DER ABGRUND JENSEITS DES TODES. Eberhard Weidner

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DER ABGRUND JENSEITS DES TODES - Eberhard Weidner Anja Spangenberg

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er ihr nicht verraten. Anfangs hatte sie noch vermutet, er wollte sie verhungern lassen. Doch bevor sie tatsächlich vor Hunger sterben konnte, gab er ihr zu essen. Wenn auch nur so viel, dass sie nicht verhungerte.

      Aber was plante er dann?

      Der Verschlag, in dem sie sich schon seit einer gefühlten Ewigkeit befand, wurde von einem Nachtlicht erhellt. Es brannte Tag und Nacht, sodass sie nie wusste, welche Tageszeit gerade herrschte. Außerdem gab es eine Lüftung, deren stetiges Summen sie kaum noch wahrnahm. Der Raum schien darüber hinaus schallgedämpft zu sein, denn von draußen drang kein Geräusch durch die Wände. Daher hatte sie manchmal den Eindruck, um sie herum existierte nichts mehr und die Holzkiste, in der sie steckte, schwebte wie eine winzige Raumstation einsam im Weltall.

      Wenn Johannes zu ihr kam, bemerkte sie es erst, sobald er den Riegel an der Tür zur Seite schob, denn sie hörte vorher nie seine Schritte. Deshalb konnte sie auch nicht sagen, wo sich der Verschlag befand. Sie mutmaßte allerdings, dass er in einem der Gebäude des einsamen Gehöfts stand. Entweder im Keller des Bauernhauses, im Stall oder in der windschiefen Scheune.

      Selbst wenn die Kiste nicht schallisoliert gewesen wäre, hätte in dieser gottverlassenen Gegend niemand ihre Schreie gehört, mit denen sie anfangs noch versucht hatte, jemanden auf sich aufmerksam zu machen. In den ersten Tagen hatte sie sich regelmäßig heiser geschrien. Bis ihr aufgefallen war, dass auch keinerlei Geräusche von draußen an ihr Ohr drangen. Gleichwohl hatte sie noch eine Weile trotzig damit weitergemacht. Bis sie sich schließlich eingestehen musste, dass es sinnlos war. Aber da wurde sie ohnehin allmählich zu schwach, um ihre wenige Energie noch länger mit Schreien zu vergeuden.

      Nadine erschrak nicht, als urplötzlich der Riegel zurückgeschoben und damit Johannes’ Ankunft angekündigt wurde. Sogar dafür fehlte ihr die Kraft. Da sie weder die Tages- noch die Uhrzeit kannte, wusste sie nicht, ob er kam, um den Eimer auszuleeren oder ihr Wasser und Zwieback zu bringen. Dennoch kam ihr sein Auftauchen aus irgendeinem Grund merkwürdig vor.

      Sie hob mühsam die Augenlider, die sich anfühlten, als wären schwere Gewichte daran befestigt, bis sie aus schmalen Schlitzen dabei zusehen konnte, wie sich die niedrige Tür nach außen öffnete. Johannes kam gebückt herein und kauerte sich weniger als einen halben Meter von ihr entfernt nieder. Sie hätte aufspringen und die Hände um seinen Hals legen können, wenn sie die Kraft dazu besessen hätte. Die Ketten ließen ihr genug Spielraum. Doch ihr ausgemergelter, kraftloser Körper war dazu nicht länger in der Lage.

      Wie immer lächelte Johannes gütig. Als wäre er tatsächlich der Geistliche, der er gern geworden wäre, und sie eins seiner Schäfchen, das von ihm den priesterlichen Segen erhoffte. Seine sanften Augen sahen sie voller Anteilnahme an. Dann wanderte sein Blick an ihrem nackten Körper entlang. Allerdings nicht begehrend oder lüstern. Was er sah, schien ihm Unbehagen zu bereiten, denn er verzog das Gesicht. Aber nicht vor Ekel, sondern so, als würde er ihr Leid und ihre Qualen nachempfinden können.

      Nadine hatte geahnt, dass sein heutiger Besuch etwas Besonderes war und aus dem Rahmen des Üblichen fiel. Und als sie jetzt sah, was er in der Hand hielt, wurde ihre Ahnung bestätigt.

      Sie hatte sich während ihrer Gefangenschaft unzählige Male gefragt, auf welche Art und Weise er sie töten würde. Dabei hatte sie zahlreiche Szenarien in Gedanken durchgespielt. So hatte sie sich unter anderem vorgestellt, dass er mit einem Messer, einer Pistole oder einem Seil in der Hand zu ihr kommen würde, um sie zu erstechen, zu erschießen oder zu erdrosseln. Keine dieser Vorstellungen war ausgesprochen angenehm gewesen.

      Doch stattdessen hatte er nun eine Spritze dabei. Sie war mit einer farblosen Flüssigkeit gefüllt.

