Kirche im freien Fall. Cristina Fabry

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Kirche im freien Fall - Cristina Fabry

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Suche nach Leichtigkeit, lachenden Gesichtern – und lernte Carolin kennen, eine Sozialpädagogik-Studentin aus dem Westen, die sich im ausklingenden Sommersemester der Humboldt-Universität ein paar Lehrveranstaltungen in Kunstgeschichte antat, einfach so, aus Interesse, ohne überhaupt als Gasthörerin eingeschrieben zu sein, im Schlepptau einer Freundin, die für sie die passenden Vorlesungen ausgewählt hatte. Dieser anarchische Griff nach dem Leben und seinen Möglichkeiten gefiel Gennaro außerordentlich und rettete seine eigene Lebenslust, die im zähflüssigen Sumpf der deutschen Melancholie zu versinken drohte. Er zog mit Carolin durch eine Reihe Kreuzberger Kneipen und ließ sich von ihr in die Wohnung der Freundin mitschleppen, wo sie ein vorübergehend leerstehendes WG-Zimmer bewohnte.

      Natürlich bekam Friederike mit, dass er die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen war und er hatte auch keine Lust, mit einem würdelosen Versteckspiel anzufangen. Friederike setzte ihn prompt vor die Tür und er flüchtete zu Carolin, die wenig begeistert davon war, dass ihr One-Night-Stand sich bei ihr einnisten wollte, zumal sie ja gar nicht dauerhaft in Berlin lebte, sondern in Bielefeld, wo sie aktuell mit jemandem zusammenlebte.

      Es war Carolins Freundin, die ihm anbot, vorübergehend in der WG unterzukommen, auf dem Sofa im Wohnzimmer, bis er etwas Anderes gefunden hatte.

      Nur halbherzig hatte Gennaro einen Antrag auf Verlängerung seines Auslandsstudiums gestellt. Als er Friederike auf dem Campus traf, die ihm einen an ihn gerichteten Brief reichte mit dem Hinweis: „Du musst der Uni mal deine neue Adresse mitteilen, ich habe keinen Bock, dir deine Post hinterherzutragen.“, wurde ihm das Herz noch schwerer, weil sein Antrag bewilligt worden war. Noch ein Semester in diesem kalten, dunklen Land, in dieser lauten, riesigen Stadt, das würde er nicht ertragen.

      Noch vor dem Ende des Sommers landete er in einer anderen deutschen Stadt.

      6. Carolin brauchte dringend Geld, musste für einen Ferienjob nach Bielefeld zurückkehren, sonst wäre sie noch länger in Berlin geblieben. Das mit der Kunstgeschichte hatte ihr gefallen, vielleicht sollte sie noch ein Aufbaustudium dranhängen und Sozialpädagogik mit Kunst kombinieren, da gab es sicher interessantere Jobs, als in irgendeinem Jugendzentrum, Kindergarten oder verstaubten, städtischen Behördensumpf.

      Der Sommer an der Freibadkasse war der längste und langweiligste, den sie je erlebt hatte. Sie sehnte sich nach der pulsierenden Metropole, den inspirierenden Kontakten. Stattdessen blickte sie täglich stundenlang in tumbe Gesichter, die in Einwortsätzen ihrem Begehr nach Eintritt Ausdruck verliehen und sie erwiderte dies gleichermaßen mit „Drei Fünfzig“ oder „Eins Fünfzig“ - je nach Tarif. Warum musste Geldverdienen als Studentin immer so anregungsarm gestaltet sein? Auf einer Party erzählte ihre Kommilitonin Kerstin: „Ich plane selbst ein Seminar anzubieten für die Begleitung im Grundstudium. Die Profs kriegen das ja nicht auf die Reihe, sind zu sehr mit ihren Hobbys beschäftigt, 'Lust und Leid des Tangos', Ferienhausrenovierung in Griechenland und 'schade, dass Beton nicht brennt'. Ich habe schon mit Günther telefoniert, der meinte, ich sollte mir noch einen Co-Moderator holen und dann könnten wir das als Tutorenjob machen, weil das ja ein Auftrag der Hochschule ist, dem die Profs nicht ausreichend nachkommen.“

      „Wie?“, fragte Carolin nun hellwach und im Beuterausch, „Wir könnten Geld verdienen mit Studienbegleitung? Was muss man denn da machen?“

      „Das gleiche, was bei uns gelaufen ist. Einführung, Studientipps, Praktikumsvor- und Nachbereitung und ich finde, wir könnten die Leute auch bei der ersten Hausarbeit unterstützen und sie auf die erste Fachprüfung vorbereiten.“

      „Wollen wir das nicht zusammen machen?“, fragte Carolin mit betont warmer Stimme, anbiedernd, wie es ihre Art war, wenn sie etwas erreichen wollte. Kerstin war nur B-Ware und zwar in jeglicher Hinsicht. Sie würde alles einstielen und Carolin könnte sich ins gemachte Nest setzen, glänzen, Praxispunkte sammeln und nebenbei noch Geld verdienen.

