Wind über der Prärie. Regan Holdridge

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wind über der Prärie - Regan Holdridge страница 42

Автор:
Серия:
Издательство:
Wind über der Prärie - Regan Holdridge

Скачать книгу

geht’s gut“, versicherte Julie und wollte sich aufrichten, doch zwei Hände hielten sie zurück.

      „Immer schön der Reihe nach!“ Hardy lächelte. „Erzählen Sie mir lieber, was Sie angestellt haben, dass Sie so lange weg gewesen sind! Ist mit Geertje alles in Ordnung? Sie hat das Kind doch nicht etwa verloren? Oder haben Sie bei einer Schafgeburt geholfen?“

      Er hob ihre Hände hoch, damit sie sehen konnte, dass sich unter ihren Fingernägeln noch immer Blut befand. Julie verzog den Mund. Am liebsten hätte sie es vorerst für sich behalten. Sie fühlte sich viel zu müde und erschöpft, um jetzt zu berichten, was geschehen war, doch zwei Augenpaare ruhten gespannt und drängend auf ihr und sie seufzte leise.

      „Nichts weiter ist passiert“, sagte sie leise, auf ihre Hände starrend. „Geertje geht es bestens.“

      „Was hast du dann angestellt?“, wollte nun auch Hugh wissen und drückte ihr brüderlich den Unterarm.

      Eine lange Pause entstand. Schließlich zuckte Julie die Schultern. Es hatte keinen Sinn, länger zu schweigen. Spätestens, wenn Torbjörn das nächste Mal in die Stadt kam, um im General Store Besorgungen zu erledigen, würden es alle erfahren. Diese Vorstellung war ihr unangenehm.

      „Ich...ich habe einem Indianer eine Kugel entfernt“, erklärte sie leise.

      „Sie haben – was?!“ Ungläubig packte Hardy sie an den Schultern. „Wissen Sie eigentlich, was Sie da reden?“

      „Ja“, entgegnete Julie ernst. „Ich sage die Wahrheit. Zwei von ihnen wollten die Farm überfallen und Torbjörn hat auf sie geschossen. Der eine war gleich tot und der andere hatte einen Steckschuss im linken Oberschenkel. Ich habe ihm die Kugel herausgeschnitten und nach etwa zwei Stunden ist er auf sein Pferd gestiegen und davongeritten.“

      „Gott, Julie!“ Ungläubig schüttelte Hardy den Kopf und auch Hugh musste sich mit den Händen übers Gesicht fahren. „Sie hätten tot sein können, verstehen Sie? Tot! Wenn sich diese Indianer auf dem Kriegspfad befinden, sind sie zu allem fähig! Und sie machen keinen Unterschied zwischen Mann, Frau oder Kind! Das haben Sie doch vorhin gehört!“

      Tränen brannten in den bernsteinfarbenen Augen. „Aber...“, brachte sie stockend hervor. „Ich habe ihm doch bloß geholfen! Das war doch meine Pflicht! Ich konnte doch nicht zulassen, dass Torbjörn ihn erschießt!“

      Zerstreut tätschelte Doktor Retzner ihr die Hand, ehe er sich durch das blonde Haar fuhr. „Nein...nein, Julie-Mädchen. Natürlich konntest du das nicht!“

      Er wandte sich ab und trat ans Fenster, um hinauszustarren. Dafür setzte Hugh sich neben seine kleine Schwester und strich ihr das vom Regen zerzauste, struppige Haar aus der Stirn. Er lächelte, doch seine braunen Augen blickten besorgt. „Du bist vollkommen verrückt. Was machst du nur für Sachen?“

      „Nichts“, erwiderte Julie leise und biss sich auf die Lippen. „Nichts, außer, dass ich einem Menschen vielleicht das Leben gerettet habe.“

      „Er wollte euch überfallen!“ Hugh versuchte, ihr Vernunft einzubläuen, ihr begreiflich zu machen und sah sich doch außerstande dazu. „Er wollte euch umbringen! Er hätte keine Gnade gekannt!“

      „Das hat Torbjörn auch gesagt.“ Julie schluckte. „Aber hätte ich ihn deswegen sterben lassen dürfen? Hätte ich das denn vor unserem Glauben, der Kirche und Gott verantworten können?“

      Hugh senkte den Blick und schwieg. Er konnte darauf nichts erwidern, denn er wusste die Antwort selbst nicht. Gab es denn nicht den einen, wichtigen Grundsatz, dass alle Menschen gleich waren und damit auch die Indianer? Weshalb verfiel er nur zu gern in die Angewohnheit, sie außen vor zu lassen, sie als etwas Minderwertiges zu sehen?

