DER ABGRUND JENSEITS DES TODES. Eberhard Weidner

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DER ABGRUND JENSEITS DES TODES - Eberhard Weidner Anja Spangenberg

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aus unbehandelten Holzbrettern. Die einzigen beiden Einrichtungsgegenstände waren eine schmutzige Matratze, die nach Nadines Schweiß und Körperausscheidungen stank, und ein Plastikeimer in der Ecke, in den sie ihre Notdurft verrichten konnte. An den durchdringenden Gestank nach Exkrementen hatte sie sich längst gewöhnt. Sie nahm ihn schon gar nicht mehr bewusst wahr. Allerdings fand sie inzwischen kaum noch die Kraft, die kurze Strecke bis zum Eimer zu überwinden. Dabei stand er nur einen halben Meter von ihrer Schlafstatt entfernt. Mehr Spielraum ließen ihr die Ketten ohnehin nicht, die an metallenen Schellen um ihre Hand- und Fußgelenke befestigt waren. Anfangs waren die Schellen zu eng gewesen und hatten ihre Haut wund gescheuert; doch seit Beginn ihrer Gefangenschaft hatte sie extrem viel Gewicht verloren. Dennoch konnte sie die Fesseln nicht abstreifen. Außerdem hätte es ihr ohnehin nichts genutzt. Der Mann, der sie gefangen hielt, vergaß nie, die Tür zu verriegeln, nachdem er gekommen war, um den Eimer auszuleeren oder ihr Wasser oder ein wenig Zwieback zu bringen. Allerdings musste Johannes den Eimer inzwischen nicht mehr allzu oft leeren, da sie nur noch selten Stuhlgang hatte.

      Johannes.

      Der Name ihres Peinigers irrlichterte durch ihren Verstand, löste jedoch keine Reaktion aus. Selbst dafür fehlte ihr inzwischen die Kraft. Außerdem hatte sie längst resigniert und aufgegeben. Ihr Lebenswille war buchstäblich erloschen.

      Sie wusste, dass er sie töten würde. Das hatte er ihr bereits an jenem ersten Abend im Auto gesagt. Bislang hatte er ihr aber nicht verraten, wie er sie umbringen würde. Eine Zeitlang hatte sie gedacht, er wollte sie verhungern lassen, da er ihr am Anfang nur Wasser gebracht hatte. Doch nach einer Weile hatte es gelegentlich auch ein bisschen Zwieback gegeben. Nie genug, um satt zu werden und das knurrende Loch, in das sich ihr Magen schon nach kurzer Zeit verwandelt hatte, zu stopfen. Aber dennoch ausreichend, damit sie nicht verhungert war. Allerdings war sie im Laufe ihrer Gefangenschaft immer mehr abgemagert. Mittlerweile glich sie eher einem mit dünner Haut überzogenen Skelett als einem lebenden Menschen. Sie hatte keinen Spiegel, um sich darin zu betrachten; und insgeheim war sie froh darüber. Doch was sie von ihrem nackten, ausgemergelten Körper sehen konnte, genügte ihr, um davon auf den Rest zu schließen.

      Hinzu kamen die Schmerzen. Anfangs waren es nur die peinigenden Kopfschmerzen gewesen, die sie bereits vor ihrer Bekanntschaft mit Johannes geplagt hatten. Ihr Arzt hatte ihr ein Schmerzmittel verschrieben, mit dem sie die Beschwerden einigermaßen in den Griff bekommen hatte. Doch nachdem sie an diesem Ort gelandet war, hatte Johannes ihr nicht erlaubt, etwas gegen die Schmerzen einzunehmen. Sie kämen von Gott, hatte er behauptet, und deshalb müsste Nadine sie ertragen. Außerdem wären sie ein Teil ihres Leidensweges und würden ihr Opfer nur umso wertvoller machen.

      »Welches Opfer?«, hatte Nadine ihn gefragt. Obwohl sie geahnt hatte, dass er damit ihren Tod meinte. Doch er hatte nicht geantwortet, sondern nur milde gelächelt und ohne ein weiteres Wort ihr Verlies verlassen.

      Sie wusste nicht viel über Gott, da sie in einem atheistischen Haushalt aufgewachsen war. Allerdings konnte sie sich nicht vorstellen, dass ein Gott, der die Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen hatte, seine Schöpfung mit derartig intensiven Schmerzen bestrafen würde. Und wofür wurde sie überhaupt bestraft? Sie hatte doch nichts getan! Und wieso sollte sie sich opfern?

      Doch auf all diese Fragen war Johannes ihr bislang eine Antwort schuldig geblieben. Nur am ersten Abend im Auto war er gesprächig gewesen. Danach hatte er sich, sofern er ihr überhaupt geantwortet hatte, auf knappe, einsilbige Aussagen beschränkt.