      Sie sah Kerstin deutlich an, dass ihr diese Wendung nicht behagte. Sicher hatte sie geplant, die Co-Moderation Thomas anzubieten, auf den war sie schon lange scharf, der sah ja auch gut aus und war sehr unterhaltsam. Aber Carolin wollte endlich mal auf interessante Weise Geld verdienen und mit ihrer offensiven Art hatte sie bisher noch die meisten ihrer Ziele erreicht.

      Am Ende hatte Kerstin eingewilligt, schließlich hatte sie kein Ass im Ärmel, hätte sie eben taktisch klüger vorgehen müssen.

      Carolin hatte in der Folge eine tolle Zeit. Sie hatte im Hauptstudium ein interessantes Projekt für sich ausgewählt, arbeitete mit psychisch Kranken und besuchte das Begleitseminar bei einer beeindruckenden Dozentin. Das Geld als Tutorin war leicht verdient, Günther, der Dekan des Fachbereichs wurde auf sie aufmerksam und bot ihr, weil sie die Studierenden so kompetent und gezielt auf ihre Prüfungen vorbereitet hatte, einen weiteren Tutorenjob an. Sie musste nur aufpassen, dass sie es gut machte, denn sie hatte natürlich verschwiegen, dass es vor allem Kerstin gewesen war, die die dazu erforderlichen didaktischen Schritte ausgearbeitet hatte. Kerstin hatte einfach nicht das Zeug zur angemessenen Selbstinszenierung im richtigen Moment und außerdem hatte Carolin die schmalere Taille und die blaueren Augen. Und Thomas war sie auch schon näher gekommen...

      7. Das Sozialpädagogik-Studium schloss Kerstin in der Regelstudienzeit ab. Mit Carolin war sie fertig, die hatte die ganzen Lorbeeren eingeheimst und Kerstin dastehen lassen wie eine Trittbrettfahrerin. Das würde ihr eine Lehre sein, künftig würde sie sich solche Frauen vom Leib halten, denn eigentlich hatte sie Carolins parasitäres Wesen von Anfang an durchschaut, hatte aber dem eigenen Gefühl noch nicht ganz getraut, wollte frei von Vorurteilen sein und hatte auch zu wenig Erfahrung darin, Menschen, die sich aufdrängten, auf Abstand zu halten. Das würde sich ändern.

      Das Anerkennungsjahr brachte sie mehr hinter sich, als dass es ein wertvolles Lernfeld gewesen wäre, aber dann fand sie eine interessante Teilzeitstelle und begann ein Zweitstudium der Diplompädagogik mit dem Fernziel einer Hochschul-Karriere. Sie war endlich angekommen in ihrem Leben und alles entwickelte sich planmäßig. Aus einer Laune heraus begann sie einen Italienisch-Kurs und verliebte sich prompt in den Lehrer. Nein hier lag keine Neigung zu Mentor-Schützling-Beziehungen vor, Gennaro war in ihrem Alter, hatte zunächst Kunstgeschichte in Pisa, dann ein Semester in Berlin studiert und war bei Kunsterziehung in Bielefeld gelandet, wo er sich sein Studium nun mit Sprachkursen finanzierte. Die gesammelte Weiblichkeit des Kurses betete ihn an und Kerstin fand sich damit ab, dass es auch bei ihr wohl bei dieser Anbetung bleiben würde. Umso erstaunter war sie, als Gennaro sie schon nach dem dritten Treffen fragte, ob sie nicht einen Kaffee mit ihm trinken wollte. Natürlich war es nichts weiter als ein unschuldiges Schwätzchen in der Caféteria, aber sie hatte Mühe, seinen Ausführungen zu folgen und nicht in seinen warmen, dunklen Augen zu versinken. Als ein anderes Kursmitglied beim nächsten Mal vorschlug, man könne ja mal zusammen italienisch kochen, bot sie direkt ihre Wohnung als Veranstaltungsort an und lud auch Gennaro dazu ein.

      Es wurde ein denkwürdiger Abend mit matschiger Pasta, Tomatensauce mit Holzkohle-Aroma, Magen-übersäuerndem Rotwein und sehr viel fröhlichem Gelächter.

      So lange hatte Kerstin darauf gewartet, dass es in ihrem Leben endlich gut würde – beruflich wie privat. Immer hatten andere sich vorgedrängelt, ihr die Chancen vergällt, sie ignoriert, beiseitegeschoben, abgewertet. Und sie hatte auch oft nicht so recht gewusst, wohin mit sich, war auf der Suche nach ihrem Platz gewesen und hatte beharrlich gewartet auf eine Gelegenheit, ein Zeichen, eine Erkenntnis, eine glückliche Wendung. Sie war geduldig geblieben, oft traurig, manchmal verzweifelt, aber demütig, denn ihr war bewusst, dass sie andere Menschen nicht für ihr Unglück verantwortlich machen konnte. Sie würde selbst herausfinden müssen, wie sie ans Ziel gelangte. Und jetzt war es zum Greifen nah. Das Warten hatte sich gelohnt.

      8. In der Mitte des Semesters bekam der Italienischkurs einige Neuzugänge, das heißt, er wurde mit dem zweiten Kurs zusammengelegt, nachdem

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