an Till herantrug, hatte sie ihm nach Feierabend aufgelauert – er parkte seinen Wagen gern in einer dunklen Ecke – und blitzschnell seine Beinschlagader mit einem sehr scharfen Küchenmesser durchtrennt. Als er zusammensackend nach dem Warum fragte, erklärte sie: „Du hättest uns Till vor die Nase gesetzt. Das muss ich verhindern. Du hältst ihn für den Größten, das tut er auch, aber er ist nur ein kleiner Mann, der ganz schnell nach oben will und der uns alle als Steigbügel benutzen würde, wenn man ihm ließe. Ich lasse ihn nicht. Wenn ihn niemand fragt, kommt er auch nicht auf dumme Gedanken.“

      „Aber ich hab‘ ihn schon gefragt.“, erklärte Konrad, dann verdrehte er die Augen und atmete bewusstlos seinem Ende entgegen.

      Das war dumm gelaufen, denn jetzt musste auch Till aus dem Weg geschafft werden, vermutlich war er schon im Rennen. Sie nahm ihn sich auf dieselbe Weise vor, nur erklärte sie ihm nicht warum. Sollte er doch dumm sterben. Und er starb schnell, schneller als Konrad. Doch dann saß Larissa plötzlich in Untersuchungshaft. Sie hatte kein Alibi, ein glasklares Motiv und schwache Nerven. Sie konnte sie unmöglich ihrem Schicksal überlassen und musste sich stellen.

      Nun würde sie bis ans Ende ihrer Tage im Gefängnis sitzen und den scheidenden Hannes würde sie wohl nie wieder zu Gesicht bekommen, denn mit einer Mörderin wollte er gewiss nichts zu tun haben.

      Wenigstens erhielt Larissa die Stelle der Ressortleiterin.

      Prophet

      Kiel hatte einen Auftrag. Er musste die Wahrheit aussprechen, unbedingt, jetzt sofort und gerichtet an die, die sie nicht hören wollten. Sollte er gleich bei den Schlimmsten anfangen, den Faschisten, den Steigbügelhaltern des Turbo-Kapitalismus, den Kriegstreibern und rassistischen Volksverhetzern? Aber wenn die ihn direkt zu Brei prügelten, hätte er nichts und niemanden erreicht.

      Nein, Kiel würde es umgekehrt angehen. Er würde bei denen beginnen, die fast total in Ordnung waren, vielleicht nur ein bisschen inkonsequent. Danach würde er sich mit den lokalpolitischen Mauschlern befassen, die gleichzeitig im sozialistischen Jugendverband, bürgerlicher Volkspartei und pseudo-gemeinnütziger freier Wirtschaft ihre Fäden zogen. Dann wären die mittelständischen Unternehmer dran, die jede Schweinerei mit Wettbewerbsfähigkeit rechtfertigten und danach ein paar Kandidaten im Landtag. Wenn er mit denen fertig war, kämen die Vorstände der Bundesparteien an die Reihe, zuerst die vermeintlich revolutionären, danach die bürgerlichen und am Ende die völkisch-nationalen. Und wenn er dann noch am Leben war, würde er sich die europäischen Despoten vornehmen, danach die eurasischen, dann die amerikanischen, dann käme Asien dran, danach Australien und ganz am Ende Afrika – nicht weil das etwa die Schlimmsten waren, sondern weil er glaubte, dass er von den Verhältnissen dort am allerwenigsten verstand.

      Er würde ja auch mit denen beginnen, die er noch am ehesten zu verstehen glaubte. Er ging einfach zu Carlos Geburtstagsparty. Paul war eigentlich ganz in Ordnung, auch wenn seine Perle nicht hellste Kerze auf der Torte war und nur für Schmink-Tutorials und Kochshows lebte. Paul ging malochen, kam niemandem auf die krumme Tour, trank gern einen über den Durst, dachte nicht so viel nach und klopfte gern Sprüche. Kiel legte ihm freundschaftlich den Arm um die Schulter und sagte: „Komm Paul, lass uns mal auf die Zukunft trinken.“

      „Jau.“, sagte Paul. „Das klingt doch mal nach ‘nem guten Plan. Trinken wir darauf, dass uns auch in Zukunft das Pils nicht ausgeht. Prost.“

      „Und darauf, dass uns die Luft nicht ausgeht und die Wärme und das Licht und das Wasser und das Essen und dass alle endlich schnallen, dass das nur funktioniert, wenn wir endlich weniger Fleisch fressen, Auto fahren, einkaufen, Strom verballern und Plastik benutzen. Dass man keine Nazis wählt, muss ich dir ja zum Glück nicht erklären.“

      „Nee.“, sagte Paul. „Aber lass mich in Ruhe mit der Ökoscheiße, ich will feiern.“

      „Na gut.“, sagte Kiel. „Dann musst du wohl an deinem Schnitzel ersticken. Und deine Kinder gleich mit. Schade eigentlich. Ich fand, du warst ein prima Kerl.“

      Den Sonntag verbrachte er im Bett. Er musste Kräfte sammeln. Am Montag fuhr er mit der Straßenbahn zu den Stadtwerken. Er verlangte Pressesprecher Schumann zu sehen. Das erwies sich als schwierig, man wollte ihn mit Jakobs abspeisen, einem harmlosen Erfüllungsgehilfen, dem hatte er aber nichts zu sagen. Als er sich endlich zu Schumanns Büro hindurch gekämpft hatte, war es bereits früher Nachmittag.

      Schumann sah ihn müde an. „Kennen wir uns?“, fragte er halb abwesend.

      „Flüchtig. Von früher.“, antwortete Kiel. „Aber das ist irrelevant. Ich will nur ein paar Sätze loswerden. Mit denen können Sie dann machen was Sie wollen. Danach bin ich wieder weg. Folgendes: Nicht jeder Zweck heiligt die Mittel und nicht jedes Mittel, das einem hehren Ziel dient, ist damit zu rechtfertigen. Ich wette, Sie wissen das, aber sie ignorieren es beharrlich, betrügen und lügen, dass sich die Gasleitungen biegen. Irgendwann wird Ihnen das alles um die Ohren fliegen, wenn Sie nicht umkehren. Also gehen Sie in sich und benutzen sie nicht nur ihren Verstand, sondern auch ihr Herz.“

      Kiel machte auf dem Absatz kehrt und verließ Schumanns Büro, ohne eine Reaktion abzuwarten. Er würde darüber nachdenken oder den Vorfall einfach ignorieren. Er würde sich ändern oder

Скачать книгу