      Das passte auch eher zu ihm. Denn obwohl er ihr angekündigt hatte, dass er sie ermorden würde, war er nicht der Typ, der zu sinnloser Grausamkeit oder Brutalität neigte. Er tötete sie nicht, um einen Trieb zu befriedigen, oder weil er es wollte. Er tat es, weil er es für seine heilige Pflicht hielt. Auch wenn sie die Gründe dafür nicht kannte und daher auch nicht nachvollziehen konnte.

      »Heute ist endlich dein großer Tag gekommen.« Er klang ihrer Meinung nach mehr denn je wie ein Priester. Allerdings vermied er es weiterhin, sie beim Namen zu nennen.

      Nadine hob den Kopf ein wenig und unterdrückte dabei ein Stöhnen.

      Er erwiderte ihren Blick und lächelte gütig. »In wenigen Minuten ist deine Leidenszeit zu Ende. Gott, der allmächtige Herr, wird dich zu sich holen.«

      Er hob die Spritze und klopfte dagegen, damit die winzigen Luftbläschen nach oben stiegen. Anschließend drückte er mit dem Daumen auf den Kolben, sodass die Luft und ein kleiner Teil des Inhalts durch die Kanüle entweichen konnten. Er kam ein Stück näher, ergriff mit der freien Hand ihren linken Arm und suchte nach einer Vene. Er musste nicht lange suchen. Sie war so abgemagert, dass die Adern und Venen an ihrem Körper deutlich hervortraten. Er setzte die Spritze an und stach die Kanüle durch die Haut.

      Der Stich war schmerzhafter, als sie Derartiges in Erinnerung hatte. Aber vielleicht war sie während der Gefangenschaft und durch das Abmagern auch nur empfindlicher geworden. Sie zuckte zusammen und seufzte.

      »Was ist das?« Ihre Stimme war nur ein Hauch, kaum mehr als ein heiseres Flüstern. Entweder hatte sie sich durch die Schreierei am Anfang ihrer Gefangenschaft die Stimmbänder ruiniert, oder sie waren geschrumpft wie nahezu alles andere an ihr außer ihren Knochen.

      Nadine befürchtete, Johannes hätte sie nicht gehört. Sie wollte ihre Frage schon wiederholen, als er ihr doch noch antwortete.

      »Fünfzehn Gramm Natriumpentobarbital.«

      Der Begriff kam ihr vertraut vor. Sie hatte allerdings keine konkrete Vorstellung, was sich dahinter verbarg.

      »Ein Barbiturat«, erläuterte er, während er die Lösung in ihre Armvene injizierte. »Es wurde früher als Schlaf- und Beruhigungsmittel eingesetzt. Da jedoch schon eine Überdosis von zwei Gramm zu Atem- und Herzstillstand führen kann, wird es in der Humanmedizin heutzutage nicht mehr verwendet.«

      Nadine glaubte bereits, spüren zu können, wie sich das Mittel über den Blutkreislauf in ihrem Körper ausbreitete. Sie hatte aber – im Gegensatz zu früher – keine Furcht vor dem Tod. Der Zeitpunkt, an dem sich ihre natürliche Angst vor dem Ende ihres körperlichen Daseins in ein Sehnen nach der Beendigung ihrer Leiden verwandelt hatte, war längst überschritten. Inzwischen hoffte sie nur noch, dass der Tod rasch kam und gnädig zu ihr war. Und wie es aussah, wurde ihr wenigstens dieser Wunsch erfüllt.

      Johannes zog die Spritze aus ihrem Arm. Er machte sich nicht die Mühe, die geringfügige Blutung zu stillen. Wozu auch? Sie starb nach der tödlichen Injektion ohnehin, lange bevor sie verbluten konnte.

      Anscheinend fühlte er sich bemüßigt, ihr die Wirkung des Betäubungsmittels zu erklären. Oder wollte er die ansonsten unangenehme Stille zwischen ihnen nur mit Worten füllen? »Natriumpentobarbital wird von Sterbehilfeorganisationen verwendet. Sie schenken todkranken, sterbewilligen Menschen damit einen sanften Tod. Es wirkt schlaffördernd. Schon in wenigen Minuten wirst du in einen komatösen Tiefschlaf fallen. Anschließend setzen Atmung und Herzschlag aus. Aber davon wirst du nichts mehr mitbekommen. Du wirst also keine Schmerzen oder Qualen verspüren. Stattdessen wirst du sanft aus dem Leben scheiden.«

      Nadine spürte bereits die betäubende Wirkung. Sie wurde schläfrig. Auch die Schmerzen und Qualen, die infernalischen Zwillinge, wurden zum ersten Mal seit langer Zeit schwächer.

      Sie hob mühsam die Augenlider und sah ihren Mörder an. Sie wusste noch immer nicht, warum sie sterben musste. Inzwischen war es ihr allerdings gleichgültig. Dennoch hasste sie Johannes aus

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