Love and Crime. Harley Barker
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„So läuft das hier immer ab. Ich kann mich nicht an einen einzigen Tag erinnern, bei dem es um diese Uhrzeit nicht so war. Der ganz normale morgendliche Wahnsinn“, erklärt sie und sieht sich einmal um. „Du könntest bei Mrs. Morrison anfangen. Sie kommt einmal im Monat. Normalerweise lässt sie sich die Haare nur schneiden und nur selten färben. Ihre Haare sind ihr heilig. Aber vorhin hat sie angedeutet, dass sie eventuell eine neue Haarfarbe haben möchte.“ Hannah zuckt mit den Schultern. „Dir geht jetzt wahrscheinlich durch den Kopf, dass sie total zickig ist, aber was das angeht kann ich dich beruhigen.“
Ich betrachte die Frau, auf die sie zeigt. Sie ist vielleicht zehn Jahre älter als ich. Sofort kann ich erkennen, dass sie sehr auf ihr Äußeres achtet. Ich schlucke und versuche so den Kloß aus meinem Hals zu entfernen, den der Gedanke mir bereitet, dass ich sie bedienen soll. Sofort kommen mir verschiedene Szenarien in den Kopf, was alles schiefgehen kann. Und je nachdem, was sie möchte, ist das eine ganze Menge.
Doch die schiebe ich schnell wieder zur Seite. Sie helfen mir kein Stück weiter. Ganz im Gegenteil. Sie lassen meine Nervosität wieder aufleben, was ich gerade aber nicht gebrauchen kann.
Nein, ich muss klar denken können, damit mir genau solche Fehler nicht passieren.
„Ist es wirklich in Ordnung, wenn ich das mache?“, erkundige ich mich ein letztes Mal. „Ich meine, ich arbeite hier nicht. Ist es da nicht ein wenig riskant das zu machen?“
„Du meinst wohl, du arbeitest hier noch nicht“, verbessert sie mich. „Das ist nur noch eine reine Formalität. Sally kommt erst in ein paar Stunden. Aber ich bin mir sicher, dass sie den Vertrag direkt mitbringt und ihn dich sofort unterschreiben lässt. Sie hat ein Händchen für Talente. Und würde sie an dir zweifeln, hätte sie dich nicht für heute eingeladen. Ich bin mir sicher, dass sie sich ein Talent nicht durch die Finger gleiten lassen wird. Das hat sie bis jetzt noch nie und ich kann mir keinen Grund vorstellen, wieso sie jetzt damit anfangen sollte.“
Hannah grinst mich frech an. Ich würde gerne erfahren, woher sie den Optimismus nimmt. Ich beschließe, dass ich mich ihr anschließen werde. Schließlich kennt sie ihre Chefin und wird daher wissen, wie sie arbeitet oder wonach sie ihre Angestellten aussucht.
„Bring deine Sachen einfach in den Aufenthaltsraum. Da vorne steht Daisy, solltest du ein Problem haben und ich kann gerade nicht, kannst du dich an sie wenden. Sie freut sich darauf, mit dir zusammenzuarbeiten.“ Sie zeigt in die Richtung einer weiteren Blondine, die nur wenige Schritte entfernt steht. Ich betrachte sie, bevor ich nicke und verschwinde.
Während ich meine Sachen im Aufenthaltsraum ablege, versuche ich meine aufgebrachten Nerven zu beruhigen, oder wenigstens zu überspielen. Außerdem wiederhole ich in meinen Gedanken immer wieder, dass ich nicht so einen guten Abschluss gemacht hätte, wenn ich es nicht könnte. Und das stimmt. Ich war eine der besten meines Jahrgangs. Ich würde jetzt nicht hier stehen, wenn Sally Zweifel hätte.
Deswegen verlasse ich den Raum wieder mit gestrafften Schultern und gehe mit großen Schritten auf die Kundin zu, die geduldig in ihrem Stuhl sitzt und dort wartet.
„Mrs. Morrison?“, frage ich sie, nachdem ich hinter ihr stehen geblieben bin und ziehe so ihre Aufmerksamkeit auf mich.
Mit einem freundlichen Lächeln auf dem Gesicht legt sie die Zeitschrift zur Seite und sieht mich durch den Spiegel an, wobei sie die Hände auf den Schoss legt.
„Ich bin Harley“, stelle ich mich ihr vor.
