DER ABGRUND JENSEITS DES TODES. Eberhard Weidner

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DER ABGRUND JENSEITS DES TODES - Eberhard Weidner Anja Spangenberg

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getäuscht hatte, indem er ihr zuerst Hoffnung geschenkt und dann jäh wieder genommen hatte. Das konnte sie ihm nicht verzeihen. Selbst dann nicht, wenn er sich noch so sehr bemühte, ihr wie ein selbstloser Sterbehelfer einen sanften Tod zu bereiten.

      »Fahr zur Hölle!« Sie hatte kaum noch genug Kraft, die drei Worte auszusprechen. Doch sie wollte nicht sterben, ehe sie sie nicht gesagt hatte. Deshalb mobilisierte sie die letzten Energiereserven, die in ihrem abgemagerten entkräfteten Körper steckten. Befriedigt sah sie, dass er zusammenzuckte und betroffen das Gesicht verzog. Dann schloss sie die Augen, da ihre Lider zu schwer waren, um sie noch länger offen halten zu können. Der Schmerz war mittlerweile nahezu vollständig abgeklungen. Immerhin dafür war sie unendlich dankbar.

      »Nein!«, widersprach Johannes vehement. »Im Gegenteil. Wir werden uns im Himmelreich wiedersehen. Und sobald du erkannt hast, warum dein Tod notwendig und wichtig war, wirst du mir dankbar sein und mir verzeihen.«

      Nadine bezweifelte das. Sie konnte es ihm aber nicht mehr mitteilen. Die Schläfrigkeit überrollte ihren Verstand wie eine Flutwelle den Strand und ertränkte jeden aufkeimenden Gedanken. Und hinter der Welle, das wusste sie, wartete der finstere Abgrund jenseits des Todes auf sie. Sie glaubte bereits, seinen Lockruf zu hören.

      Sie sah Bilder ihrer besten Freundin Anne und ihrer Mutter vor ihrem inneren Auge und verabschiedete sich von ihnen. Doch ihr letzter bewusster Gedanke galt nicht ihnen, sondern der Geschwulst in ihrem Kopf. Seit der Kopfschmerz verschwunden war, fühlte sie sich, als wären sie und der Tumor wie siamesische Zwillinge nach Jahren des Zusammenlebens durch eine aufwendige Operation voneinander getrennt worden. Beinahe empfand sie sogar so etwas wie Trennungsschmerz.

      Leb wohl, Mr. Tumor!, verabschiedete sie sich von ihrem einzigen treuen Begleiter, der bis zum bitteren Ende bei ihr geblieben war. Dann übermannte sie der tödliche Schlaf und löschte alles aus, was sie jemals gewesen war.

      DER ERSTE REITER

      »Dann sah ich: Das Lamm öffnete das erste der sieben Siegel; und ich hörte das erste der vier Lebewesen wie mit Donnerstimme rufen: Komm!

      Da sah ich ein weißes Pferd; und der, der auf ihm saß, hatte einen Bogen. Ein Kranz wurde ihm gegeben und als Sieger zog er aus, um zu siegen.«

      (Offenbarung 6, 1-2)

      KAPITEL 1

      I

      Sie stand wie festgenagelt im Erdgeschossflur des Hauses und starrte auf die Treppe, die nach oben führte. Im ersten Augenblick wusste sie nicht, warum sie das tat. Sie senkte den verwirrten Blick und entdeckte das Kochmesser in ihrer Hand. Es stammte aus dem Messerblock in der Küche und war für ihre schmale Kinderhand viel zu groß. Doch statt es erschrocken fallen zu lassen, weil ihre Mutter ihr verboten hatte, die Messer in die Hand zu nehmen, schloss sie ihre Finger nur noch fester um den Griff, denn das Kochmesser vermittelte ihr ein Gefühl der Sicherheit.

      Dann fiel ihr jäh wieder ein, warum sie hier stand und die Treppe angestarrt hatte. Sie hatte von oben das Knarzen des Holzfußbodens gehört. Und das, obwohl sie allein im Haus war. Normalerweise hätte sie so etwas nicht beunruhigt. Das alte Haus, in dem sie mit ihren Eltern lebte, gab ständig irgendwelche Geräusche von sich, ohne dass jemand dafür verantwortlich war. Aber aus einem Grund, der ihr momentan nicht einfiel, hatten die Geräusche sie dennoch beunruhigt. Deshalb hatte sie das Messer an sich genommen und war von der Küche in den Flur gegangen.

      Doch was jetzt?

      Ohne dass sie eine bewusste Entscheidung getroffen hatte, setzte sie sich in diesem Augenblick in Bewegung. Sie ging zielstrebig auf die Treppe zu, obwohl sich alles in ihr dagegen sträubte.