      Julies leise Stimme riss ihn aus den Gedanken: „Er hat doch dasselbe Recht hier zu sein, wie wir, oder etwa nicht? Eigentlich hat er sogar noch viel mehr Rechte als wir, denn das ist doch immer noch sein Land! Ihr wart doch diejenigen, die immer gesagt haben, wir hätten es uns geraubt! Hat er dann nicht jede Rechtfertigung dafür, uns fortjagen zu wollen?“

      Hugh und Hardy wechselten einen langen, kritischen Blick. Sie kannten die Antwort darauf. Sie alle kannten die Wahrheit und wollten sie doch nicht aussprechen – nicht aussprechen und sie sich auch nicht eingestehen.

      Die Siedlung

      „Ruhe!“, brüllte Hugh aus Leibeskräften und schlug mit dem langen Zeigestock auf den einfachen Holztisch, der sein Pult darstellte. „Ruhe, habe ich gesagt! Verdammt nochmal! Ihr macht alle die doppelten Hausaufgaben, wenn ihr nicht auf der Stelle euren Mund haltet!“

      Schlagartig war es mucksmäuschenstill in der winzigen Hütte, die lediglich deshalb als die hiesige Schule erkannt wurde, weil ein großes Schild über dem Eingang darauf hinwies. Ansonsten unterschied sie sich nicht von der einfachen Bauweise aller anderen Gebäude. Hugh atmete auf. Die mehr als fünfzig Kinder überforderten ihn bisweilen, denn sie merkten, dass er viel zu gutmütig war, als dass er je dazu fähig gewesen wäre, seinen Stock zur Prügelstrafe einzusetzen. Er ließ einen strengen Blick über seine Schüler gleiten, ehe er sie aufforderte: „Schlagt das Englischbuch auf! Wir machen auf Seite zweiundzwanzig weiter!“

      Es gab längst nicht genug Bücher für alle und es mussten sich mindestens immer zwei Kinder ein Buch teilen. Hugh seufzte innerlich. Er war kein guter Lehrer. Er hatte nur versuchen können, das Beste aus der Situation zu machen. So hatte er die Kinder in etwa drei gleich starke Gruppen eingeteilt: Die, die noch gar nichts konnten – weder schreiben, noch lesen oder rechnen; diejenigen, die in ihrer Heimat zumindest schon einmal eine Schule besucht hatten und die größeren, die ohnehin bald zur Arbeit gehen würden, anstatt hier herumzusitzen und sich von ihm etwas sagen zu lassen.

      Der Reihe nach ließ Hugh jedes von ihnen einen Satz des Textes lesen, denn es lag ihm viel daran, dass sie alle in kurzer Zeit ein perfektes Englisch beherrschten. Das war in seinen Augen das Wichtigste, wenn sie in diesem Land überleben oder es gar zu etwas bringen wollten. Sein Blick fiel auf die Turmuhr der Kirche, die schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite stand. Die ersten Gräber waren auf der Wiese dahinter hinzugekommen. Einer der älteren Männer war an Herzversagen gestorben und zwei der Kleinkinder einer Darminfektion erlegen. Langsam schlug Hugh das Buch zu. Er würde heute fünf Minuten früher aufhören, er war heute weder in Stimmung, noch besaß er die Motivation, die unruhigen Kinder zurückzuhalten, denn die wussten natürlich instinktiv, dass es jeden Augenblick für diesmal überstanden war.

      „In Ordnung!“, sagte Hugh und hob die rechte Hand. „Ihr kennt eure Hausaufgaben! Wir sehen uns morgen und seid bitte pünktlich! Bei ein paar steht der dritte Strafpunkt wegen Zuspätkommens an und ihr wisst, was das bedeutet!“

      Er brach ab. Von überall her ertönten die „Auf Wiedersehen!“-Rufe und mit lautem Geschrei stürzten die Kinder nach draußen. Hugh seufzte und verdrehte die Augen. Ja, seine lieben Schüler wussten ganz genau, was ein dritter Strafpunkt wegen Zuspätkommen bedeutete – nachsitzen. Ihm allerdings graute bei dieser Vorstellung noch viel mehr als den Kindern vermutlich. Er hasste es, sich mit ein paar einzelnen herumzuärgern, die ihm dann auch noch grollten und sowieso nichts anderes wollten als nach draußen, um mit ihren Freunden zu spielen. Selbst Nikolaus war heute gleich hinausgerannt, ohne auf ihn zu warten. Hugh schmunzelte. Nun, auch Nikolaus wurde im nächsten Jahr bereits dreizehn und er begann ganz allmählich, sich auf eigene Beine zu stellen und sich von seiner Familie abzunabeln.

      Hugh packte seine Bücher und die Arbeitsblätter zusammen. Draußen pfiff ein

Скачать книгу