      An die stechenden Kopfschmerzen hatte sie sich allmählich gewöhnt. Und das, obwohl sie von Tag zu Tag intensiver wurden. Kaum zu glauben, woran sich der Mensch gewöhnen konnte, wenn er keine andere Wahl hatte. Aber es blieb nicht bei den Schmerzen im Kopf. Mittlerweile tat ihr ganzer Körper weh und fühlte sich überall wund an. Nach dem Aufwachen hatte sie meistens das Gefühl, sie hätte auf dem Rost eines Grills über glühenden Kohlen geschlafen und wäre dabei auf kleiner Flamme langsam durchgebraten worden. Sämtliche Muskeln schmerzten, auch wenn sie in letzter Zeit kaum noch benutzt wurden. Und wenn sie sich doch einmal bewegte, um eine andere, weniger schmerzhafte Liegeposition zu finden, wurde der stetige Schmerz zu einem intensiven Stechen, als hätte sie einen Muskelkrampf. Deshalb rührte sie sich inzwischen kaum noch. Außerdem hatte sie von Tag zu Tag immer weniger Kraft dafür übrig.

      Wenigstens hatte sie keine Hungergefühle mehr. Darunter hatte sie am Anfang am meisten gelitten. Zuerst hatte ihr Magen nur geknurrt. Dann war die Leere in ihm konstant größer geworden, bis er sich verkrampft und sie sich unter heftigen Schmerzen auf der Matratze gekrümmt hatte. Sie hatte das Gefühl gehabt, ihr Magen wäre ein schwarzes Loch, das sich immer weiter ausdehnte und dabei allmählich den Rest ihres Körpers in sich hineinsaugte und verschlang. Aber irgendwann waren diese Schmerzen vergangen. Und seitdem hatte sie auch keinen Hunger mehr.

      Obwohl sie gerade erst erwacht war, war Nadine dennoch todmüde. Wie stets war die Schlafperiode zu kurz und wenig erholsam gewesen. Sie konnte sich auch nicht erinnern, ob sie geträumt hatte. Sie hatte ohnehin das Gefühl, schon lange nicht mehr geträumt zu haben. Wovon sollte sie auch träumen? Von einem besseren Leben? Von einem Ende ihrer Gefangenschaft und ihrer Qualen?

      Wäre es nicht so kräftezehrend und schmerzhaft gewesen, hätte sie über diese Gedanken gelacht.

      Manchmal erwachte sie dennoch in der Hoffnung, dies alles – das kistenartige Verlies, ihr Peiniger und die Schmerzen – wäre nur ein böser Traum. Doch sobald der Schmerz, ihr treuer Begleiter, sich zurückmeldete, zerbrach die Hoffnung wie ein Spiegel in hunderttausend Scherben.

      Anfangs hatte sie sich noch gegen ihr Schicksal aufgelehnt. Sie hatte an ihren Fesseln gezerrt, bis ihre Hand- und Fußgelenke geblutet hatten. Und sie hatte geschrien, bis sie vor Heiserkeit keinen Ton mehr herausbrachte. Aber irgendwann hatte sie einsehen müssen, dass sie damit nur ihre Kraft verschwendete, und sich in ihr Schicksal ergeben. Inzwischen war sie zu kraftlos, um etwas anderes zu tun, als auf den Tod zu warten. In welcher Form auch immer er zu ihr kam.

      Sie war sogar schon so weit, dass sie sich beim Einschlafen jedes Mal wünschte, sie würde nicht mehr aufwachen. Dann hätte diese Tortur endlich ein Ende. Ein Dasein ohne Schmerzen konnte sie sich schon gar nicht mehr vorstellen. Deshalb begrüßte sie alles, was ihnen ein Ende bereiten würde. Und wie schön wäre es, Johannes am Schluss ein Schnippchen zu schlagen, weil die Geschwulst in ihrem Kopf, die für ihre Kopfschmerzen verantwortlich war, sie tötete, bevor er sie umbringen konnte. Besser könnte sie sich nicht an ihm rächen.

      Doch zu ihrer grenzenlosen Enttäuschung wachte sie, so wie heute, jedes Mal erneut auf, um einen weiteren Tag voller Schmerzen und Qualen zu erdulden, bis Johannes sich endlich ihrer erbarmte und sie tötete.

      III

      Wie lange sie schon hier war, wusste Nadine nicht. Sie hatte schon frühzeitig jegliches Zeitgefühl verloren. Sogar Mr. Tumor schien verwirrt zu sein. Vor ihrer Gefangenschaft hatte er sie vor allem nachts und am frühen Morgen am heftigsten geplagt. Jetzt wütete er vierundzwanzig Stunden am Tag, als wollte er damit seinen eigenen Unmut über die Situation zum Ausdruck bringen.

      Nadine war sich darüber bewusst, dass sie der Geschwulst zu viele menschliche Eigenschaften und Charaktermerkmale verlieh. Nach einer Weile hatte sie sogar angefangen, sich mit ihr zu unterhalten. Inzwischen behandelte sie den Tumor beinahe wie einen Mitgefangenen. Aber schließlich war er die einzige verlässliche Gesellschaft, die sie an diesem furchtbaren Ort hatte.

      Sie stellte sich vor, dass die Geschwulst in ihrem Kopf ebenfalls Hunger litt. Immerhin ernährte sie sich wie ein Parasit von ihrem Wirt. Und wenn Nadine kaum noch zu essen bekam, musste auch der Tumor sich einschränken und fasten. Das einzig Positive daran war, dass er nicht mehr so schnell wachsen konnte wie früher. Vielleicht war sie nur deshalb noch immer am Leben.

      Doch

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