      Als hätte sie eine unheilvolle Vorahnung, wusste sie, dass sie nicht nach oben gehen, sondern besser kehrtmachen und davonlaufen sollte. Aber ihre Beine gehorchten ihr nicht. Sie trugen sie unerbittlich vorwärts. Allerdings bewegte sie sich wie in Zeitlupe und schien für die wenigen Meter, die sie von der untersten Treppenstufe trennten, eine Ewigkeit zu benötigen. Eine Ewigkeit, in der ihre Angst vor dem, was sie im Obergeschoss erwartete, immer größer wurde. Bis sie das Gefühl hatte, die Furcht würde sich in ihrem Inneren wie ein Ballon ausdehnen und sie schließlich zum Platzen bringen.

      Sie wünschte sich verzweifelt, ihre Eltern kämen endlich nach Hause. Gleichzeitig wusste sie jedoch, dass das nicht so bald geschehen würde. Allerdings hatte sie keine Ahnung, woher sie diese Gewissheit nahm. Vermutlich aus derselben Quelle, aus der ihre Überzeugung stammte, dass das, was sie oben entdecken würde, schrecklich war. Es würde ihr junges Leben von einem Augenblick zum anderen verändern.

      Ihr Blick war auf die Biegung der Treppe gerichtet. Beinahe als befürchtete sie, etwas könnte dahinter hervorschnellen und sich auf sie stürzen, wenn sie nicht ständig hinsah.

      Dann erreichte sie schließlich die Treppe. Sie setzte ihren rechten Fuß auf die unterste Stufe, ohne einen Moment zu zögern. Während sie langsam hinaufging, starrte sie furchtsam nach oben. Ihre Füße fanden instinktiv die Stellen auf den Stufen, die sie belasten konnte, ohne dass es knarrte. Auf diese Weise verursachte sie bei ihrem Aufstieg nicht das geringste Geräusch.

      Im Obergeschoss war es ebenfalls still. Was immer den Laut verursacht hatte, hatte anscheinend innegehalten.

      Lauert es etwa auf mich?

      Sie schluckte. Ihre Kehle fühlte sich staubtrocken an. Für einen Schluck Wasser hätte sie alles gegeben.

      Alles bis auf das Messer in meiner Hand!

      Ihr Herz klopfte schnell und heftig. Jeder Schlag erschütterte ihren schlanken Körper von Kopf bis Fuß.

      Als sie die Biegung der Treppe erreichte, wurde sie noch langsamer. Sie spähte um den Bogen und sah, dass dahinter und im oberen Gang niemand auf sie lauerte. Dann ging sie vorsichtig weiter. Dabei hielt sie sich außen, wo die Stufen weniger knarrten und breiter waren. So konnte sie nicht versehentlich stolpern und in das Messer fallen. Sie hielt es so fest umklammert, dass ihre Fingerknöchel blutleer und weiß waren.

      Sie nahm die restlichen Stufen im selben Zeitlupentempo, in dem sie sich schon die ganze Zeit bewegte, seit sie an diesem Ort zu sich gekommen war. Dabei übersprang sie die beiden obersten Stufen, denn sie knackten besonders laut, sobald sie belastet wurden. Schließlich stand sie im oberen Flur, von dem vier Türen abgingen; alle bis auf die Tür zum Schlafzimmer ihrer Eltern waren geschlossen.

      Obwohl sie wusste, dass es draußen schon längst dunkel war, konnte sie alles gut sehen, ohne Licht machen zu müssen.

      Erneut widerstrebte es ihr, weiterzugehen und das zu tun, weswegen sie nach oben gekommen war. Sie wünschte sich ein weiteres Mal, ihre Eltern würden kommen. Dabei wusste sie genau, dass dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen würde.

      Sie hielt kurz inne, als wollten ihre Füße ihr Zeit geben, sich zu orientieren. Dann setzte sie sich gegen ihren Willen wieder in Bewegung.

      Ihr Herz schlug schneller. Es wusste ebenso wie sie, dass hier oben etwas Furchtbares auf sie wartete. Die Ahnung bevorstehenden Unheils grenzte schon an konkretes Wissen und war schrecklicher, als wenn sie ahnungslos gewesen wäre. Sie hatte ständig das Gefühl, sie müsste nur konzentriert genug darüber nachdenken, um sich daran zu erinnern, um was es sich handelte. Doch sobald sie meinte, sie hätte die Erinnerung endlich erwischt, entzog sie sich ihr wieder wie ein scheuer Schmetterling.

      Dann

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