„Ich habe Sie noch nie vorher hier gesehen“, überlegt sie und verzieht das Gesicht, als würde sie darüber nachdenken. Sie wendet sich aber nicht von mir ab.
„Harley ist neu bei uns und eine der Besten, die man sich nur vorstellen kann“, erklärt Hannah, als sie kurz neben mir stehen bleibt.
Mir liegen die Worte auf der Zunge, dass ich das bestimmt nicht bin. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass es im Salon Frauen gibt, die eindeutig besser sind als ich. Schließlich bin ich gerade erst aus der Ausbildung heraus. Mir fehlt die Berufserfahrung. Außerdem bin ich mir sicher, dass es noch einiges gibt, was ich lernen muss. Es wird mir hier und jetzt nicht helfen.
„Auf geht's“, ruft Mrs. Morrison laut aus und zwinkert mir zu.
Gerade frage ich mich, wie viel sie mitbekommen hat. Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich mir nicht weiter den Kopf darüber zerbreche. Es würde mich nur ablenken und das kann ich gerade nicht gebrauchen.
„Ich brauche ein wenig Abwechslung. Die Haarfarbe hängt mir mittlerweile aus den Ohren raus. Ich habe sie nun schon seit Jahren.“ Um ihre Worte zu unterstreichen, streckt sie die Zunge heraus und verzieht das Gesicht.
„Eher einen schlichten Ton oder einen auffälligen?“, erkundige ich mich. Ich kann mir gerade noch verkneifen leise zu lachen.
„Auffällig“, antwortet sie mir sofort, ohne weiter darüber nachzudenken.
„Wie wäre es mit rot?“, frage ich sie, während ich sie mir mit einem schrillen Rotton vorstelle.
„Nur wenn es der Ton ist, den die Frau auf dem Bild im Schaufenster trägt“, weist sie mich an.
„Das bekomme ich hin.“ Ich weiß genau, welchen sie meint. Bevor ich vorhin hereingekommen bin, habe ich das Bild selber noch betrachtet und kurzzeitig sogar überlegt, ob ich mir meine nicht auch in dem Farbton färben sollte. Ich muss zugeben, dass ich nicht mutig genug dafür bin.
Die nächsten zwei Stunden verbringe ich damit, ihr die Haare zu machen. Je mehr ich mich dem Ende nähere, umso nervöser werde ich. Sie macht zwar nicht den Anschein auf mich, als würde sie es schrecklich finden, doch so genau achte ich auch nicht auf ihren Gesichtsausdruck.
Als ich sie fertig habe, bleibe ich hinter ihr stehen und halte gespannt die Luft an, während ich den Spiegel von rechts nach links und wieder zurückbewege, damit sie alles begutachten kann. Endlose Sekunden vergehen, während sie sich aufmerksam betrachtet. Es dauert nicht lange, bis meine Lungen brennen, da ich den Atem angehalten habe. Doch ich bin nicht in der Lage zu atmen, egal wie oft ich es mir in Erinnerung rufen. Ich komme mir vor, als würde ich gerade in einer Prüfung sitzen. Und in gewisser Weise tue ich das ja auch.
Eine Prüfung, die über meine Zukunft entscheidet.
Wie Mrs. Morrison darauf reagiert, hängt davon ab, ob ich den Vertrag bekomme. Ich muss zugeben, dass ich ihn gerne haben würde. Es gefällt mir hier zu arbeiten. Alle sind lieb und hilfsbereit. Ich habe das Gefühl, als wäre das hier der richtige Laden, um die Erfahrung zu sammeln, die ich brauche.
„Sally“, ruft Mrs. Morrison in der nächsten Sekunde so laut, dass ich erschrocken zusammenzucke. Langsam, beinahe in Zeitlupe, drehe ich mich um und sehe Sally nur ein paar Schritte von mir entfernt stehen. Sie hat sich an eines der Waschbecken angelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Ihr aufmerksamer Blick ruht auf den Haaren, die ich frisiert habe.
Wenn ich gerade schon nervös war, so fühlt es sich jetzt an, als würde ich sterben, und zwar nicht nur einen Tod. Tief in mir drin hatte ich gehofft, dass Mrs. Morrison schon lange verschwunden wäre, bevor Sally auftaucht. Nun frage ich mich aber, wie lange sie schon da steht und mich beobachtet.
Oder war sie die ganze Zeit über anwesend? Alleine der Gedanke reicht aus, dass mir wieder schlecht wird. Ich wollte mich sicher geben und